Christian Tetzlaff, Foto: (c) Giorgia Bertazzi

Die Elbphilharmoniker in der MuK
Viel Ungewöhnliches zum Saisonabschluss

Ganz so einfach war es für etliche Besucher des achten und letzten Saisonkonzertes der Elbphilharmoniker (25. Mai 2019) doch nicht, mit György Ligetis Violinkonzert zurechtzukommen.

Das Programmheft zitiert den Komponisten zwar mit dem Satz: „Man kann die Musik sinnlich erleben, auch wenn man ihre Struktur nicht versteht.“ Dennoch war das Gehörte vielen wohl so fremd, dass sie es nur ablehnten, darunter eine Besucherin, deren lauter Abgang unbeabsichtigt oder nicht, jedenfalls aber störend und schlicht ungezogen sich vollzog. Das ist bedauerlich, fordert doch gerade dieses Violinkonzert konzentriertes Einlassen auf das, was zu hören ist.

Das gleiche Programm mit dem Lettischen Dirigenten Andris Poga und dem außergewöhnlichen Geiger Christian Tetzlaff war am Tag vorher bereits ein Beitrag zum „Internationalen Musikfest“ in Hamburg. Die Lübecker wurden so in das Ereignis einbezogen, das unter anderem das Schaffen von György Ligeti (1923-2006) herausstellte. Er, der Sohn österreichisch-ungarischer Eltern, war immerhin für 26 Jahre als Professor an der Hamburger Musikhochschule tätig. Auch sein „Le Grand Macabre“ war während des Festivals zu hören gewesen, die Oper, die 1977 erstmals in Hamburg zu erleben war. Sie hatte in grotesk-absurder Manier die Vernichtung der Menschheit zum Thema. Gegensätzlich wirkt sein fünfsätziges Violinkonzert, das die Weite der musikalischen Ausdruckswelt zum Thema hat, das den Hörer durch Zeit und Raum führt, ihm Unerhörtes zu Ohren bringt. Es ist ein Spätwerk, erst 1989 nach seiner Emeritierung begonnen.

Im ersten Satz, „Präludium“ genannt, scheint sich der Klang wie aus einem Urnebel zu entwickeln, einen, den die Solovioline in rasantem Tempo aus dem Nichts entfaltet. Zusammen mit anderen Instrumenten, vor allem mit dem Xylophon, bekommt das Gespinst immer mehr Festigkeit. Vielerlei Glissandi und andere Spielfiguren in atemraubend schnellen Brechungen stellen es allerdings immer wieder in Frage. Erst im zweiten Satz „Aria, Hoquetus, Choral“ genannt, bietet das Soloinstrument erste melodische Gestalten, die an die Musik aus den Anfängen der notierten Musik im Mittelalter erinnern.

Erzeugt werden die ungewöhnlichen Klangmuster, zu dem auch Okarinas mit ihrem urtümlich wirkenden Kolorit beitragen, durch ein kammermusikalisches Instrumentarium. Dessen Aufstellung ergibt allerdings ein merkwürdiges Bild auf der Bühne, weil dort bereits alles für das folgende volle Orchester aufgebaut war. Leere Sitze trennen die Musiker mit ihren Instrumentalfarben voneinander. Das fördert die Klangspaltung, die das stark besetzte und unruhige „Intermezzo“ inmitten der Satzfolge charakterisiert. Es folgt eine sehr ruhig beginnende „Passacaglia“, die mit wuchtigen und schrillen Bläsern endet, während das finale „Appassionato“ neben Anklängen an Bartok eine lange Solokadenz enthält, die mit Reminiszenzen an die früheren Sätze aufwartet. All das wirkt assoziativ, wie von einem starken Bewusstseinsstrom durchzogen.

Andris Poga, Foto: (c) Janis DeinatsAndris Poga, Foto: (c) Janis DeinatsDie ungeheuren instrumentalen Anforderungen an seinen Part von waghalsig anmutenden Flageoletts bis hin zu mehrstimmigen Einwürfen meisterte Christian Tetzlaff, auch er ein Hamburger, grandios. Wie selbstverständlich war sein Zusammenspiel mit dem konzentrierten Orchester. Der große Beifall für beide honorierte dann doch den immensen Einsatz für dieses ungewöhnliche Werk.

Es stand mit den beiden anderen Kompositionen in einem engen Zusammenhang. Das erste, Péteris Vasks‘ „Musica appassionata“, eine Komposition für Streichorchester, schloss da an, wo Ligeti im Schlusssatz endete. Es wollte eine vergleichbare Ausdrucksebene, eben die Leidenschaft beschwören. Zehn Jahre später ist es entstanden. Der 1946 in Riga geborene Komponist nutzt eine ganz andere Musiksprache, die durch satte Streicherklänge geprägt ist, sich aus einer harmonischen Welt entwickelt und außergewöhnlich häufig Orgelpunkte oder bordunartige Klänge nutzt, als wolle er in ihnen Halt suchen. Sehr sensibel leitete sein Landsmann Poga die Streicher des Orchesters durch die dramatischen Steigerungen mit ihren großen dynamischen Gegensätzen.

Am Schluss öffnete Poga mit der Siebenten Sinfonie C-Dur von Jean Sibelius wieder einen neuen Klangraum. Es ist der letzte vollendete Beitrag des Finnen zu diesem Genre und in vieler Hinsicht ungewöhnlich. Obwohl bereits vor 100 Jahren entstanden, bedient das einsätzige Werk nur entfernt das gewohnte Formschema. Magisch erhebt sich aus einem Trommelwirbel die eigentümlich in Metrik und Tonalität schwankende Tonwelt, die in einer Fülle von Bezügen doch zugleich geheimnisvoll diffus bleibt. Immer wieder wechseln die Themen und Stimmungen, von Poga und den Musikern sehr sensibel gearbeitet. Das Werk hinterließ einen starken Eindruck.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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