Dirigent Herbert Blomstedt in der Lübecker MuK, Foto: (c) Olaf Malzahn

Das achte Konzert der Elbphilharmoniker
Ein außergewöhnlicher Saisonabschluss

In einem Monat, am 11. Juli, wird der Dirigent Herbert Blomstedt 96 Jahre alt. Man darf uneingeschränkt bewundern, wie er immer noch seine Aufgabe bewältigt, zumal beide Werke an diesem Abend, das Violinkonzert von Johannes Brahms und die fünfte Sinfonie des Dänen Carl Nielsen, so anspruchsvoll wie kompakt sind.

Zugeständnisse an seinen Körper muss er machen, wenn er beim Gang zum Podest sich stützen lässt und dort auf einem Hocker Platz nimmt. Dann aber vergisst der Konzertbesucher das würdige Alter, staunt allenfalls über die Vitalität beim Dirigieren, über akkurate Einsätze und sein Führungsbewusstsein. Es ist alles ein Können, das sich in 69 Jahren vor großen Orchestern gefestigt hat. Musik ist ihm immer schon Passion.

Die Elbphilharmoniker kennt er und die Musiker ihn. Es ist eine alte Vertrautheit, die vor allem darauf zu gründen scheint, dass er im August 1996 für zwei Jahre den Chefposten bei ihnen hatte, bevor er als Nachfolger von Kurt Masur zum Gewandhausorchester nach Leipzig wechselte. Auch in Lübeck hatte er sehr viele Auftritte. Das begann schon vor 1994, als die MuK entstand und der NDR begann, in Lübeck pro Jahr acht Sinfoniekonzerte anzubieten. Bereits das dritte in der MuK dirigierte er, damals noch als Gast.

Das 8. Sinfoniekonzert der Elbphilharmoniker in der Lübecker MuK, Foto: Hildegard PrzybylaDas 8. Sinfoniekonzert der Elbphilharmoniker in der Lübecker MuK, Foto: Hildegard Przybyla

Paul Hindemith und Franz Adolf Berwald, einen Schweden mit deutscher Herkunft, und noch Brahms‘ Doppelkonzert hatte er im Programm. In seiner Zeit als Chefdirigent lernte das Lübecker Publikum ihn immer stärker kennen, seine etwas knorrige, aber präzise Art zu dirigieren, seine bestimmte, zugleich immer freundliche, im Verhältnis zu den Musikern erkennbar freundschaftliche Art. Durch ein riesiges Repertoire beeindruckte er und durch besondere Programme. Wie oben sichtbar, war die klassische Moderne und die Musik seiner skandinavischen Heimat bekannt zu machen ihm ein Anliegen. All das kam in den vielen Konzerten in Lübeck an, so dass seine Konzerte immer gut besucht waren, auch dieses, das letzte einer sonst mager besuchten Saison.

An ein Konzert in der MuK, eines im Januar 1998, sei noch kurz erinnert. Blomstedt hatte einen der Orchestermusiker in der exponierten Stellung als Solisten dabei. Es war Roland Greutter, seit 1982 Erster Konzertmeister im Orchester, das damals NDR-Sinfonieorchester hieß. In Alban Bergs empfindungstiefen Violinkonzert hatte er den Solo-Part übernommen. In der Folgezeit konnte man ihn immer mal wieder exponiert erleben, auch in dieser Saison, Ende März im sechsten Konzert der Reihe. Dort gestaltete er mit dem Cellisten Daniel Müller-Schott die Zugabe, eine höchst virtuose Passacaglia des Schweden Johan Halvorsen.

