Ulla Meinecke „Im Augenblick“
Lesung und Konzert mit Ingo York

Gibt es eine Person im Raum, für die Ulla Meinecke kein Begriff ist? Schwer vorstellbar! Hier sitzen diejenigen, die sie irgendwann schon einmal erlebt haben, auf deren Feten Anfang der Achtziger ihre Musik fester Bestandteil war oder die froh sind, jetzt endlich noch die Chance zu bekommen, die sie früher verpasst haben, nämlich diese Größe der deutschen Rock-Pop-Szene live auf der Bühne zu sehen. Deshalb wird auch nicht lauthals über den wirklich gepfefferten Eintrittspreis von 24 Euro gemurrt. Schließlich tritt hier nicht irgendwer auf und da will sich niemand lumpen lassen.

(Mit Sicherheit sind deshalb aber einige daheim geblieben!) Das Publikum im immerhin noch gut besuchten Werkhof wirkt erstaunlich homogen, wobei der weibliche Anteil jedoch stark überwiegt. Wie das? Ulla Meinecke ist keine Frau, die sich die Frauenbewegung auf die Fahnen geschrieben hat, aber sie ist vielleicht eine ihrer Personifizierungen, da sie schon sehr früh einfach gemacht hat, was für Mädchen und junge Frauen noch absolut unüblich war – zum Beispiel als Gitarristin in einer Band zu spielen, wie wir bald erfahren werden.

Nun aber singt sie erst einmal, begleitet von Ingo York auf der E-Gitarre. Die Wirkung, die diese Töne „im Augenblick“ – so der Programm- und Buchtitel – entfalten, steht im krassen Widerspruch zum schlichten, bescheidenen, unprätentiösen Auftritt dieser beiden Vollblutmusiker in der eher nüchternen Umgebung des Werkhofs. Da geht sogleich das Herz auf, und es ist schwer zu beschreiben, warum. Die Zauberformel wirkt noch, möchte man sagen. Der Funke springt sofort über, obwohl die zwei auf der Bühne fast wirken, als würden sie für sich selbst spielen. Sie sind in ihrem Element, da passt einfach alles zusammen, der Text zur Musik, Ulla Meineckes wunderbar warme, nuancenreiche Stimme zu Text und Musik, die Begleitung perfekt abgestimmt auf die Sängerin und ihre Songs, rhythmisch bestimmend und stützend, aber nie überlagernd. Alles lauscht wie gebannt, und viel zu schnell, scheint es, geht Ulla Meinecke zu ihrer Lesung über. Aber was heißt Lesung? Sie plaudert fast mehr mit uns und erzählt über ihr Buch und die Vor- und Hintergrundgeschichten zu den eigentlich aufgeschriebenen. Brille auf, Brille ab. Das ist, als säßen wir mit ihr in der Kneipe und als wollte sie uns sagen, also, was ich da eben gesungen habe, das kennt ihr ja, und nun erzähle ich euch mal, wie das alles so angefangen hat und was daraus geworden ist bis heute.

Das ist heiter, das ist nett, da blitzt oft auch Sprachwitz durch und immer ein wenig nostalgische Erinnerung an die guten alten Zeiten, die natürlich nicht immer nur gut waren. Namen tauchen auf wie Herwig Mitteregger, Udo Arndt, Udo Lindenberg, Nena, Rio Reiser, Edo Zanki (der Komponist der „Tänzerin“). Wer wissen möchte, wie Ulla Meinecke mit diesen Personen in Verbindung steht, sollte sich ihr Buch schnellstens kaufen. Auch ihre so genannten Bühnengeschichten (zweiter Teil der Vorstellung) sind recht amüsant, aber als Lesung ist mir das zu dürftig. Nichts von dem Sog, den ihre eigenen gesungenen Texte oder selbst nur Cover-Versionen entwickeln, nichts von dem unerklärlichen Bann, in den ich beim Lauschen auf ihre Lieder geschlagen werde, nichts von der Kraft der wenigen Worte, die so gekonnt in Musik umgesetzt sind. Ich ertappe andere und mich dabei, wie wir sehnsüchtig darauf warten, dass diese großartige Frau wieder das Mikro in die rechte Hand nimmt und mit leichten Bewegungen der linken die so charakteristischen Klänge ihrer Songs untermalt, die uns wohltuend umfangen.

Mit der Darbietung der „Tänzerin“ am Schluss werden noch manche Hoffnungen erfüllt, aber dieser Titel hat nun wahrlich keine minutenlange Einleitung und Rechtfertigung nötig, warum er mit einem neuen Arrangement von Ingo York amerikanischen Weiten angepasst worden ist. Warum hat Ulla Meinecke nicht schlicht und einfach mehr gesungen!? Wir hätten ihr immer noch zu Füßen gelegen wie vor gut 20 Jahren! So war das nicht Konzert genug und nicht Lesung genug und zusammengenommen erst recht nicht genug für 24 Euro.

Jetzt möchten wir irgendwo noch etwas essen, aber die Küchen sind bereits geschlossen. An diesem Abend sollen wir wohl einfach nicht satt werden.

Gerda Vorkamp
Gerda Vorkamp
Geboren 1958 in Herford, Lehramtsstudium, Angestellte im Fremdsprachendienst, freiberuflich tätig als Lektorin. Bei Unser Lübeck seit Beginn als Autorin und seit 2016 als Redakteurin dabei.

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