Jan Garbarek Group feat. Trilok Gurtu, Foto: Holger Kistenmacher

Die Jan Garbarek Group + Trilok Gurtu entführen in nordische Weiten
JazzBaltica zu Mittsommer 2018

Das erste große Konzert im neuen JazzBaltica am Meer.

Die Hauptbühne oder Main Stage, wie das heutzutage heißt, des beliebten Jazz Festivals, das in seine 28. Runde geht, ist aber nicht so weit wie der Strand von Timmendorf, sondern eher kleiner, sogar deutlich kleiner als die Halle der Evers-Werft, ohne große Leinwand, dafür plüschig, voll retro im oker- bis braunfarbenen Charme der 70er mit faszinierenden Lichttrauben, die bestimmt mal schrecklich schick waren. Aber egal, wir sind ja wegen der Musik da und die beginnt mit einem Idol von Nils Landgren, wie der Festivalleiter bei der Einführung verrät: Jan Garbarek.

Jan Garbarek, Foto: Holger KistenmacherJan Garbarek, Foto: Holger Kistenmacher

Der tritt auf mit seinem jahrzehntelangen Weggefährten Rainer Brüninghaus (p, keys) dem „neuen“ Bassisten Yuri Daniel (nun auch schon seit 2007 an Bord) und als „Gast“, Anführungszeichen, da dieser neben Manu Katché, Naná Vasconcelos und Marilyn Mazur schon häufiger mit Garbarek zusammenspielte: Trilok Gurtu am Schlagwerk. Den Start bildet eine Abfolge von Titeln eines von Garbareks bekanntesten und in Deutschland erfolgreichsten Alben: „I Took Up The Runes“, für meine Ohren ein Throwback in alte, fast dreißig Jahre zurückliegende Zeiten.

Gleichzeitig merke ich, wie gut diese Musik immer noch „geht“, sie ist zeitlos, fast wie der Bandleader – sah der nicht vor 20 Jahren schon genauso aus? Seine 71 Jahre sieht man ihm nicht an. Auch der Ton des asketischen Norwegers ist bis heute unverkennbar, klar, manchmal scharf bis schrill, wenn er das Sopran an die Lippen setzt. Sein Tenor bläst der vielleicht bekannteste skandinavische Jazzer, der sich selber gar nicht diesem Genre zugeordnet sieht, wärmer und voller, nutzt es für Titel anderer Stimmungen. Garbarek nimmt sich an diesem Abend eher zurück, trägt die Themen und unternimmt kleinere improvisierende Ausflüge, dazu den interessantesten im Wechselspiel mit Gurtu. Auch der behauptet, keinen Jazz zu spielen und zu singen (!), sondern stets indische Musik zu machen, das jedoch ohne Grenzen.

Trilok Gurtu, Foto: Holger KistenmacherTrilok Gurtu, Foto: Holger Kistenmacher

Auf seinem zweiten langen Solo zeigt er, dass er mit fast allem rhythmische Musik erzeugen kann. So taucht er einen Gong in einen Wassereimer, während er mal auf den Gong, mal auf den Eimer schlägt, bearbeitet akustische wie elektronische Tomtoms mit einer Ansammlung hölzerner Rasseln, spielt melodisch ebenso wie eine Art Techno. Ich glaube, man könnte den Inder bitten, sich eine Stunde in ein stinknormales Badezimmer zu begeben und heraus käme eine faszinierende CD überraschendster und tanzbarer Klänge. Wenn er die Tablas spielt, frage ich mich, wo die dritte und vierte Hand sind, und als Krönung scattet er zu seinem percussiven Spiel, dass es eine Freude ist. Gurtu ist auch der humorvollste der vier, der, der es schafft, das begeisterte Publikum zum Mitklatschen zu bewegen.

Auf der anderen Seite ihm gegenüber sitzt, berücksichtigt man die Ausstrahlung, sein Antipode: Der Niedersachse Brüninghaus ist ein Jazzer mit Leib und Seele, man sieht es ihm aber nicht an. Das war schon immer so, der erfahrene Pianist geht selten aus sich heraus, nur einmal, nach einem langen Solo, in dem er zeigt, dass er noch Stride-Piano kann und den Steinway am Schluss so bearbeitet, dass es die Stiftung Warentest nicht besser verstünde, steht er auf und lächelt schüchtern seinen vor Begeisterung tobenden Gästen zu. Der Komponist und Hochschullehrer versteht sich blind mit Garbarek und erzeugt im Quartett einen verlässlichen Klangteppich. Den ergänzt der vierte im Bund, Yuri Daniel am fünfseitigen E-Bass.

Yuri Daniel, Foto: Holger KistenmacherYuri Daniel, Foto: Holger Kistenmacher

Man mag dem einzigartigen Eberhard Weber nachtrauern, doch Garbarek tat gut daran, nach dessen Erkrankung, die ein Weiterspielen unmöglich machte, einen Bassisten anderer Klangkultur in seine Band aufzunehmen. Der gebürtige Brasilianer spielt den Bass deutlich perkussiver und knackiger, manche erinnert er an Jaco Pastorius. Damit drückt er dem Quartett im Vergleich zu Weber einen rhythmischeren Stempel auf, zeigt aber auch in seinem solistischen Ausflug, dass er noch mehr drauf hat und gut anderthalb Stunden alleine füllen könnte. Wie alle seine Bühnengefährten. Dennoch gefallen sie mir im Zusammenspiel am besten, dann, wenn die vier Ausnahmemusiker einen Klangkörper bilden, und im Nu ist er wieder da, dieser skandinavische Sound, der aus den moos- und flechtenbedeckten Weiten über die Fjorde zu uns gekommen scheint.

Das Publikum steht am Ende klatschend und will ihn immer wieder hören. Ein gelungener wie großartiger Festivalauftakt!


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