Daniel Kehlmann, Foto: (c) Heike Steinweg

Buchtipp und Lesung in Lübeck
Daniel Kehlmann "Lichtspiel"

Daniel Kehlmann ist wohl der beste Geschichtenerzähler der deutschen Literatur-Gegenwart. Der 1975 in München geborene Autor, der in seinen erfolgreichen und preisgekrönten Romanen historische Personen und Fiktion verknüpft, (Die Vermessung der Welt, Tyll) wagt sich in seinem neuen Roman „Lichtspiel“ an das aktuelle Thema „Mitläufer“. Am Mittwoch, 28. Februar ist er in Lübeck und liest in der Kulturwerft Gollan.

Im Mittelpunkt seiner Geschichte steht der Filmemacher G.W.Pabst, der erst vor den Nazis in die USA floh, dann aber nach Deutschland zurückkehrte und mit ihnen kooperierte. Berühmt geworden ist der Regisseur mit Filmen, in denen er spätere Leinwand-Göttinen wie Greta Garbo (Die freudlose Gasse) oder Louise Brooks erschuf oder der Verfilmung von Brechts „Dreigroschenoper“.

Wie viele andere kritische Kulturschaffende musste er in die USA emigrieren, obwohl er kein Jude war. Anders als seine berühmten Kollegen Fritz Lang oder Max Ophüls schaffte es Pabst nicht, in Hollywood Fuß zu fassen. Zwar darf er mit viel Geld der Studiochefs von Warner Brothers die Schmonzette „A modern Hero“ drehen, der aber, wie von ihm selbst vorhergesagt, floppte. Ein vorläufiger Anfang vom Ende. Auf einer Party des Regisseurs Fred Zinnemann zieht ein gewisser Kuno Krämer seine Runden. Eine mephistophelische Gestalt, ein Nazi-Agent, der ihn zurück nach Deutschland lotsen soll und später im Verlauf des Romans zum Schatten von G.W.Pabst wird.

Weil seine Mutter, die in seinem Schloss in Österreich wohnt, erkrankt und anscheinend um Hilfe bittet, reist die Familie Pabst zurück nach Europa, wo sie vom Beginn des Zweiten Weltkriegs überrascht werden. Die Grenzen sind dicht und Pabst kommt nicht mehr heraus aus Nazi-Deutschland. In seinem eigenem Haus wird der „Rote Regisseur“ von dem Nazi-Hausmeister drangsaliert, aber auch gleichzeitig von den Nazis in Berlin umgarnt. Während seine Frau Hilde versucht, Anschluss in einem Lesekreis zu finden. Da werden aber nur Bücher des Nazi-Dichters Karrasch besprochen. Der von Kehlmann dazu erfundene Sohn Jacob findet sich bei der Hitlerjugend wieder. Und natürlich will Pabst wieder Filme drehen.

So kommt es etwa in der Mitte des Romans zu der bedrückenden Szene, wo er nach Berlin reist, um den nicht namentlich genannten Propaganda-Minister Joseph Goebbels zu treffen. „Ich bin in meine Heimat zurückgekommen, um nach meiner Mutter zu sehen. Ich bin kein politischer Mensch, und ich habe zur Zeit nicht die Absicht, weiterhin Filme…“ Er verstummte. „Bedenken Sie, was ich Ihnen bieten kann“, unterbrach der Minister, „zum Beispiel KZ. Jederzeit. Kein Problem. Aber das meine ich ja gar nicht. Ich meine, bedenken Sie, was ich Ihnen auch bieten kann, nämlich: alles, was Sie wollen. Jedes Budget, jeden Schauspieler. Jeden Film, den Sie machen wollen, können Sie machen“.

Also macht Pabst weiter Filme, zum Beispiel dreht er mit Leni Riefenstahl in den Bergen „Tiefland“. Dafür ließ die Schauspielerin Sinti und Roma als Statisten auftreten, die sie aus dem Salzburger Konzentrationslager Maxglan holen ließ. Der vermeintliche Höhepunkt des Romans ist die Verfilmung von „Winke, bunter Wimpel“ des Nazi-Dichters Karrasch, den seine Frau Trude widerwillig lesen musste. Unter dem Titel „Der Fall Molander“ arbeitet G.W.Pabst wie ein Getriebener an diesem Film, der sein selbsterklärtes Meisterwerk werden soll. Wie weit er dabei unter den Bedingungen des Weltkrieges zu gehen bereit ist, verschlägt einem beim Lesen fast schon den Atem. Doch seine Bemühungen sind vergeblich: Der Film geht im Krieg verloren und Pabst zerbricht daran. Während Pabst lange glaubte, dass er sich keiner Diktatur als der der Kunst fügen würde, ist er schon vom ersten Schritt an in die rettungslose Verstrickung gegangen.

Neben all dieser Tragik und Dramatik gelingt es Kehlmann, immer wieder auch absurd-komische Momente in den Roman einzubauen. Der Roman ist verdoppeltes Kino und benutzt dabei auch kinematographische Kunstgriffe. Es gibt absichtsvoll in die Länge gezogene Kamerafahrten und verknappte Dialoge. Aus der realen Biografie von Georg Wilhelm Pabst weiß man, wie sehr der Regisseur in der Moralfalle steckte. Er versuchte sich zu arrangieren, überschätzte aber die Möglichkeiten, in den vierziger Jahren künstlerisch frei zu arbeiten. Er verschloss die Augen vor den Grausamkeiten des Regimes, nur um Filme zu machen.

Kehlmann hat daraus den Roman einer Epoche gemacht, über ein Kinogenie, über Macht und Kunst, über Angst, Verführung und über das Böse. Dazu schreibt James Wood vom New Yorker: Daniel Kehlmann vereint eine ungewöhnliche Mischung von Begabung und Neigungen in sich - er ist ein verspielter Realist, ein Rationalist mit einem Hang zu Zaubertricks, der in die Vergangenheit blickt“. Eben ein ganz großer Erzähler, dessen Geschichten immer einen Blick in die Vergangenheit werfen, aber damit in der Gegenwart ihre Bedeutung spiegeln.

Daniel Kehlmann: Lichtspiel, Rowohlt-Verlag, Hamburg, November 2023, 480 Seiten, 26 Euro.

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen BellingProsa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR, Störtebeker, Buchstabe und Bücherliebe erhältlich.

Daniel Kehlmann liest aus "Lichtspiel"
Mittwoch, 28. Februar 2024 um 19:30 Uhr
Kulturwerft Gollan
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Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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