Die tonight, live forever oder Das Prinzip Nosferatu

Sonntag, 02. Dezember 2018, 18:30
Theater Lübeck – KammerspieleBeckergrube 16, 23552 Lübeck
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von Sivan Ben Yishai
übersetzt von Maren Kames
Uraufführung

»Nosferatu – tönt dies Wort nicht wie der mitternächtige Ruf eines Todesvogels.
Hüte Dich es zu sagen, sonst verblassen die Bilder des Lebens zu Schatten.«
 
Aus der Nacht wirkt das Prinzip Nosferatu und wölbt sich über die Gegensätze von Hell und Dunkel, Leben und Tod, Gut und Böse. Findet diese rastlose Grenzüberschreitung nirgends Ruhe? Wie wird dieses Untote erlöst? 

Sivan Ben Yishai überschreibt Murnaus Stummfilm »Nosferatu – Eine Symphonie des Grauens« von 1922 auf die Gegenwart. Ihr Text sprengt die Filmhandlung, die der Tanz auf der Bühne erzählt:
Der junge Makler Hutter lässt seine Braut Ellen in der Kleinstadt am Meer zurück, um den Vampir Nosferatu in den Karpaten aufzusuchen und ihm eine Ruine, direkt gegenüber von seinem Eigenheim, zu verkaufen. Ellen wird von Alpträumen und Ahnungen heimgesucht. Tatsächlich wird der geschäftstüchtige Makler vom Vampir gebissen, Hutter flieht zurück zu Ellen. Nosferatu folgt ihm, geht mit seinem Sarg an Bord eines Geisterschiffs, mit ihm legt die Pest in der Kleinstadt an. So sehr sich die liebende Ellen vor Nosferatu in der Ruine gegenüber fürchtet, so sehr zieht der Vampir sie an. In der Nacht gibt sie sich ihm hin, hält ihn bis die ersten Sonnenstrahlen in ihr Zimmer fallen und den Vampir vernichten – und alles Übel, das er mit sich brachte.

Sivan Ben Yishai schickt ihren Makler mit einem Chor der Untoten »in das Land der Gespenster«: nicht nur in den Karparten, überall herrscht mittlerweile das Untote. Sie versammelt Stimmen der Gegenwart, die dem Prinzip Nosferatu auf den Grund gehen.
Die saubere Fassade des normierten Lebens in der Kleinstadt verbirgt eine Nachtseite, zu der sich der Makler Hutter mittels einer App für schwule Männer Zugang verschafft. Online taucht er ein in eine nächtliche Welt, hier ist er kein Außenseiter. Er ergibt sich, lässt den Ehrgeiz und die Pflicht zu funktionieren sausen, doch findet er in Kontrollverlust, Sex und Drogen keine Erlösung.
Zeit und Raum in Ben Yishais Text sind aus den Fugen, Nacht und Tagwelt überlappen sich, Orte der Gegenwart werden aufgebrochen: Der Moment verströmt in Schichten und Untergründe von Vergangenheit, die Figuren – Untote der Gegenwartsdramatik wie das Stummfilmpersonal – verweisen auf einander ohne sich je zu berühren. Ihre geschäftigen Gedanken lenken Bahnen in die Weite der ewigen Zeit, die sämig wie im Traum fließt bis die Sprache ansetzt zu Sprüngen und in die Körper der Figuren dringt, in den Spieler*innen und Tänzer*innen selbst Bewegung im Körper wird.

Zwei junge Frauen in völlig verschiedenen Welten kämpfen, sich wie der Makler der verlockenden dunklen Macht zu ergeben, die sie aus dem gleißenden Getriebe ihrer Tage reißen würde. Die eine giert verzweifelt ehrgeizig nach Erfolg, sie will sich optimieren, ihren Körper, ihre Arbeit. Die Stimme ihrer Mutter klingt in ihr fordernd, vorwurfsvoll. Alles ist für diese Frau mit dem raschen Gedankenfluss eine Herausforderung. Dann spürt sie plötzlich einen Knoten in der Brust. 

Die Angst vor der Krankheit, vor Metastasen und Viren, Krebs und Aids, vor dem eigenen Tod treibt die Figuren an und außer sich. Die Frau lädt letztlich die Krankheit ein, sie einzunehmen und allen Funktionierens zu entledigen. 

Der anderen Frau verbietet die Erschöpfung jede Hektik und Aufregung, sie ähnelt der alpträumenden Ellen aus Murnaus Stummfilm. Diese Frau ist so erschöpft, sie will einfach nachgeben, den Helm aufsetzen, auf das Motorrad steigen und mit den beiden Männern mitfahren. Ohne zu wissen wohin, ohne zu wissen, was sie mit ihr anstellen werden. Sie ermahnt sich, ruft die warnende Stimme ihrer Mutter und gibt doch nach. Ihr müder Körper wird geöffnet, ihr werden Organe entnommen. Welche Organe fehlen, bleibt offen. Für 100 Euro. Ist es das Geld, das sie abhält, sich dem Tod zu ergeben, das sie weitermachen lässt?

In Murnaus Stummfilm erlöst die liebende Frau durch ihre Hingabe und ihr Sterben die Stadt von dem Vampir und allem Untoten. In der Bram Stokers Romanvorlage »Dracula« wird der Vampir gejagt und ein scharfes Messer durchbohrt das Herz des Vampirs. Sivan Ben Yishais Figuren verharren in der hohen Frequenz der Gegensätze, sich zu ergeben, weiter zu kämpfen.

Die Autorin Sivan Ben Yishai; 1978 in Tel Aviv geboren, seit 2012 lebt sie in Berlin; verfasst ihre Texte in englischer Sprache, die Maren Kames ins Deutsche übersetzt. Schon in ihrer Tetralogie LET THE BLOOD COME OUT TO SHOW THEM lässt die Autorin ihre Sprache über Grenzen von Zeiten und Orte hinweg auf den Körper kommen, wird der Text zum Körper selbst. 

Regisseurin Marie Bues und Choreographin Nicki Liszta inszenieren »DIE TONIGHT, LIVE FOREVER oder Das Prinzip Nosferatu« gemeinsam mit einem gemischten Ensemble aus Tänzer*innen und Schauspieler*innen.

Grafik © Panorama


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