Visualisierung der geplanten Bebauung, aus der Vorlage zur Sitzung des Bauausschusses vom 6. März 2017

Neubebauung Autohaus Lorenzen am Lindenplatz
Einzelinteresse gegen Welterbe

Am 20. März 2017 hatte der Bauausschuss mehrheitlich die Aufstellung einer Änderung des Bebauungsplans für das Grundstück des ehemaligen Autohauses Lorenzen am Lindenplatz beschlossen.

Damit sollten die planungsrechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden, die Gebäudehöhen von 18 bzw. 22 auf maximal 29,4 Meter über NN anzuheben. Diese Entscheidung wurde in der Sitzung der Bürgerschaft am 29. Juni 2017 mehrheitlich durch GAL, Grüne und auch die SPD korrigiert. Die rechtswirksam festgesetzten Gebäudehöhen sollen nun doch nicht gesteigert werden. Hintergrund dieser Kehrtwende der Kommunalpolitik ist die Stellungnahme des ICOMOS Welterbe Monitoring-Beauftragten Dr. Reiner Zittlau, der von der GAL-Fraktion eingeschaltet worden war:

„Zu dem Investorenprojekt an der Fackenburger Allee möchte ich Folgendes anmerken: Die Sichtachse, die sich dem Anreisenden von Nordwesten aus auf die südliche Altstadt und den Dom hin öffnet, wird durch den Neubau nur unwesentlich betroffen sein. Insofern ist eine Welterbebeeinträchtigung nicht in erheblichem Maß gegeben. Innerhalb der Pufferzone nehmen jedoch Baukörper, die das vorgegebene Maß um nahezu 100 % übersteigen, allerdings keine angemessene Haltung gegenüber dem Welterbe ein. Die Stadtlandschaft mit ihrem ansteigenden Bodenrelief verstärkt an einem solchen Bauplatz die Wucht des überdimensionierten Neubaukörpers und macht ihn somit zum optischen Konkurrenten der Großbauten innerhalb der Altstadt. Insofern kann ich gut verstehen, wenn sich Widerstand gegen das Projekt entwickelt. Die Pufferzone ist von der UNESCO gerade dafür vorgesehen worden, das Welterbe nicht durch überdimensionierte Neubaukörper von außen optisch erdrücken zu lassen. Aus dieser Perspektive rate ich dazu, auf eine Reduzierung des Bauvolumens hinzuwirken. Gleichzeitig sollte für diesen exponierten Standort eine hohe architektonische Kunstfertigkeit in der zur Altstadt ausgerichteten Fassade zu Geltung kommen.“

Blick von der Puppenbrücke: Links die Linden Arcaden, rechts die neue Seniorenresidenz, im Hintergrund in der Bildmitte das IHK-Gebäude, ehemals Provinzial.Blick von der Puppenbrücke: Links die Linden Arcaden, rechts die neue Seniorenresidenz, im Hintergrund in der Bildmitte das IHK-Gebäude, ehemals Provinzial.

Der Mut der Mehrheit der Kommunalpolitiker zur Kurskorrektur verdient Respekt. Warum allerdings Bausenator Boden seinerzeit nicht vor der Beratung im Bauausschuss Dr. Zittlau angehört hat, erschließt sich nicht. Dieses Vorgehen passt in die Reihe der vielen Projekte, bei denen Stadtplanung trotz Welterbe-Status privaten Investoren überlassen wurde. Die störenden Ergebnisse sind im Stadtbild deutlich zu erkennen: König-Passage, Marktbebauung, Haerder Center und Wehdehof zeigen, dass Investorenplanungen im Umgang mit dem Welterbe deutliche Defizite aufweisen. Im Managementplan zur Bewahrung und Entwicklung des Welterbes, den die Hansestadt Lübeck 2011 aufgestellt hat, wird erklärt:

„Innerhalb der Pufferzone sind bauliche Maßnahmen und Vorhaben auf ihre Verträglichkeit mit der Welterbestätte, insbesondere hinsichtlich ihrer Höhenentwicklung und ihrem baulichen Maß, zu überprüfen und verträglich mit den schützenswerten Stadtansichten und Sichtbeziehungen zu realisieren.“

