Michael Tsokos
"Sind Tote immer leichenblass?"

In unserer Medienlandschaft – bzw. gehen wir doch gleich auf die verschiedenen Krimiserien im Fernsehen ein – gibt es diverse Klischees oder, der Einfachheit halber, gibt es viele Irrtümer über rechtsmedizinische Themen. Autopsie, Obduktion, Gerichtsmediziner, Forensik und vieles mehr an Fachbegriffen, derer sich Drehbuchautoren und Regisseure recht frei bedienen.

Wir kennen Sie alle: Quincy, CSIDen Tätern auf der Spur, BonesDie Knochenjägerin und nicht zuletzt die etwas verschrobene Tatortfigur des Prof. Dr. Karl-Friedrich Boerne. Alle Figuren sind im Fernsehen garantierte Quotenbringer. Doch sind diese wirklich alle Profis in ihrem „Toten“-Geschäftsbereich? Können diese fiktiven Charaktere ein professionelles Spiegelbild der tatsächlichen Rechtsmediziner sein?

Totsicher: ein kristallklares „Nein“. Der derzeitige Boom in der Kriminalliteratur und ebenfalls in Kino- und Fernsehfilmen ist unübersehbar und scheint noch kein Ende zu haben. Dass sich dabei die Drehbuchautoren und Regisseure die künstlerische Freiheit nehmen, den Ablauf eines Arbeitsalltags in der Rechtsmedizin recht frei interpretiert zu zeigen, lässt bestimmt einige professionelle und vor allem reale Rechtsmediziner entweder laut auflachen oder verzweifelt den Kopf schütteln. In den letzten beiden Jahrzehnten reihen sich somit zahlreiche Klischees aneinander und ziehen höchst lebendig durch die fiktiven Säle der Rechtsmedizin.

Michael Tsokos, Deutschlands bekanntester Rechtsmediziner und Professor, ist ein anerkannter Experte auf dem Gebiet der Forensik. Seit 2007 leitet er in Berlin an der Charité das Institut der Rechtsmedizin und das Landesinstitut für gerichtliche und soziale Medizin. In seinem neuesten Buch mit dem Titel Sind Tote immer leichenblass? räumt er unter den bizarrsten und fest verankerten Klischees und Irrtümern über die Rechtsmedizin auf.

Natürlich sollte es dem Leser des Buches bekannt sein, dass höchstwahrscheinlich die Realität in der Rechtsmedizin eine andere ist, doch natürlich bedienen sich die Filmemacher gerne theatralischer und dramaturgisch wichtiger Elemente. Michael Tsokos erzählt von den groben Fehlern der fiktiven Doktoren und Professoren, wenn diese eine Leiche öffnen, die Sterbe-Ursache identifizieren, mit Angehörigen und der Polizei sprechen usw. Dass Michael Tsokos manchmal etwas schnippisch die Drehbuchautoren und ihren fiktiven Blick auf die Rechtsmedizin kommentiert, sei ihm verziehen. Es ist aber ebenfalls sehr witzig, wenn er das Vorurteil Nr. 16, „Rechtsmediziner sind chronisch schlecht gelaunte Zyniker“, leicht eingeschränkt bestätigen kann, und das in einem sehr ironischen Humor, der den Leser laut auflachen lässt. Also so knochentrocken ist das Buch dann doch nicht. Im Gegenteil: Es ist unterhaltsam, lehrreich und deckt so manches auf, von dem wir alle gedacht haben: "Oh, das stimmt ja doch nicht."

Michael Tsokos nimmt sich die Zeit, kurz und prägnant mit vierzig Irrtümern aufzuräumen und die Welt der Rechtsmediziner etwas geradezurücken. Dass es dabei immer mal wieder Seitenhiebe“ auf die Filmindustrie hagelt, soll nur dazu dienen, dem Leser begreiflich zu machen, dass die wirklichen „Aufschneider“ wahre Profis ihres Standes sind. Spannung bietet das Buch allemal, und der offensichtliche Humor des Autors kommt immer wieder in Anekdoten zum Vorschein. Sehr liebevoll sind die Karikaturen zwischen den Kapiteln gestaltet, die natürlich stark überzeichnet einzelne Situation und Abläufe darstellen.

Fazit: Sind Tote immer leichenblass? ist eine spannende und messerscharfe Analyse, die mit Irrtümern spannend und höchst lebendig aufräumt. Sie werden die fiktive Filmwelt der Rechtsmediziner mit etwas anderen Augen sehen. Gar nicht schlecht oder!? Doch hinter jeder Legende, hinter jeder Fabel steckt auch ein wenig Wirklichkeit. So unterhaltsam, spannend und witzig, wie Michael Tsokos sie erzählt, ist die Lektüre empfehlenswert. Nicht zuletzt bietet er auch für Drehbuchautoren und lebendige Dramaqueens neue Ideen für die filmische Darstellung. Beste Unterhaltung – totsicher!

Michael Tsokos: Sind Tote immer leichenblass?, Droemer, 4. Oktober 2016, 192 Seiten

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen 
BuchfinkArno AdlerLangenkampmaKULaTUR und Buchstabe erhältlich.


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