Installation 'The Beach' im Foyer der Kunsthalle St. Annen, Foto: Holger Kistenmacher

„Hello Lübeck“ - Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen
Die neue Handschrift von Noura Dirani wird deutlich

Seit Oktober 2022 ist Noura Dirani die neue Leiterin der Kunsthalle St. Annen, Dr. Tilman von Stockhausen hat im Januar 2023 sein Amt als Leitender Direktor der Lübecker Museen angetreten. Das bedeutet für die Lübecker Kulturlandschaft Aufbruch und Neuausrichtung. Besonders deutlich wird das jetzt in der ersten Ausstellung, die Noura Dirani in ihrer Rolle als Leiterin der Kunsthalle konzipiert hat.

Es fielen bei der Pressekonferenz vermehrt Begriffe wie Dialog, Kooperation, Eigenkreativität, Selbstreflexion, Spiel und Spaß im Museum als sozialer Ort. Das beginnt bereits im Foyer des Museums, wo der griechisch-norwegische Künstler und Architekt Andreas Angelidakis seine modulare und partizipative Installation „The Beach“ aus insgesamt 68 Sitzmodulen aus Schaumstoff und buntem Vinyl aufgebaut hat. Der bekannte Documenta 14-Teilnehmer spricht damit eine Einladung an alle Bewohner/innen und Besucher/innen der Hansestadt Lübeck aus. Die dauerhaft in Lübeck verbleibende Installation lässt sich zu einer Vielzahl unterschiedlicher Formationen kombinieren und völlig frei umgestalten. Damit entsteht ein barrierefreier und kostenfreier Raum voller bunter, bequemer Elemente für alle, egal ob sie sich darauf nur setzen, liegen, spielen oder austauschen wollen.

Dr. Tilman von Stockhausen, Noura Dirani und Andreas Angelidakis, Foto: Holger KistenmacherDr. Tilman von Stockhausen, Noura Dirani und Andreas Angelidakis, Foto: Holger Kistenmacher 

Wie der Künstler Angelidakis betonte, habe „The Beach“ ihn inspiriert, gerade in Lübeck, der Stadt an der Ostsee mit einer von Wasser umgebenen Altstadt, die ihn an eine Festung erinnert, sich den Strand selbst zu bemöbeln, sich niederzulassen, zu spielen oder zu relaxen. „Auch ein kleines Nickerchen im Trubel der Stadt sei möglich“, ergänzte Tilman von Stockhausen. „Lübecks Walls become Beachtoys“, sagt der Künstler, der Strände in Griechenland kenne, wo Besucher rund um alte Säulen und Ruinen diese nutzen, um ein Picknick zu veranstalten. Die bunten Quader, Bögen und Dreiecke sind kinderleicht und lassen sich wie Lego-Steine vielseitig umgruppieren und nutzen. Die „soft Ruins“, die auch an das Computerspiel „Mindcraft“ erinnern, sollen das Foyer als magischen Ort, wie ein Strand als „Space of Transition“ neu als sozialen Begegnungsort für alle begreifbar machen.

Überhaupt soll den Menschen die Scheu genommen werden, das Museum überhaupt aufzusuchen. Die Kunsthalle öffnet sich als Ort des lebendigen Austauschs über die Kunst und möchte den Dialog mit der Stadtgesellschaft, besonders den jungen Menschen fördern. Dementsprechend gibt es viel zum Mitmachen, selbst gestalten und selber kreativ werden. So gehört der 3. Stock ganz den Kids. Das 2. Obergeschoss öffnet erstmals ihre Türen schon für die jüngsten Museumsgäste und soll zukünftig ein fester Bestandteil aller Ausstellungen in der Kunsthalle St. Annen sein. Eine Hälfte ist noch leer und strahlend weiss und bis in eine Höhe von 2,50 m mit Papierbahnen beklebt. Der Lübecker Streetartist Benjamin Butter fordert darin Groß und Klein mit bereit gestellten Farben und Stiften auf, selbst aktiv zu werden und den Raum völlig frei zu bemalen und zu gestalten.

