Stefan Vladar, Foto: (c) Olaf Malzahn

3. Sinfoniekonzert der Lübecker Philharmoniker
Beifall und Bravos im Stehen

Eine große Würdigung der gemeinsamen Leistung von Cellist Mischa Maisky, Dirigent Stefan Vladar und der Lübecker Philharmoniker bei ihrem dritten Saisonkonzert.

„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“. Das ist eine Zeile aus Hermann Hesses (1877-1962) Gedicht „Stufen“. Stefan Vladar, Lübecks neuer GMD, hatte sie seinem Textbeitrag des Programmheftes für die Spielzeit 2019/2020 am Theater Lübeck vorangestellt. Drei Konzerte bislang mit dem Philharmonischen Orchester, dessen Chef er seit dieser Saison ist, waren zu erleben und eine Operneinstudierung unter seiner Verantwortung, die der „Rusalka“, - und dieser Zauber eines Neubeginns hält an. Er bestimmte offenbar auch die Erwartung im dritten Abonnementskonzert, zu dem ein für die Montagskonzerte ungewöhnlich großes Publikum gekommen war. Schon beim Auftritt begrüßte es das Orchester, dann den Solisten und den Dirigenten mit herzlichem Applaus – wie alte Bekannte.

Zu Beginn war ein Weltstar im Cellospiel zu erleben, der in Lettlands Hauptstadt Riga geborene Mischa Maisky. Dass seine Geburtsstadt damals unter sowjetischer Herrschaft stand, hat seine Biografie bestimmt, die zwei Jahre Arbeitslager und eine abenteuerlich anmutende Folgezeit ausweist. Der abstruse Vorwurf war, dass seine Schwester (!) nach Israel außer Landes ging. Das hat sicher seinen Einsatz für Dmitri Schostakowitschs erstes Violoncellokonzert mit beeinflusst, denn auch der Komponist war der Willkür der Staatsgewalt ausgesetzt – in anderer Weise und aus künstlerischen Motiven. Aber er reflektiert das in seinem Schaffen und in einer Art, die die Musik dennoch ohne diesen Rekurs verständlich und wirkungsvoll sein lässt. Das bezeugte unter anderem seine 5. Sinfonie (1937), die „optimistische Tragödie“ (Alexej Tolstoi), die im letzten Sinfoniekonzert der Lübecker Philharmoniker erklang.

Mischa Maisky, Foto: (c) Hideki ShiozawaMischa Maisky, Foto: (c) Hideki ShiozawaUnd das bezeugt auch das Cellokonzert, 1959, nur wenige Jahre nach dem Ende der Stalin-Ära entstanden, in einer Zeit, die man mit „Tauwetter-Periode“ etikettiert. In diesem Werk ist zu hören, wie Schostakowitsch sich befreit fühlt, entlastet von den schlimmen Arbeitsbedingungen in den vergangenen Jahren. Gleich der erste Satz bekräftigt sein erstarktes Selbstbewusstsein, sein neues Freiheitsgefühl durch den trotzigen Gebrauch des Motivs „C-H-Es-D“. Es ist aus den Buchstaben entstanden, die als Töne in seinem Namen vorkommen. Es ist zugleich ein Motiv, das mit seinen zwei charakteristischen Halbtonschritten eng dem B-A-C-H-Motiv verwandt ist. Grandios, wie Maisky das motorisch trotzig skandierte, den vehementen Gestus einer grotesken Selbstbehauptung im gesamten ersten Satz durchführt. Der folgende, weit gespannte Moderato-Satz begann mit einem eindringlich gestalteten Cantus, auch hier faszinierend, wie der Solist seinen Part melodiös gestaltete, klangvoll vom Flageolett bis zu sonorer Tiefe, auch im Zusammenklang mit Solistimmen im Orchester.

Der Komponist versteht zu instrumentieren, wenn er das Cello mit der Celesta verbindet oder den Streichern oder dem Horn. Man spürte zudem, dass Schostakowitsch mit dem bedeutenden Cellisten Mstislaw Rostropowitsch bei der Konzeption des Soloparts zusammengearbeitet hatte, der es auch uraufgeführt hatte. Vieles aus seiner intimen Kenntnis hat er wohl an seine Schüler weitergegeben, darunter Mischa Maisky, dem man die authentische Interpretation in jeder Note abnahm. In ihr wurde der monologische dritte Satz, ungewöhnlicherweise eine Solokadenz, die auf Themen der vorherigen Sätze zurückgreift, zum Zentrum des Werkes. Die Intensität seiner Gestaltung fand dann in dem übersprudelnden Temperamentsausbruch des Finalsatzes ein grandioses Ende.

