Ich hatte mich am Sonntag spontan entschieden, der Vernissage in St. Petri beizuwohnen. Möglichst vorurteilsfrei wollte ich mir ein eigenes Bild von diesem vorab groß angekündigten Ereignis („Das wird Lübeck verändern“) machen. Tatsächlich hat dieser Besuch das Verhältnis zu meiner Stadt verändert, es ist ein Stück weniger „meine“ geworden.
Aber das kann ich aushalten. Was ich in der Petrikirche gesehen habe, war eine „Ausstellung“ von ausrangiertem Sperrmüll, völlig beliebig, nirgendwo ein AHA-Erlebnis oder eine Überraschung, nein, einfach echt Müll, nicht stinkend, nur nichtssagender Müll. Oder was sagen mir die auf dem Altar ausgebreiteten John-Sinclair-Gruselromanhefte?
Und sonst? Riesige Papierbanner mit wechselnd gleichem Inhalt, was KUNST alles ist und nicht sein darf. Befehle in nicht zu überbietender Impertinenz. Wenn ich mal von allen Äußerlichkeiten absehe und versuche, eine Substanz zu erkennen, was bleibt da? Ich müsste jetzt unendliche Leerzeilen schreiben, weil da nämlich nichts kommt, rein gar nichts.
Vor keinem seiner „Ausstellungsstücke“ (und davon gibt es viele, viele, viele!) wollte ich stehen bleiben und nachdenken. Keine Überraschung, keine Anregung, nein, nur Plattitüden, Banalitäten, destruktive Gedanken. Ein Beuys konnte noch schockieren, überraschen, der hat Neues gemacht, war kreativ. Das muss einem nicht gefallen, war aber wirklich NEU. Meese dagegen ist in seinem Tun total reaktionär.
Seine Kunst ist die beliebige Nichtkunst und damit für ihn wieder Kunst − (s)ein Spiel ist (s)ein Spiel ist (s)ein Spiel. Zurück Z.U.H.A.U.S.E. besuchte ich seine Webseite. Ich sehe dort einen Menschen, der mit faschistischen Symbolen spielt, sich selbst faschistoid verhält, von Weltordnung und Hauptquartier Berlin spricht − und ich erschaudere. Seine Äußerungen − Hitlergruß = Meesegruß − stehen am Rande der Legalität.
Aber gut, dass die Freiheit der Kunst in Deutschland möglich ist! Meese lebt genau von diesem Kulturbetrieb, den er angeblich so ablehnt, und das wohl nicht schlecht! Er erklärt sich in pekuniärer Weise einverstanden mit denen, gegen die er wie ein Wahnsinniger wettert. Wenn er überzeugt wäre von seiner KUNST oder was auch immer, könnte er sich austoben im freien Raum.
Aber er hat Leidensgenossen, das sind die Initiatoren dieser Veranstaltung: Eine in ihren Institutionen stark eingebundene Ü-50-Männerriege, die vielleicht genau von dem zu wenig hat (hatte), was Meese zu viel bietet: das kindliche Spiel. Meese will nur spielen (da ist das kindlich freundliche Gesicht), das macht er geschickt und verschanzt sich dabei unfassbar im wahrsten Sinne des Wortes. Inhaltlich kann man ihm nicht begegnen, nicht weil man keine Argumente hätte, sondern weil er seine Gegner mit einbezieht in seine irreale Welt und sich so jede Kritik vom Leibe hält.
Er bleibt stets unbesiegbar. Das ist Teil und gleichzeitig Ziel seines Spiels: Gib deinem Gegenüber keine Chance! Über Meese gäbe es noch so viel zu sagen, ein Eldorado für jede Psychotherapie. Gleichzeitig ist es sinnlos, die eigene Lebenszeit ihm zu schenken.
Mein Fazit: Jonathan Meese, ein spätpubertierender (chauvinistischer) 49-Jähriger, der seine kindliche Spielwiese nicht verlassen möchte, auf ewiger Vater(Führer)suche. Und was sagen Lübecks Initiatoren und Kulturbestimmer? Endlich darf Prof. Wißkirchen ganz öffentlich dreimal „geil“ sagen. Bernd Schwarze als Petripastor redet sich um Kopf und Kragen („eigentlich darf ich hier ja gar nicht reden“), Museumsdirektor Zybok ergießt sich in klammheimlicher Freude, dass Lübeck es im Gegensatz zu Bayreuth geschafft hat, Meese seinen Spielkreis zu geben. Bürgermeister Lindenau meint, sich Meese oder wem auch immer anbiedern zu müssen, und zeigt sich auf dem Pressefoto zünftig in schwarzer Adidas-Streifenjacke. Heil Lübeck fällt mir nur dazu ein. Aber das ist ja im Rahmen der Kunstfreiheit erlaubt! Kreativ geht anders.
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Kommentare
man hätte bestimmt künstler finden können, die feinere aussagen mit ausgefeilteren gestalterischen mitteln erzielen.
bravo für den mut zur meinungsfreiheit!