Besucherandrang an den Tagen der Offenen Tür auf den Grabungen im Lübecker Gründerviertel

Woher wir kommen. Wer wir sind. Wohin wir gehen.
Plädoyer für ein Archäologisches Museum in Lübeck

Es kommt mir komisch vor, dass wir als Lübecker nach Berlin fahren mussten, um Schätze aus dem Untergrund unserer nicht gerade kleinen Stadt im Original anzusehen.

Fünf Monate lang wurden im Berliner Gropiusbau während der Sonderausstellung „Bewegte Zeiten – Archäologie in Deutschland“ in einem eigenen Raum der vorzüglich im feuchten Milieu erhaltene frühe Holzkeller (um 1176) – eine der Sensationen der Großgrabungen im Gründungsviertel – ebenso wie das 3m hohe Holzfass sowie faszinierende Kleinfunde aus den Kloaken unseres Mittelalters ausgestellt (ausführlich: Karl Klotz in Lübeckische Blätter 5-2019 S. 84f.).

Das Riesenfass von Lübeck in BerlinDas Riesenfass von Lübeck in BerlinEs gibt mittlerweile so viele Erkenntnisse zu Lübecks früher Geschichte (und hier verzahnen sich Historie und Archäologie aufs Feinste), die unserer Stadt als Prototyp einer modernen abendländischen Gründungsstadt (M. Gläser, Heidelberg 1989) einen prominenten Rang unter den mittelalterlich frühen Metropolen Mittel- und Nordeuropas geben, dass es erstaunt, wenn die Stadtväter und -mütter dem nicht längst mit einem attraktiven Museum Rechnung getragen haben. Denn wie wir gleich sehen werden, besteht bei den Bewohnern der Stadt eine rege Nachfrage nach archäologischen Informationen.

Nur maximal an zwei Abenden im Jahr gibt die Gemeinnützige der Bodendenkmalpflege Raum für große Vorträge zum Nutzen der Allgemeinheit – schließlich hat sie viele Töchter. Die Räumlichkeiten der Archäologen am Meesenring wiederum sind für solche übergreifenden, der Allgemeinheit dienenden Veranstaltungen wenig geeignet, da weder behindertengerecht noch altenkompatibel. Dass dennoch ein großes Interesse, ja ein großes Bedürfnis nach Berichten und Analysen zu unserer ureigenen städtischen Vergangenheit besteht, konnte man unschwer erkennen bei der Vortragsreihe der Archäologen im September 2017: {banner_here}Fünf Mal trugen die alten und neuen Stadtarchäologen (Prof. Dr. Gläser, Dr. Schneider) und ihre kompetenten Mitarbeiter (Mührenberg, Falk, Grabowski) launig und kenntnisreich Befunde vor. Fünf Mal war der Saal im alten Pfarrhaus der Jakobikirche bis auf den letzten der feuerpolizeilich erlaubten 100 Stühle besetzt; und fünf Mal mussten die restlichen Wartenden (zwischen 30 und 50 Besucher pro Abend!) leider, leider wieder umdrehen. Die lebhaften Diskussionen am Ende zeigten das Engagement der Besucher für ihre Geschichte, für ihre Wurzeln, die in einer globalisierten Welt zunehmend wichtiger werden.

Knapp ein halbes Jahr später war beim ersten öffentlichen Vortrag zum 875-jährigen Jubiläum der Hansestadt von Prof. Gläser der Audienzsaal des Rathauses so hemmungslos überfüllt, dass selbst die Stehplätze zur Rarität wurden. Das mag andere Veranstalter schon neidisch machen.

Es ist das Ergebnis einer erzwungenen Abstinenz, denn das kleine archäologische Museum mit seiner Ausstellung und den Vortragsreihen unter den Bogengängen im Burgtorkloster existierte gerade mal 6 Jahre: es wurde 2011 geschlossen und in die Magazine ausgelagert, als das Hansemuseum entstand. Von dem Versprechen, die archäologisch bemerkenswerte Geschichte unserer Stadt, ihrer Vorgänger und ihrer Entwicklungen in diesem Museumsneubau zu integrieren, ist nur wenig geblieben – und jener Hauch des Originalen, der jedem echten geschichtlichen Objekt innewohnt, jener Schauer, der mich in Berlin berührte, er blieb mangels Masse schlicht aus. Er ist wohl so auch nicht geplant.

