Dr. Esther Sahle (Freie Universität Berlin)
Der Vortrag schildet die Ergebnisse einer Analyse des Tucher Archivs, einer Sammlung von Kaufmannsbriefen aus dem Nürnberg des 16. Jahrhunderts. Im Mittelpunkt stehen dabei Funktion und Rolle der Kaufmannslehrlingsausbildung im vormodernen Handel. Sie zeigen, dass die kaufmännische Ausbildung in dieser Zeit ganz anders organisiert war, als bisher angenommen: Die Ausbildung junger Kaufleute war prekär – sie bestand aus einer Reihe von Kurzzeitverträgen bei verschiedenen Meistern an unterschiedlichen Orten in ganz Europa.
Diese Form der Organisation erhöhte die Ausbildungskosten erheblich, da laufend neue Plätze recherchiert, verhandelt und finanziert werden mussten. Auch bestand für die Jungen jederzeit das Risiko, ihre Ausbildung nicht abschließen zu können. Dennoch diente sie einem wirtschaftlich rationalen Zweck: nicht nur wurden Lehrlinge zu Allroundern ausgebildet, was in einer Zeit besonders wichtig war, in der Kaufleute in der Lage sein mussten, neue Handelsrouten und aufstrebende Märkte zu erschließen. Sie ermöglichte es der Kaufmannschaft auch, potenzielle neue Mitglieder über einen längeren Zeitraum zu prüfen, bevor sie ihnen als Vertreter in fernen Märkten Güter und Kapital anvertrauten. Dies trug dazu bei, Netzwerke zu erweitern und die Handelsexpansion überhaupt erst zu ermöglichen.
Foto: (c) Olaf Malzahn