Dementsprechend wurde 2013 für die Aufstellung des Bebauungsplans für das ehemalige Autohaus ein Gutachten zur „Überprüfung der Sichtbeziehungen auf die Stadtsilhouette“ vorgelegt. Die Ausarbeitung erfolgte durch die Welterbekoordinatorin Christine Koretzky. Die Visualisierungen fertigte das Büro Modelldigital, Ralph Schenkenberger. In dieser Studie wird auf zwei wichtige Sichtachsen abgestellt: Zum einen ergeben sich im Verlauf der Fackenburger Allee ab der Einmündung Ziegelstraße beeindruckende Blicke auf den Dom. Zum anderen gibt es von der Bahnhofsbrücke zu den Altstadtkirchen beeindruckende Blickbeziehungen. Aus diesen Besonderheiten wurden für dieses Grundstück Zielvorgaben zur Berücksichtigung der Sichtbeziehungen formuliert: Über einen Streckenabschnitt auf der Fackenburger Allee muss mindestens für einen Fahrstreifen der Blick auf den Dom freigehalten bleiben. Dabei wäre das Bauvolumen zu beschränken, damit beide Turmhelme, die Türme selbst und das Giebeldreieck erkennbar blieben und eine Identifikation weiterhin möglich sei. Da der Dom in der Achse der Straße steht, muss zumindest kurzzeitig eine Erdung des Doms erkennbar sein, die nicht von Gebäuden an der Fackenburger Allee verstellt wird. Daraus wurden Vorgaben zur Bauflucht und zur Höhenentwicklung abgeleitet. Für die Blickbeziehungen von der Bahnhofsbrücke zu den Altstadtkirchen wurden die Begrenzung von Gebäudelängen und eine Herabzonung der Gebäudehöhen zum Stadtgraben hin erforderlich.

Bauten des ehemaligen Autohauses Ford Lorenzen: Freier Blick wird dem nach Lübeck einfahrenden Autofahrer und Bahnreisenden hier zumindest auf die Altstadtkirchen gewährtBauten des ehemaligen Autohauses Ford Lorenzen: Freier Blick wird dem nach Lübeck einfahrenden Autofahrer und Bahnreisenden hier zumindest auf die Altstadtkirchen gewährt

Diese fachlichen Anforderungen zur Vermeidung von Beeinträchtigungen der Blickbeziehungen auf die Lübecker Altstadt und zur Begrenzung des Bauvolumens wurden im rechtswirksamen Bebauungsplan verbindlich geregelt. Der gültige Bebauungsplan sichert durch seine Vorgaben eine gute Einfügung der neuen Bebauung in die umgebenden Strukturen. Dies kann auch vor Ort bereits besichtigt werden. Das neue Hotel B&B an der Bahnhofsbrücke und die im Bau befindliche Seniorenresidenz hinter der IHK halten sich an die Vorgaben des Bebauungsplans. Dadurch sind auch nach der Bebauung weiterhin Sichtbeziehungen zu den Altstadtkirchen gegeben und die Baumasse begrenzt. Bemerkenswerterweise hat der Investor auf der Grundlage des bisherigen Bebauungsplans einen bebauungsplankonformen Bauantrag eingereicht, der am 1. Februar 2017 positiv beschieden worden ist. Bei der Einhaltung der Festsetzungen des Bebauungsplans gibt es keinen Disput mit dem Gestaltungsbeirat – anders jedoch bei den Versuchen des Investors, erheblich größer zu bauen. Der Gestaltungsbeirat votierte im Dezember 2014 gegen das Projekt in der vorgestellten Form. Die im Bauausschuss von CDU, SPD, BfL und FDP beschlossene Änderung des Bebauungsplans, die nahezu eine Verdoppelung des Bauvolumens bedeutet hätte, offenbart, dass Kommunalpolitik nur schwer dem Spekulationsdruck standhalten kann. Fast wäre das bisher verantwortungsvolle Vorgehen mit den Bauflächen zwischen dem Bahnhofumfeld und der Altstadt in Frage gestellt worden.

Was können wir in Lübeck aus diesem Beispiel lernen und uns zum 30. Geburtstag der UNESCO Welterbestätte wünschen? Die Lübecker sollten mehr Qualität im Umgang mit ihrem Welterbe einfordern: Von Bauherren und ihren Architekten, dass Bauvorhaben in die städtebaulichen Strukturen einzufügen sind. Von der Verwaltungsspitze, dass die fachlichen Grundlagen objektiv aufgezeigt werden. Und von den Kommunalpolitikern im Bauausschuss, dass sie sich über die Auswirkungen ihrer Entscheidungen Klarheit verschaffen, bevor sie Beschlüsse fassen.

Fackenburger Allee am Lindenplatz, Blick Richtung Altstadt um 1910. Die damalige Parklandschaft stand im Einklang mit den erst ein Jahrhundert später im Managementplan für die UNESCO-Welterbestätte beschriebenen Zielsetzungen: Erlebbarkeit der Stadtsilhouette.Fackenburger Allee am Lindenplatz, Blick Richtung Altstadt um 1910. Die damalige Parklandschaft stand im Einklang mit den erst ein Jahrhundert später im Managementplan für die UNESCO-Welterbestätte beschriebenen Zielsetzungen: Erlebbarkeit der Stadtsilhouette.

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Kommentare  

# Gemeinschaftsinteresse und PolitikSebastian Büttner (02.11.2017, 17:29)
Vielen Dank für diesen sachlichen und informativen Beitrag! Die 'Kehrtwende' scheint mir eher eine Rückbesinnung auf Recht und Gesetz. Den Mut der Bürgerschaft zur Korrektur bewundere und begrüße ich umso mehr.
Ich wünsche uns mehr solche Beiträge und Ihnen den Gewinn der Bürgermeisterwahl. Meine Stimme haben Sie!
Herzliche Grüße,
Sebastian Büttner

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