Lübecker Holzkeller um 1176 in der Berliner AusstellungLübecker Holzkeller um 1176 in der Berliner Ausstellung

Bei allen Meriten, die das Hansemuseum haben mag, einen Hang zur Stadtgeschichte kann man den Machern nicht nachsagen – im Gegensatz zu einer ganzen Menge Lübecker Bürger, die mit ihren Steuergeldern jetzt schon für das Personal des Hansemuseums aufkommen, das – wohl auch mangels Masse – seine (nicht ganz zufrieden stellenden) Besucherzahlen mit einer Preisaktion für Stadtbewohner aufzubessern trachtet. Ein Rätsel, das sich um diesen mit EU-, Stiftungs- und Steuermitteln (auch Landes- und Bundesmittel sind mit Verlaub Steuergelder!) bezahlten Prestigebau rankt.

Die archäologische Abstinenz wurde bis 2014 gemildert durch die immer wieder für das interessierte Publikum zur Besichtigung freigegebenen Großgrabungen im Gründungsviertel, begleitet von allgemeinverständlichen Vorträgen der Ausgräber. Nicht auf jeder Grabung ist solche Öffentlichkeitsarbeit möglich. Der Ansturm auf die Vortragsreihe 2017 zeigt ein weiterhin ungebremstes Interesse: Eine Zurschaustellung der ältesten deutschen Stadt an der Ostsee müsste in unserem schönen Lübeck, das so stolz darauf ist, als Mutter der Hanse zu gelten, selbstverständlich sein.

Können Geschenke zuweilen toxisch werden, gar verhindern, dass etwas so Wichtiges entsteht wie ein archäologisches Museum für eine der am besten untersuchten mittelalterlichen Altstädte Deutschlands, ja Europas? Ein Museum, das den uns herzlich willkommenen (weil wirtschaftlich wichtigen) Besuchern anhand der Präsenz des Dinglichen die Entstehungsgeschichte und Bedeutung unserer Stadt vor Augen führt, ihnen (und uns natürlich auch) zeigt, was unter den Stadthügeln schlummert, wenn wir durch unsere Straßen schlendern?

Keller Fischstraße 17:  Ein Lübecker Highlight: fast vollständig erhaltener Holzkeller (um 1176)Keller Fischstraße 17: Ein Lübecker Highlight: fast vollständig erhaltener Holzkeller (um 1176)Archäologie und Denkmalarchitektur stehen heute hoch im Kurs in der öffentlichen Wahrnehmung: in der Tages- und Wochen-Presse ebenso wie im Fernsehen und nicht nur auf den intellektuelleren Kanälen. Von einem solchen, die vorhandene Museumslandschaft trefflich ergänzenden Wissensort würde auch der Tourismus Lübecks profitieren – zur Erinnerung: Wer unsere Stadt besucht, will zumeist auch etwas mehr über sie wissen.

Trotz der 20 % Zerstörung durch die Bomben an Palmarum vor 77 Jahren (gerade auch vieler historischen Bauten und Viertel) gilt für die Altstadt: Neben der Bausubstanz war ein wesentlicher Faktor zur Anerkennung durch die UNESCO 1987 als erstes Flächendenkmal des Weltkulturerbes in Nordeuropa auch das Stratum unter unseren Füßen ausschlaggebend. Die Altstadt wurde zum Grabungsschutzgebiet erklärt, in dem kein Bodeneingriff ohne Beteiligung der Archäologen geschehen darf (eigentlich!). Die Fülle und Qualität der Funde, die in unseren Mauern (und davor) zutage tritt – und um die sich mittlerweile die Museen in Deutschland und Europa reißen (s. Artikel in d. LN v. 16. Jan. 2019) –, darf nicht nur in Archiven vor sich hin dämmern.

Die strukturellen Befunde aus den Grabungen und Untersuchungen zeigen das Außergewöhnliche, das schon früh die Königin der Hanse auszeichnete: ob das die mittelalterliche Wasserkunst ist, eine technische Meisterleistung, die ab 1294 anfangs für die Brauereien, später auch für betuchte Bürger das saubere Wasser aus der Wakenitz in Röhren aus Baumstämmen in die Haushalte leitete; oder die von der UNESCO besonders hervorgehobene planmäßige Parzellierung – und heute zusätzlich die frühe Baulandgewinnung rund um die Altstadthalbinsel –, die das Bild der Stadt bis in die Gegenwart prägt.

Über die Jahrzehnte hat Lübeck einen etablierten und hochkarätigen archäologischen Fachverstand angesammelt, der – wie die Internationale Tagung zu Stadtgründungen im Juni 2018 im Rathaus zeigte – den Vergleich mit anderen Metropolen und Ländern nicht scheuen muss, ja, selber Schwerpunkte für andere setzt. Eine demnächst erscheinende umfangreiche Publikation zu den Ergebnissen der Großgrabungen im Gründungsviertel unterstreicht dieses geballte Fachwissen eindrucksvoll. Leider haben wir kein Archäologisches Museum mehr, das diese faszinierenden Befunde auch optisch für jedermann verständlich darstellen kann. Das ist ein echtes Manko.

