Andrea Motis & Band

Jazz Baltica
Andrea Motis & Band

Eine halbe Stunde vor Beginn des Konzertes drängt sich in der Lobby des Maritim Timmendorfer Strand, dessen Großer Saal auch in diesem Jahr wieder eine der zentralen Spielstätten der JazzBaltica darstellt, eine Menge in Erwartung des bevorstehenden Kampfes um die besten Plätze. Am Verkaufstisch ein Getränk zu erstehen fällt schwer angesichts der Ellbogen und Rucksackkanten, die einem den Rücken traktieren.

Nachdem jeder und jede einen mehr oder weniger zufriedenstellenden Platz ergattert hat, stürmt Nils Landgren die Bühne voller Dynamik. Er empfängt die anwesenden mit emporgereckter Faust und einem „YEAH!“, das eine Weile über den Köpfen der Anwesenden in der Luft hängt und das Fundament für diesen Abend legt. Landgren stellt die aus Katalonien stammende Künstlerin vor mit dem Hinweis, sie wisse ja überhaupt noch gar nicht, wie das hier im Norden „so läuft“. Gejohle und Gelächter aus dem Publikum. Schon jetzt ahnt man, dass die Vollbestuhlung des Saals der ausgelassenen Stimmung ein Stück weit entgegenstehen wird.

Andrea Motis betritt die Bühne barfuß und hochschwanger. Die Band der 28-Jährigen besteht aus Arecio Smith an den Keys, Magalí Datzira am Bass, Miguel Asensio am Schlagzeug und dem Österreicher Christoph Mallinger, der ein beeindruckendes Arsenal an Saiteninstrumenten vor sich aufgebaut hat. Neben Gitarren und Mandoline bringt er auch eine Geige regelmäßig ins breite Klangspektrum der Gruppe ein. Übrigens sei er auch der Vater ihrer Kinder, das zu betonen lässt Andrea Motis sich nicht nehmen. Sie selber beschränkt sich an diesem Abend auf Vocals und Trompete, obwohl man sie zu anderen Gelegenheiten auch schon mal am Saxophon zu hören bekommt.

Christoph Mallinger an der MandolineChristoph Mallinger an der Mandoline

Andrea Motis gehört einer neuen Generation von Jazz-Talenten an, die, von Anfang an begleitet von Social Media, scheinbar am liebsten alles selber machen würden. Jacob Collier ist auch so einer. Trotz ihres jungen Alters hat die Künstlerin, die ihr erstes Studioalbum bereits mit 15 Jahren veröffentlichte, schon eine gewisse musikalische Entwicklung durchlebt. Und diese spiegelt sich auch in den Songs wieder, die sie an diesem Abend präsentiert und die mehrheitlich auf ihrem neuesten Album „Loopholes“ aus dem vergangenem Jahr zu finden sind.

Musikalisch geschieht vor allem erst einmal: Verschiedenes. Langweile kommt zu keinem Zeitpunkt auf, es ist unverkennbar, dass die Musizierenden mit ganzem Herzen hinter der Musik stehen, die sie präsentieren - zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass ich mich als Zuhörer bei aller klanglicher Fülle zuweilen auf die Suche nach dem Groove begeben möchte.. Dieser droht, obwohl zweifellos vorhanden, vor einer überladenen Klangkulisse zwischenzeitlich unterzugehen, bevor er zwischen Fills und Taktwechseln kurz vorbeischaut oder einen am Ende eines Solos unvermittelt überfällt.

Ein Highlight stellt definitiv der Gastauftritt Nils Landgrens dar, der mit verschiedenen Bandmitgliedern Doppelsoli aufnimmt. Beim Wechselspiel mit Andrea Motis lässt die Newcomerin, sofern man sie denn noch als solche bezeichnen möchte, dem alten Hasen wenig Raum, was sich allerdings nicht negativ auf die Performance auswirkt. Landgren hat genügend Klasse und Erfahrung, um auch als Sidekick zu glänzen. Trotz Generationenunterschied harmonieren Trompete und Posaune hier glänzend und verdeutlichen, dass der Jazz keine Altersgrenzen kennt.

Doppelsolo: Nils Landgren und Christoph MallingerDoppelsolo: Nils Landgren und Christoph MallingerAls offiziell letztes Stück kündigt Motis Calima an, in dem ein deutschsprachiges Gedicht vertont wird, das Mallinger über das namensgebende Naturphänomen auf den Kanarischen Inseln, einen wiederkehrenden Sandsturm, verfasst hat. Was der Österreicher auf seiner Geige im folgenden veranstaltet ist betörend anders, nimmt die Zuhörenden mit in eine musikalische Sphäre irgendwo zwischen Rimski-Korsakovs Hummelflug und dem Soundtrack eines Sience-Fiction Blockbusters.

Leider begleiten technische Probleme den insgesamt gelungenen Auftritt über die gesamte Dauer. Als zunächst Probleme mit dem Bass eine kurze Pause erforderlich machen, fällt das noch nicht so sehr ins Gewicht, denn Mallinger weiß zu überbrücken: Wer denn im Publikum Kinder habe, fragt er. „Hatten Sie geahnt was kommt? Ich auch nicht. Aber dann ist man so drinnen, wie in der Musik wahrscheinlich auch, und dann… macht man halt ein Zweites.“

Dass Motis im weiteren Verlauf allerdings immer wieder nur über ihren Bühnenmonitor verstärkt wird, man sie eine ganze Strophe lang kaum zu hören bekommt bevor die Unterstützung über die Saalboxen schlagartig und unsanft zurückkehrt, kann eigentlich nicht Anspruch eines Festivals vom Format der JazzBaltica sein.

Andrea Motis an der TrompeteAndrea Motis an der Trompete

Dessen ungeachtet gestaltet sich der Applaus langanhaltend, vereinzelt erheben sich Begeisterte zu Standing Ovations. Nils Landgren steht beinahe drohend im Schatten der Bühne, als wolle er vor einer Zugabe für das frenetisch jubelnde Publikum warnen. Schließlich steht nach kurzer Pause bereits der nächste Auftritt des Norwegers Nils Petter Molvær an, der eher Landgrens Generation entstammt. Als Andrea Motis die Bühne verlässt, klatscht sie mit Landgren ab und grinst dabei, als hätte sie bei einem Endspiel das entscheidende Tor erzielt. Respekt gebührt ihr für diesen Auftritt allemal.

Fotos: Leonhard Calm


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