Weihnachtsmusik mit Esprit und Seele
Quadro Nuevo begeistern Lübeck und Zugereiste

Es waren nicht viele, die sich vergangenen Dienstag durch „die wüste Stadt“ (Mulo Francel in einer seiner launigen Anmoderationen) auf den Weg ins Kolosseum gemacht hatten. Dabei war im Foyer zu vernehmen, dass unter den wenigen sogar Fans von weit her die Reise auf sich genommen hatten, um das Quintett, bestehend aus Mulo Francel (Saxophone und Klarinetten), D.D. Lowka (Bass und Percussion), Andreas Hinterseher (Akkordeon) Philipp Schiepek (Gitarre) und Tim Collins (Vibraphon) zu erleben.

Um es vorwegzunehmen: Alle, die gekommen waren, gingen begeistert und beseelt nach Hause. Es war (wieder einmal) ein Konzert der besonderen Art, ein Weihnachtskonzert, das Lübeck, wie in der Ankündigung versprochen, so noch nicht erlebt hatte. Doch von Anfang an: Die weitgereiste Band begann mit „Von guten Mächten wunderbar geborgen“, das der junge Theologe und NS-Widerstandskämpfer Dietrich Bonhoeffer im Dezember 1944 im Gefängnis für seine Verlobte schrieb, bevor er kurze Zeit später hingerichtet wurde. Ein Lied, das den Musikern sehr am Herzen lag, wie Mulo Francel in der folgenden Moderation verriet.

Mulo FrancelMulo Francel

Danach ein klassisches Weihnachtslied „Maria durch ein Dornwald ging“, natürlich (wie alle Stücke) in nur bei Quadro Nuevo zu hörendem Arrangement. Als drittes „Yorke’s Guitar“, zwar von dem mit Quadro Nuevo ebenfalls konzertierenden Pianisten Chris Gall geschrieben, aber hier in einer für mich bisher nicht gehörten (wunderschönen) Version. Spätestens jetzt zeigte sich: Quadro Nuevo hat sich (auch in diesem Fall – wieder einmal) neu erfunden.

Francel, Lowka und Hinterseher, die drei, die am längsten zusammen spielen (bald werden es 30 Jahre), schaffen es immer wieder, kreative Virtuos:innen an ihre Seite zu holen, die den Ausdruck der Band um neue Facetten erweitern. Beispiel: Der junge Philipp Schiepeck brachte mit December, dem Titelstück der letzten weihnachtlichen Produktion (hier auf "unser Lübeck" besprochen) kompositorisch und mit dem eleganten Spiel auf seiner halbakustischen Gibson neue Klangfarben in den Gesamtausdruck der Band, ganz abgesehen davon, dass „es unheimlich viel Spaß macht, mit ihm zusammen zu spielen“, wie mir Mulo Francel in einem Interview mitteilte.

D. D. Lowka und Philipp SchiepekD. D. Lowka und Philipp Schiepek

Das gilt auch für den zweiten „Neuen“: Tim Collins aus New York, der von seinem Spielstil hervorragend mit Quadro Nuevo harmoniert und angeblich immer gute Laune hat, manchmal aber die Truppe verlassen muss, da er daneben hin und wieder Engagements als Stadionsprecher von Baseball-Spielen hat (das Publikum durfte eine Kostprobe genießen). Auch ganz fröhlich seien die Brasilianerinnen und Brasilianer auf ihrer letzten Tournee in dem südamerikanischen Land gewesen („und das ganz ohne Grund“ – Mulo Francel), nur einmal nicht, als sie den Titel des als nächstes im Konzert gespielten Werkes „Sieben zu Eins“ hörten, den Quadro Nuevo dort komponiert und zum besten gegeben hatte.