Fischstr. 20: Das Nebengebäude im Blockhaus-Stil aus dem letzten Drittel  des 12. Jh. ist noch in 7 Lagen erhalten.Fischstr. 20: Das Nebengebäude im Blockhaus-Stil aus dem letzten Drittel des 12. Jh. ist noch in 7 Lagen erhalten.

Die geistige Welt lässt sich erfassen über die weltlichen und religiösen Kunstwerke, wie wir sie im St.-Annen-Museum betrachten können, die Lebenswelt der gehobenen Lübecker Bürger wird im neuen Anbau des Museums angerissen. Und die Archivare erzählen uns von Handelsverträgen, politischen Urkunden, Gebietsannektionen und -abtretungen, Siegen oder Niederlagen.

Aber die Lebensumstände der Bürger und Bewohner, sie scheinen uns erst aus den Gruben der Archäologen entgegen, aus den Hinterhöfen, Kloaken, Haus- und Kellerresten, aus ihren Leichen und ihren Exkrementen, die uns verraten, wie sie gelebt, was sie gegessen und woran sie gelitten haben, was sie wegwarfen; wie ihre Schuhe, ihre Spielzeuge, ihre Freizeitbeschäftigung aussahen. Was sie jenseits des vielleicht überlieferten Galagewandes trugen, ob sie Einheimische oder Weitgereiste, wohlhabend oder arm waren. Auch ihre Ingeniösität, ihren Einfallsreichtum, ihre technischen Fähigkeiten, ihre Weltkenntnis fördern die Archäologen ans Licht. Und all das ist nicht hypothetisch hergeleitet, sondern es sind, modern gesagt, hard facts: belegbare Beweise zu unserer Vergangenheit (Woher wir kommen!).

Erst all diese Aspekte zusammen geben ein Bild der Gesellschaft, der Stadt, der Regierung, des Volks, dem wir entsprungen sind oder dem wir uns zugehörig fühlen wollen. (Wer wir sind!)

Lübecks Altstadt wurde von den Siedlern in der 1. Hälfte des 13. Jh. durch Landgewinnung geformtLübecks Altstadt wurde von den Siedlern in der 1. Hälfte des 13. Jh. durch Landgewinnung geformtIn George Orwells Dystopie 1984 gibt es einen bemerkenswerten Satz, der mir immer wieder in den Kopf kommt: „Wer die Gegenwart kontrolliert, kontrolliert die Vergangenheit ...“ (Das kann man heute schon sehr schön beobachten.) Doch der zweite Teil dieses Satzes sollte uns zu denken geben: „... wer die Vergangenheit kontrolliert, kontrolliert/bestimmt die Zukunft!“ Wir haben in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts erlebt, wohin eine ideologisch verklärte Vergangenheit uns führen kann. Wir sollten heute nicht – mit anderen Vorzeichen – in die gleiche Falle tappen, wenn wir unsere Zukunft vernünftig gestalten wollen. Vielleicht plädiere ich deshalb für ein archäologisches Museum: zu den hard facts fällt das Dazu-erfinden doch etwas schwerer. (Wohin gehen wir?)

Die alte Frage nach dem GewordenSein, sie wird zunehmend wichtiger, denn sie schafft Identität – identifizieren mit meiner Stadt, mit meiner Region; das ist auch und gerade für Neubürger unabdingbar, die bei uns ihre neue Heimat finden wollen. Wer seine Wurzeln nicht kennt, ist wie die rollenden Büsche in den Wüsten unserer Erde − wurzellos. Lassen Sie uns versuchen, auch der Archäologie Lübecks verdientermaßen eine neue und repräsentative Heimstatt zu geben und mit einem archäologischen Museum die wichtigste noch offene Lücke in unserer Museumslandschaft zu schließen.

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Kommentare  

# ArchäologiePeter Zacharias (03.05.2019, 19:12)
Ein sehr guter und treffender Bericht!
Großes Aber!
Das Hansemuseum kann das leider nur kurze Jahre bestehende Archäologiemuseum nicht ersetzen.
Auf dem Papier sieht sowas immer gut aus...aber die Praxis?
Wo sollte so etwas hin in der beengten Innenstadt?
Man siehe Völkerkundemuseum!
Lübecks Lager sind voll mit Exponaten..

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