St. Katharinen, Foto (c) Olaf Malzahn

58. Nordische Filmtage
Arschkalt, aber live dabei - Sven Hedin in St. Katharinen

Im Rahmen der diesjährigen Retrospektive wurde der Film Mit Sven Hedin durch die Wüsten Asiens aus dem Jahre 1928 in der St. Katharinenkirche präsentiert. Er dokumentiert eine über 7 Monate lange, extreme Expedition des schwedischen Biologen und Forschungsreisenden Hedin über mehr als 2.500 Kilometer durch unerforschtes Land im Norden Chinas.

Gefilmt in Schwarz-Weiß und auf 35mm-Material gibt er Einblick in die Härten und Unwägbarkeiten des damaligen Reisens in Gegenden, die kaum ein Europäer zuvor gesehen hatte. Der Film wurde als Stummfilm gezeigt, untermalt von einer experimentellen Soundcollage von Professor Franz Danksagmüller und seinen drei MusikstudentInnen der Musikhochschule Lübeck (Anna Ludwikowska, Lars Schwarz und Natalia Uzhvi). Mit seltsam schrillen Tönen aus seltsam elektronischen Gerätschaften (Wiimote und Nunchuk) sowie Orgel und Flöte wurde ein Klangteppich unter den Film gelegt, der die Intensität der grobkörnigen Bilder hervorragend verstärkte.

Foto: (c) The Sven Hedin Foundation Foto: (c) The Sven Hedin Foundation

Die Expedition mit über 300 Kamelen und unglaublicher Ausrüstung führte durch menschenfeindliches Gelände, durch Stein- und Sandwüsten, durch rauschende Flüsse und über hohe Gebirgspässe. Vorbei an chinesischen Siedlungen, großen buddhistischen Klöstern und durch unwegsames Gelände zog die Karawane. Kommentiert durch teilweise recht humorvolle Zwischentexte, war der staunende Betrachter mittendrin. Sand- und Schneestürme behinderten das Weiterkommen oft tagelang und sorgten für zahlreiche Verluste an Tieren und Material. Selbst Sven Hedin erkrankte stark und musste tagelang durch die Landschaft getragen werden.

St. Katharinen, Foto: (c) Olaf MalzahnSt. Katharinen, Foto: (c) Olaf Malzahn

Die Besucher in der nicht geheizten St. Katharinenkirche konnten die Kälte förmlich durch die Kleidung kriechen fühlen. Auf harten Kirchenbänken harrten die meisten Besucher bis zum Ende des Films aus, obwohl es wahrlich arschkalt war. Zwar hatten die Organisatoren für kuschelige Decken gesorgt, aber langsam zog die Kälte des Abends förmlich jedem in die Glieder. Trotzdem war es ein ziemlich einmaliges Erlebnis für alle, die fremden Gesichter und Geschichten der Reise fast schon körperlich zu erleben. Der Film zeigt Klosterfeste, Vermessungen von Land, Himmel und Klima und erzählt auch kleine Geschichten am Rande.

Foto: (c) The Sven Hedin FoundationFoto: (c) The Sven Hedin Foundation

Zum Beispiel werden die Haustiere der Expedition: ein Greif, diverse Hunde und ein zugelaufenes Antilopenkitz ausführlich abgelichtet. Aber auch ein Kameldieb, der mit den Tieren in der Wüste aufgespürt wird, sind Teil der launigen Dokumentation, gefilmt von Kameramann Paul Lieberenz. Aus heutiger Sicht könnte man viel Kritik am Auftreten der weißen Männer in den fremden Ländern äußern, aber gleichzeitig muss man den Mut und die Zähigkeit der gesamten Truppe hervorheben, ohne deren Waghalsigkeit damals diese fremde Welt nicht in die Sichtbarkeit gebracht worden wäre.

St. Katharinen, Foto: (c) Olaf MalzahnSt. Katharinen, Foto: (c) Olaf Malzahn

Das Schau- und Hörerlebnis in der wunderschön restaurierten Kirche war einmalig, auch wenn es arschkalt war, denn jeder Besucher war innerlich und äußerlich ziemlich live mit dabei, in diese großartige und neue Welt vorzudringen. 

Mit Sven Hedin durch die Wüsten Asiens
Deutschland/Schweden 1929
Regie: Paul Lieberenz, Rudolf Biebrach

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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