Von der Leichtigkeit wieder zu mehr Innerlichkeit und Seelentiefe mit „Jesu bleibet meine Freude“ - ich denke, Johann Sebastian Bach hätte an der Interpretation seinen Spaß gehabt - und als letztes Stück vor der Pause „Antakya“, benannt nach der Stadt im Südosten der Türkei nahe der syrischen Grenze. Im Altertum hieß dieser Ort Antiochia und war ein bedeutendes kultisches und kulturelles Zentrum. Apostel Paulus wirkte hier und Petrus schlug hier die erste christliche Kirche in einen Felsen über der Stadt. Hier stehen bzw. standen die Habibi Neccar Moschee und der Baum des Moses. Dieser Ort blickt auf eine lange Tradition der friedlichen Koexistenz verschiedener Religionen und Volksgruppen zurück. Hier praktizieren Moslems und Aleviten, Juden und Christen sowie Türken, Araber, Kurden und Armenier gegenseitige Toleranz im Alltagsleben.

Tim CollinsTim Collins

Weiter erzählte Mulo Francel, dass die Stadt, die sie 2007 bereist hatten, inzwischen so aussehe, als ob eine riesige Abrisskugel eine gewaltige Schneise quer durch die 2020 fast 400.000 Einwohner:innen große Metropole geschlagen hätte. Die fast vollständige Zerstörung des kulturhistorisch so wichtigen Ortes durch ein schreckliches Erdbeben im Februar dieses Jahres sei aufgrund vieler wichtiger anderer Schlagzeilen fast völlig aus dem Bewusstsein verschwunden. Mit ihrem Musikstück schafften es die fünf Musiker, den Namen wieder in das Gedächtnis zu rufen.

Es war beeindruckend, wie selbstverständlich Quadro Nuevo unterschiedlichste Themenfelder verbanden. Da war viel Heiterkeit und Leichtigkeit in der Musik (sowie Lachen im Publikum) und ebenso Tiefe verbunden mit nicht eben einfachen Hintergrundgeschichten. All dies gewürzt mit amüsanten, manchmal schelmischen und, wie oben beschrieben, berührenden Zwischenmoderationen. Dazu gehörte auch, dass vor der Pause D.D. Lowka (wie auf allen von mir erlebten Konzerten) das Mikrofon ergriff und eine fast nicht enden-wollende Einführung in den üppig bereiteten Basar mit CDs, Schallplatten, Büchern, Noten und sogar diversen geistigen Getränken, der in der Pause (und nach dem Konzertende) auf viele glückliche Besucher:innen wartete, gab.

Andreas Hinterseher und Mulo FrancelAndreas Hinterseher und Mulo Francel

Nach der Pause, in der sich alle Musiker bereitwillig den Gästen für Fragen zur Verfügung stellten, ging es weiter mit „Mokka Swing“, „Christmas Time is here“, einer Kombination aus zwei berühmten Titeln Astor Piazollas und „Es ist ein Ros entsprungen“, einem ekstatischen Titel, geschrieben von dem ägyptischen Musikerfreund Basem Darwisch („falls es Jesus gegeben hat, hat er bestimmt zu einem Musikstück wie diesem getanzt!“ – Mulo Francel) und drei Zugaben. Von den Multiinstrumentalisten wurden zusätzlich Horn, Melodica und Trompete eingesetzt, Mulo Francel spielte auf seinem Tenor im Liegen und wir erfuhren (mit einem Augenzwinkern), was das Kerngebiet des Musikschaffens Quadro Nuevos ist: Alpenländische Blasmusik, durch den Wolf gedreht.

Fragt sich vielleicht noch: Warum sind so wenige gekommen? War es die doch vielfach stressig empfundene Vorweihnachtszeit? Salut Salon in der MuK oder das Wiedererwachen von Corona mit sehr vielen Infektionen im Stadtgebiet? Egal, Quadro Nuevo ließen sich ihre Spielfreude nicht nehmen und bewiesen einmal mehr, dass sie trotz vieler, fast dreißig beeindruckender Musikproduktionen, live nochmals mehrere Schippen drauflegen. Wer dies vergangenen Dienstag im Kolosseum verpasst hatte, mag sich das nächste Mal selber überzeugen, vielleicht schon am 03. Februar 2024 in Bad Oldesloe.


Fotos: (c) Nicolaus Fischer-Brüggemann


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