Yoonki Baek (Tonio), Andrea Stadel (Marie), Foto: (c) Olaf Malzahn

Donizettis „Regimentstochter“ in Lübeck
Klamauk und Grauen - und warum man das Leben für die Liebe schonen soll

Wenn ein Opernhaus Gaetano Donizettis „Die Regimentstochter“ im Jahresprogramm verzeichnet, wird man als Leser erst einmal schlucken. Wie wohl diese so wohlklingende Kasernenhofklamotte von 1840 in unserer Zeit aufzubereiten wäre, hinterlässt ein großes Fragezeichen auf der Stirn. Jetzt, genau am 8. März 2024, konnte man sich überzeugen, dass eine Opéra-comique auch mit dem Grauen spielen kann. So aufbereitet hatte sie in Lübeck grandiosen Premieren-Erfolg.

Dabei lief es zunächst gar nicht gut. Die Sängerin der Marie, der Protagonistin, erkrankte nur zwei Tage vor der Premiere. Sie ist lange schon an diesem Theater, bekannt als vielseitige und sich immer für ihre Rollen intensiv einsetzende Sängerin. Sie wird selbst am meisten bedauert haben, nicht auf der Bühne stehen zu können. Aber das Theater hatte das Glück des Tüchtigen. Immer schon waren in Lübecks Opernstudio zusammen mit der Musikhochschule junge Aspiranten ausgebildet worden, stimmlich wie darstellerisch, weibliche wie männliche. So war es auch hier. Elvire Beekhuizen, eine junge Holländerin und bereits als lyrische Koloratursopranistin geschult, hatte von vornherein miterlebt, wie Andrea Stadel sich ihre Partie als Marie aneignete. Zwei Proben genügten nun, sie vollgültig einzusetzen. Das rettete die Premiere und begeisterte das Publikum.

Andrea Stadel (Marie), Yoonki Baek (Tonio), Laurence Kalaidjian (Sulpice), Chor des Theater Lübeck, Statisterie des Theater Lübeck, Foto: (c) Olaf MalzahnAndrea Stadel (Marie), Yoonki Baek (Tonio), Laurence Kalaidjian (Sulpice), Chor des Theater Lübeck, Statisterie des Theater Lübeck, Foto: (c) Olaf Malzahn

Die Urfassung

Es bekam eine Oper zu sehen, die die eher unbedarfte Geschichte kräftig umbaute. Immerhin schlug die Urfassung schon ein paar sozialkritische Töne an. Sie wollte die adlige Gesellschaftsform attackieren und für den Wehrstand der Soldaten Partei ergreifen. Das wäre wohl auch gegenwärtig ein Thema, um die Bundeswehr wegen der schiefen Weltlage aufzuwerten. Regisseur Pier Francesco Maestrini, der in Lübeck und in Kiel schon ein paarmal erfolgreich inszeniert hatte, fand jedoch wieder mit Hilfe einiger Comics theatralisch auf- oder eindringlichere Lösungen. Er blickte weit in die Zukunft und versetzte die Handlung ins Jahr 2221. Da sah er eine Welt, der durch Klimawandel und Atomkrieg die biologische Vielfalt und ihr kulturelles Leben abhandengekommen war.

Gelbe Fässer mit strahlendem Inhalt auf der Bühne waren dafür grelles Indiz, auch hörbares, wenn sie für Heavy Metal-Attacken herhalten mussten. Dafür hatte Juan Guillermo Nova ein raffiniertes Bühnenbild unter anderem mit Perspektiven à la Fensterblick gestaltet, darunter auf vier Monitoren auch Landschaften, eine mit verdorrter, wüstenartiger Kargheit, eine andere mit zerbombten Ruinen und einem darüber hinwegfliegenden, furchteinflößenden Bombergeschwader. Zunächst bevölkerte eine Gruppe aufmüpfiger Helden den Raum, in ihrer Mitte eine junge Frau mit Lederweste, Pilotenkappe und grüner Cargohose. Aller Verhalten verdeutlichte, sie hätten den Glauben nicht verloren, machten nur das sprunghafte Känguru in dieser zerstörten Welt zur göttlichen Instanz, während die übriggebliebene Menschheit sich neu zu organisieren plagte.

