Agnes Mann, Foto: Kerstin Schomburg

Elfriede Jelineks oder Marie Bues‘ Versuch, „Das Licht im Kasten“ zu sehen
„Alles muss immer ganz neu sein“

Abergläubige könnten Anstoß nehmen, die letzte Premiere am Theater Lübeck hatte im April 2018 ausgerechnet an einem Freitag, den 13., Premiere.

Angekündigt war ein Werk Elfriede Jelineks, das in Rowohlts Theaterverlag unter „Das Licht im Kasten (Straße? Stadt? Nicht mit mir!)“ veröffentlicht ist. Von diesem barock überladenen Titel strich man kurzerhand die Parenthese und dann flugs eine Menge mehr. Denn was die österreichische Nobelpreisträgerin darunter ankündigte, dreht sich im Kern um Mode. Und Mode ist es im Theater lange schon, lange Texte zu wählen und sie dann einzudampfen. Darüber später.

Rachel Behringer, Agnes Mann, Foto: Kerstin SchomburgRachel Behringer, Agnes Mann, Foto: Kerstin SchomburgFür die Dramaturgie oder Regie oder das ganze Ensemble entsteht daher erst einmal die Frage, was Jelineks Vorlage überhaupt ist, ein einziger Monolog, ein Hörspiel oder Bühnenstück? Personen oder Rollen gibt es nicht, Elfriede Jelinek legt sich nicht fest. „Besetzung variabel“ heißt es. Damit hat die Regie die Last oder Chance, etwas aus dem Stück zu machen. Marie Bues machte das eigenwillig, auch intensiv, nutzte theatralische Versatzstücke, die man herstellen kann (Bühne: Indra Nauck), tat es mit überbordender Bewegung und teils artistischen Verrenkungen oder Strapazen, die sie und die Choreografin Nicki Liszta den Spielern abverlangten. Mal ist es ein atemnehmender Stampftanz im Sechser-Takt, mal ein Catwalk auf schiefer Ebene, mal ein Herumschieben von Bühnenelementen, mal ein Hin- und Zurück-Paradieren in skurriler Verkleidung (Kostüme: Claudia Irro), ganz zu schweigen von den Bewegungskünsten einer Tänzerin auf einer Minibühne inmitten der Sitzreihen oder dem halben Strip einer anderen auf dem gleichen Plateau.

Seit Januar 2017 experimentiert die Kulturwelt mit diesem Text. Das begann in Düsseldorf, der Hauptstadt der Mode und nun des Versuchs einer ersten Bühnenadaption. Dann produzierte der Bayerische Rundfunk mit ChrisTine Urspruch eine Version, die ihn dem Hörspiel zuordnet, wie es auch der Wikipedia-Artikel über die Verfasserin tut. Mit einer neuerlichen Bühnenlösung folgte wenig später das Theater in Saarbrücken, dann eines in Göttingen und jetzt unseres in Lübeck. Sehr unterschiedlich sind die Ergebnisse, schon an der Zahl der Mitwirkenden abzulesen: In Düsseldorf waren es sechs Damen, Göttingen kam mit der Hälfte aus, während Saarbrücken drei Damen und drei Herren auf die Bühne schickte. In Lübeck entschied man sich für drei weibliche und zwei männliche Akteure und eine Tänzerin, die auch stimmlich sich präsentierte.

Sophie Pfennigstorf, Foto: Kerstin SchomburgSophie Pfennigstorf, Foto: Kerstin SchomburgDas Lübecker Ergebnis wirkt dennoch abstrakt, bestenfalls revuehaft. Die Bühnenelemente leisten dem Vorschub. Die Fläche im Publikum ist schon erwähnt, eine schräger Laufsteg auch, nur nicht, dass er auf Rollen beweglich und verschiebbar ist. Ein Vorhang aus Lamellen trennt die Vorderbühne von dem hinteren Teil und ist geeignet für Projektionen und zum Herabreißen. Dann ist da noch eine Brücke, die über den Laufsteg zu schieben geht, oben drauf ein von Neonlicht umfasster Kussmund. Ein wenig interpretierbarer Regieeinfall ist der, zum Schluss die Wände der Bühne hinten und an den Seiten zu entblößen, wie es vor knapp einem Monat auf der Bühne im Großen Haus vorpraktiziert wurde, doch auch da nicht neu. Noch weniger zu verstehen ist, dass zu irgendeiner Zeit im Zuschauerraum links die Verdunklung herabgeht.

Die Fragezeichen, die der Zuschauer im Gesicht trägt, haben ihre Ursache allerdings im Text. Elfriede Jelinek „gestaltet“ ihn als Gedankenstrom, manchmal witzig, manchmal abstrus, manchmal provozierend. Sie bewundert die Mode und lehnt sie ab, ist für und gegen vieles, aber richtungslos – und deshalb ermüdend. Sie kleidet in das weit- wie weltläufige Thema so ziemlich aus, was der Zeitgeist hergibt. Was als Pflicht zur Orgie beginnt, sucht bei Gisele Bündchen, H&M und Armani oder einem Bikini im Kasten nach Erleuchtung, nach Gründen dafür, warum alles immer modisch sein muss, warum sie, wenn geschaffen, schon wieder alt ist, warum sie uns und die Welt verdirbt. Garniert wird das Thema mit Schönheitschirurgie oder Ökologie, mit Linguistik oder Heideggers Philosophie. Nur eine Antwort darauf, warum der Mensch als fellloses Tier nicht einfach nackt oder noch immer im Bärenlook spaziert, kann untergegangen sein – oder gestrichen.

Marie Bues will den Text gliedern, verpackt ihn in lange Monologe. Warum vertraut sie nicht auf das dem Theater Wesentliche, den Dialog? Die Spieler stehen nebeneinander, agieren gleichzeitig, aber nicht miteinander. Allenfalls die Musik von Kat Kaufmann schafft eine gewisse Ordnung, gibt z. B. der langen Schlussszene in sterilem Lindgrün einen sakralen Rahmen. So ist der Zuschauer zum Schluss dann doch da, wohin ihn Elfriede Jelinek haben will: Sie will (laut Programmheft) „seicht sein“ und „Bewegung und Stimme … nicht zusammenpassen lassen“. Ist das modern, und wenn, wie lange?

Sophie Pfennigstorf,  Agnes Mann,  Rachel Behringer,  Johann David Talinski,  Patrick Berg, Foto: Kerstin SchomburgSophie Pfennigstorf, Agnes Mann, Rachel Behringer, Johann David Talinski, Patrick Berg, Foto: Kerstin Schomburg

Die Akteure geben alles, sind bewundernswert in ihrer Gedächtnisleistung, ihrer Sprechkultur und Kondition. Da sie keine Rollen haben, können sie nur als Mitglieder eines Kollektivs wirken: die Tänzerin Ariel Cohen, Rachel Behringer, Agnes Mann, Sophie Pfennigstorf, Patrick Berg und Johann David Talinski.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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