Nach diesem Vorbild wurde in diesem letzten Konzert (9. Juni 2023) die Zugabe abermals ein Duett des Solisten, des Griechen Leonidas Kavakos, mit Roland Greutter. Die Idee lag nahe, sich bei Béla Bartóks „44 Duetten“ zu bedienen. Brahms hatte schließlich in seinem Violinkonzert im letzten Satz einen eindeutig ungarischen Klang gefunden, geschuldet dem ungarisch-deutschen Freund und Geiger Joseph Joachim, dem er das Konzert widmete. Viele Anregungen für den Violinpart hatte er von ihm bekommen und auch die Kadenz für den ersten Satz stammte von ihm.

Roland Greutter und Leonidas Kavakos, Foto: Hildegard PrzybylaRoland Greutter und Leonidas Kavakos, Foto: Hildegard Przybyla

Das Publikum freute sich über diese selten zu hörende Kammermusikzugabe, die sich auch Blomstedt interessiert von der Seite aus anhörte. Ein Wermutstropfen dabei war, dass es für Roland Greutter der letzte „amtliche“ Einsatz als Erster Konzertmeister in Lübeck war.

Ganz unaufwändig, und das passt so ganz zum Wesen dieses Mannes, dirigierte Herbert Blomstedt beides, das Violinkonzert und die Sinfonie. Anfangs hatte man sogar das Gefühl, dass er dem Solisten Leonidas Kavakos im Brahms-Konzert einen ruhigen Hintergrund geben wollte, um das Lyrische des Satzes und von dessen Spiel zu betonen. Der nutzte es zunächst, alle Klangschönheit seiner Stradivari auszuspielen und seinen Part durchhörbar wie selten und bedacht zu entwickeln. Kavakos war 20/21 „Artist in Residence“ und hatte damit zu dem großen Orchester eine deutlich zu spürende Vertrautheit, auf der er aufbauen konnte. Vor allem im zweiten Satz konnte sich der melodiöse Gesang sehr fein im Zusammenspiel mit der sorgfältigen Begleitung entfalten, bevor im Finalsatz Spielfreude und Temperament kulminierten. Bei allem beeindruckte das thematische Spiel mit dem Orchester, während Kavakos fließende Technik eine so wunderbare Leichtigkeit hatte, dass diese Seite seines Könnens wie selbstverständlich und unspektakulär wirkte.

Wie immer leitete Blomstedt auch die ungewöhnliche, vielen wohl unbekannte fünfte Sinfonie von Carl Hansen ohne Stab. Anfang der zwanziger Jahre des letzten Jahrhunderts ist sie entstanden, also gerade einhundert Jahre alt. Ungewöhnlich ist sie nicht nur in der Satzanlage. Nur zwei Sätze folgen einander, beide noch vielfältig unterteilt. Der erste wird durch die Polarität von einem romantisch klingenden Beginn zu einem marschmäßigen Teil, der vor allem durch eine aufdringliche Schnarrtrommel bestimmt ist. Im zweiten fallen vor allem die rasenden Streicherfiguren auf und zwei weite und fugierte Teile. Das alles klingt nach Vertonung eines Programms, das aber von Nielsen wohl nicht beabsichtigt ist. Das Programmheft zitiert ihn lediglich mit der Absicht „Kraft der Ruhe gegenüber der Kraft des Aktiven“ gestalten zu wollen. So schwebt Geheimnisvolles über der so vitalen, wie packenden Wiedergabe, die befremdet wie animiert. Das Orchester und sein ehrwürdiger Dirigent erhielten langen, ja heftig zustimmenden Beifall.

Standing Ovations für Herbert Blomstedt, Foto: Hildegard PrzybylaStanding Ovations für Herbert Blomstedt, Foto: Hildegard Przybyla

Das Konzert wurde mit diesen beiden Werken zum unvergesslichen Ereignis, nicht nur durch die erstaunliche Frische des Dirigenten, der durch die große Meisterschaft des Orchesters wieder glaubhaft die elementare Kraft der Musik erleben ließ. Der Respekt des Publikums, das minutenlang im Stehen applaudierte, galt deshalb zwar vor allem dem Dirigenten Herbert Blomstedt, bezog aber das Orchester ein.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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