Tatjana Busch: Brainpalace, (c) Tatjana BuschTatjana Busch: Brainpalace, (c) Tatjana Busch

Gegenüber hat die Künstlerin Stephanie Lüning eine kreisrunde Bodenplatte installiert, wo man bunte Eiswürfel auslegen kann, die beim Schmelzen eigenständige farbige Kunst erzeugen. Auch ihre zweite Arbeit ist auf Mithilfe der Besucher/innen ausgelegt. In Schlangenform hat sie das Wort „Hope“ (Hoffnung) in die Wände gebohrt, damit man mit Hilfe von buntem Peddigrohr ein fragiles Gemälde entstehen lassen kann. „Man wird sehen, was passiert“, ist sie selbst gespannt. Wie fast alle ihre Arbeiten sind diese beiden Konzepte auf Prozess und Vergänglichkeit ausgerichtet.

Aber es gibt auch was zum Staunen und Meditieren: So hat die Künstlerin Tatjana Busch im Keller zwei Räume durch ihre immersive Licht- und Soundinstallation zu einem Ort der Ruhe gemacht, die einen möglichst sinnlichen Zugang zur Kunst ermöglichen sollen. Man hat die Möglichkeit, in sich zu gehen, in den Dialog mit sich selbst zu treten und auch den eigenen Standpunkt aktiv zu hinterfragen. Überhaupt sind die Menschen aufgefordert, ihren eigen Anteil an der Ausstellung zu leisten.

Ahmet Öğüt: Jump Up, (c) Ahmet ÖğütAhmet Öğüt: Jump Up, (c) Ahmet Öğüt

Im Rahmen der Performance-Installation „Searching another“ lädt Nezaket Ekici alle ein, ein buntes Puzzle zusammenzusetzen, während Ahmet Ögüts Installation aus drei Mini-Trampolinen „Jump-Up“, die Besucher/innen auffordert, sich springend zum Dialog zu drei höher gehängten Bildern zu nähern. Auch der Konzeptkünstler Christian Jankowski, der mit seinen Waren-Läden in Kirchen gerade für kontroverse Diskussionen gesorgt hatte, nutzt seine Teilnahme an der Ausstellung zu einer weiteren Zusammenarbeit. Diesmal hat er Schüler aus verschiedenen Lübecker Schulen aufgerufen, bei seinem Kunstprojekt „Die geknetete Stadt“ mitzumachen. Entstanden sind dabei kleine Skulpturen, die die Wünsche, Sorgen und Visionen junger Menschen visualisieren. Gemeinsam mit diesen gelben Figuren, die als 3-D-Drucke auf Ziegeltreppen stehen, ist der Raum von den gedruckten Aussagen der Schülerinnen umgeben: „Ich als Bett für gute Träume“ steht da neben Sätzen wie „Ich als Mülleimer für alles“ oder „Ich als Schrank für dumme Sprüche“.

Im Erdgeschoss hat Noura Dirani den Dialog wortwörtlich genommen. Dort hat sie verschiedene Werke aus Lübecker Museen gegenübergestellt. Kulturhistorische Arbeiten aus verschiedenen Häusern des Lübecker Museumsverbundes treffen auf moderne Werke aus dem Bestand der Kunsthalle. Alt und Neu, Skulptur und Zeichnung, Malerei und Installation stehen sich gegenüber und treten in den Dialog.

Die geknetete Stadt von Christian Jankowski, Foto: Holger KistenmacherDie geknetete Stadt von Christian Jankowski, Foto: Holger Kistenmacher

Darüberhinaus wird es im Laufe der Ausstellung ein umfangreiches Begleitprogramm geben. Das reicht von nächtlichen Öffnungen des Museums, Parties bis hin zu Workshops und Art-Dinners. So will Stephanie Lüning mit Besuchern gemeinsam kochen, während der Berliner DJ Patric Catania für gute Stimmung und Musik sorgen soll.

Es weht ein neuer Wind durch die heiligen Hallen des Museums. Bleibt abzuwarten, ob das Kunstpublikum da auch mit zieht.

Die Ausstellung „Hallo Lübeck - Dialoge mit der Kunsthalle St. Annen“ geht bis zum 28. Juli 2024.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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