von Heinrich von Kleist

In einem Dorf bei Utrecht ist das Wort des Richters Adam Gesetz. Bis Frau Marthe Rull vor seinem Richtstuhl erscheint. Sie klagt den Verlobten ihrer Tochter Eve an: Heimlich habe Ruprecht sich des Nachts in Eves Zimmer geschlichen − oder sich vielleicht sogar gewaltsam Zutritt verschafft − und im Tumult einen Krug zerbrochen. Ruprecht streitet dies vehement ab. Einen anderen Mann habe er in Eves Zimmer angetroffen und dieser habe bei seiner Flucht aus dem Fenster den Krug vom Sims gestoßen. Weil er also glaubt, Eve habe ihn betrogen, will Ruprecht die Verlobung lösen. Und Eve? Schweigt. Dafür redet Richter Adam umso mehr – und sich bald um Kopf und Kragen. Denn mit jeder Schmeichelei, jedem Ausweichmanöver, mit jeder immer offensichtlicher werdenden Lügengeschichte wird deutlicher, wer sich wirklich Zutritt zu Eves Kammer verschafft hat.

Obwohl schon 1808 uraufgeführt, passt Kleists »Lustspiel« um Machtmissbrauch und die Frage, wem wir Gehör und Glauben schenken − einer jungen Frau oder dem einflussreichen Mann? − in unsere heutige Zeit. Und auch Adams Taktik aus Ablenkung, Attacke und, wenn nichts anderes mehr hilft, dreisten Lügen, begegnet uns auf der politischen Weltbühne ebenso wie im zeitgenössischen Medienalltag.

Foto: (c) Isabel Machado Rios