Die Titelseite der LN ohne Artikel, dafür mit dem Aufruf der Künstlerin Yoko Ono: "free you, free me, free us, free them"

Nachtrag zum Internationalen Tag der Pressefreiheit
Es ist auch in Deutschland verdammt schwer, Pressefreiheit zu leben

Als investigativer Journalist finde ich die aktuelle Selbstgefälligkeit deutscher Medien schwer erträglich. (Die NDR3-Sendung mit Anja Reschke vom Mittwochabend ist da eine große Ausnahme.)

Aus eigener Erfahrung weiß ich, wie renommierte Sendeformate im öffentlich-rechtlichen Fernsehen und publikumswirksame, wirtschaftlich starke, unabhängige Printmedien Berührungsängste bei brisanten Themen haben. Besonders dann, wenn die Recherchen lange dauern, mit dem Risiko eines offenen Ausgangs verbunden sind und viel Geld kosten. Erlebt habe ich dies zum Beispiel bei den Themen "Leukämie beim Atom-Kraftwerk Krümmel", "Gift im Auto", "Rinderwahnsinn/ BSE".

Wir Journalisten sollten uns nicht selbstgefällig mit den unsäglichen Zuständen in der Türkei vergleichen (unabhängig von der notwendigen Solidarität mit den über 150 Kolleginnen und Kollegen, die dort auch für unsere Informationsfreiheit einsitzen). So manch eine Kollegin oder Kollege in der sogenannten freien westlichen Welt ist hin und wieder in Gefahr oder unter extremem Druck. Auch das sage ich aus eigener Erfahrung, z. B. als Trauma-Opfer in einer kriegsähnlichen Situation beim Training für den Auslandseinsatz der Bundeswehr und als beteiligter Beobachter eines TV-Teams, dessen Kameramann mit einem schweren Radlader überfahren werden sollte. Letzteres weil vermutet wurde, wir würden gegen die kanadische Holz-Industrie berichten.  

ARD-Kameramann und deutsche UNO-Soldaten, Foto: (c) Martin W. Behring/SPECTRUMARD-Kameramann und deutsche UNO-Soldaten, Foto: (c) Martin W. Behring/SPECTRUMDie Beispiele aus meiner eigenen Erfahrung ließen sich fortsetzen (Einbruch in mein Haus während einer kritischen Recherche zur Chemie- und Auto-Industrie, Versuch des Abdrängens von der Autobahn, körperliche Bedrohung inklusive Beschädigung der TV-Kamera und versuchte Wegnahme des Aufnahmematerials durch einen rechtsradikalen Mob während der Berichterstattung über den Brand in einer Flüchtlingsunterkunft.)  

Für Selbstgefälligkeit deutscher und westlicher Medien sollte kein Platz sein: Wir Journalisten leben in einer Akzeptanz- und Glaubwürdigkeits-Krise. Das ist die Herausforderung, die es anzunehmen gilt. Damit es die ARD, den Deutschlandfunk und die Lübecker Nachrichten weiterhin gibt. Damit unsere Leser, Zuhörer, Zuschauer nicht immer mehr im Internet ihre Informationen suchen und Fake-News finden. Dafür brauchen wir mehr investigativen Qualitäts-Journalismus.

Ja, es ist aktuell auch in Deutschland verdammt schwer, Pressefreiheit zu leben.

Martin W. Behring
Martin W. Behring
Martin W. Behring ist investigativer Journalist und lebt in Lübeck.

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