Andrea Stadel (Marie), Yoonki Baek (Tonio), Chor des Theater Lübeck, Statisterie des Theater Lübeck, Foto: (c) Olaf MalzahnAndrea Stadel (Marie), Yoonki Baek (Tonio), Chor des Theater Lübeck, Statisterie des Theater Lübeck, Foto: (c) Olaf Malzahn

Viel von ihr war nicht geblieben. Eine Gruppe Männer gab es noch, ehemals Soldaten, die sich neu ausrichteten. So benötigte Marco Nateri Kostüme in größerer Anzahl für all die Mannen des Opernchores. Es war der altgediente Putz von und für Rocker oder Punks, der irgendwo in der Requisite aufzutreiben war und den Geruch von Rebellion an sich hatte. Nur ihrer kranken Kopfhaut sah man an, dass sie gerade trotz nuklearer Strahlung überlebt und ihre protzende Kraft wiedergewonnen hatten. Dennoch hatten sie sich etwas Menschlichkeit bewahrt, die reichte, um vor etlichen Jahren, es mochte 2205 gewesen sein, aus den Trümmern ein kleines Mädchen zu ziehen und es aufzupäppeln. Vor allem Sulpice (Laurence Kalaidjian mit herrlich kernigem Bariton) wurde ihr Vaterersatz und zog sie liebevoll auf, gab ihr auch die Ideale, vor allem aber den den Rockern angepassten musikalischen Geschmack. Es machte nicht den Eindruck, dass es eine besondere Herausforderung war, diesen dem Donizetti-Stil anzupassen. Auf jeden Fall erzeugten die Schlagzeuger ein kleines Rockkonzert, dessen Lautstärke zu verkraften war.

Der Adel

Mit einigen Exemplaren hatte auch die Gegenwelt überlebt, sie aber, wie es sich gehört, mit weit weniger Blessuren. So konnte die alte Geschichte aus der Romantik mit nur ein paar Umfärbungen beibehalten werden und die Rührseligen begeistern. Dazu gehört nun einmal der Liebende, der zwischen den Welten changierende Toni, einst ein junger Tiroler, der sich schließlich mit Geschick der Gunst Maries und der der Bande versichern konnte. Nur eins hatte er seiner Marie zu erfüllen, dass er das Leben für die Liebe schonen soll! Grandios wie Yoonki Baek quasi als Dank dafür, dass alle zustimmten, achtmal das hohe C aus sich herausschleuderte!

Chor des Theater Lübeck, Foto: (c) Olaf MalzahnChor des Theater Lübeck, Foto: (c) Olaf Malzahn

Neben dem jungen Paar lieferte ein zweites Komik pur. Da war zunächst und die als Dame von Rang zuerst zu nennende und äußerst couragierte Marquise von Berkenfield. Was sie war, Tante von oder gar Mutter Maries, wurde nie so recht klar, muss es auch nicht, da man diesem Zweifel den zweiten Akt verdankt. Wichtiger ist, dass sie es gekonnt gleich mit allen Männern aufnahm, so dass das Verhältnis der Geschlechter egal wie aufging (wunderbar aufgelegt und prächtig bei Stimme Laila Salome Fischer, zunächst im ersten Akt hübsch kariert, klein oder groß, gelb strahlend, aber anders im zweiten, wo sie in ihrem Kulturinstitut operierte). Ihr zur Seite und ihr Halt gab im Getriebe ihr Leib- und Hofmeister, der nicht nur seine Chefin zu retten, Marie auch das Ballett-Tanzen beizubringen hatte. Welches Theater hat schon solch einen Hortensius oder Steffen Kubach!

Er sei nicht vergessen, der mustergültig für die Instrumentalisten immer dabei war, vom Vorspiel an bis zum Schlussakkord, und auch seinen Beistand für alle nicht aus dem Auge ließ. Es war Takahiro Nagasaki, der mit dem Philharmonischen Orchester der Hansestadt Lübeck aus dem Graben heraus agierte.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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