Man muss schon sehr mit dem Werk vertraut sein, wenn man alle biografischen Bezüge bemerken will, wie etwa den, dass das zum Volkslied gewordene „Suliko“, Stalins Lieblingslied, im letzten Satz zitiert wird. Das georgische Suliko bedeutet Seele und wird in grotesk verzerrter Form verarbeitet, eine Revange dafür, wie Stalin, der Georgier, Schostakowitschs musikalische Kunst fehldeutete und behinderte. Aber auch ohne dieses Wissen begeisterten Werk und der interpretierende Solist. Er löste lang anhaltenden Beifall aus, bei dem es kaum einen Zuhörer auf seinem Sitz hielt. Drei Zugaben folgten, zusammen mit dem Orchester Schostakowitschs Bearbeitung einer Klavierkomposition Tschaikowsky, eines Nocturnes, und dann zwei Sätze aus Bachs Cello-Sonaten.

Stefan Vladar, Foto: (c) Olaf MalzahnStefan Vladar, Foto: (c) Olaf Malzahn

Die erste Zugabe führte feinsinnig bereits vor der Pause in die romantische Klangwelt von Peter Tschaikowskys Fünfter Sinfonie ein. Sie beginnt mit einem dunklen, rhythmisch pointierten Motiv, in dem der Komponist das „unergründliche Walten der Vorsehung“ hörte. Fahl und resignativ klingt es. Somit ist diese Sinfonie wie das Cellokonzert als ein Werk zu hören, das sich mit dem Biografischen eines Komponisten verbindet. Alle Sätze durchzieht dieses Thema, es wird dadurch in identischer Weise wie bei Schostakowitsch die Tonfolge aus seinem Namen zu einem sehr wandelbaren Grundmotiv. Wie Stefan Vladar dieses Motiv spielen ließ, mit Ruhe und in seiner eigenen Klangwelt, gab die Richtung vor, betonte auch den Unterschied zu der Schostakowitschs. Dennoch ist diese Ausdruckswelt nicht minder erregt, wie die Fortführung belegt, aber sie spricht in anderer Weise von den Qualen einer schöpferischen Existenz, weniger expressiv.

Das Orchester folgte Vladar aufmerksam. Vor allem die Holzbläser hatten im ersten Satz wunderbar klingende Partien, die Streicher übernahmen mit selten sensiblem Ton. Im lyrischen Teil des zweiten Satzes stach das Horn hervor, bevor das Leitthema, diesmal in beherzter Form, wieder auftrat. Wenn dann im dritten Satz, ein Scherzo, das Schicksalsmotiv nur kurz erscheint, hat es eine ganz andere Ausdruckssphäre, wirkt wie ein Memento in einer Salonszene mit verhaltener Walzerseligkeit. Das war von Vladar und dem Orchester dynamisch beeindruckend differenziert gestaltet, nicht nur bei vordergründigen Forte-Partien. Erfreulich vor allem, wie sorgsam die melodischen Wendungen behandelt wurden, auch mit lebendiger Agogik. Alles entspannte sich dann im Finale, das Valdar klug aufbaute, um mit Tempo- und Klangsteigerung die grandiose Wirkung herauszuholen, der der Fünften Tschaikowskys ihre große Beliebtheit verdankt.

Stefan Vladar, Foto: (c) Olaf MalzahnStefan Vladar, Foto: (c) Olaf Malzahn

Es war nicht nur der „Zauber des Anfangs“, der dieses Konzert herausragen lässt, es ist der Leistungswille eines neuen Chefs und seines Orchesters, das mit seinem Einsatz den Erfolg ermöglicht. Und es ist zudem auch dem Verein „Philharmonische Gesellschaft/Lübecker Philharmoniker“ zu danken, dessen Spende die Einladung eines Cellisten von Weltruf ermöglichte. Das Publikum jedenfalls zeigte sich dankbar, applaudierte nach beiden Werken lang und ausdauernd und im Stehen.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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