Heilige Geschäfte in St. Jakobi

Defacto Art und die Overbeck-Gesellschaft mit aktuellen Schauen in Lübeck
Ausstellungen unter erschwerten Bedingungen

Während die einen mit den Auswirkungen von Sturm und Überschwemmung zu kämpfen hatten bei der Vernissage, stehen die anderen unter dem bedrohlichen Schatten eines Strafverfahrens gegen ihren ehemaligen Direktor.

Bei der Eröffnung der Malerei-Ausstellung „schwerkräfte“ von Christian Peters stieg das Wasser der nahen Trave tatsächlich über die Ufer. Zunächst wurde der wunderbare Garten des Defacto Art-Kunstvereins am Holstentor überflutet und dann drang bei der Vernissage das Wasser sogar in die Ausstellungshalle vor, so dass einige Bilder auf Stühle gestellt werden mussten, um sie vor dem Wasser zu schützen. Als dann auch die Untertrave von der Polizei gesperrt werden musste und nicht nur wie üblich die Obertrave, musste die Veranstaltung abgebrochen werden, damit die trotz Sturm und Flut erschienenen Besucher nach Hause kommen konnten.

Ich habe deshalb gar nicht erst den Weg angetreten, konnte den Künstler aber am Samstag trockenen Fußes im Galerieraum antreffen, um mit ihm über seine Kunst zu sprechen. Der 1971 in Bruchsal/ Baden Württemberg geborene Künstler und Sozialwissenschaftler Christian Peters stellt dort unter dem Titel „schwerkräfte“ seine überwiegend abstrakte Malerei aus. Seit frühester Kindheit habe er gemalt, erzählt er, bevor er dann sein Studium der Sozialwissenschaften in Heidelberg, San Francisco, Berlin und Hamburg mit der Promotion abgeschlossen hatte. Später folgte ein Kunststudium der Malerei und Bildhauerei in San Francisco.

Christian Peters in der KunsttankstelleChristian Peters in der Kunsttankstelle

Heute lebt und arbeitet er in Bremen und ist Geschäftsführer der Bremer International Graduate School of Social Sciences. Dies ermöglicht ihm heute in völliger Freiheit und ohne finanziellen Druck, seiner künstlerischen Leidenschaft nachzugehen. „Obwohl er zwischenzeitlich die Malerei für 15 Jahre gänzlich aufgegeben hatte, wurde sein Phantomschmerz immer größer und es juckte ihn wieder in der Pinselhand“, erklärt er lachend seinen Wiedereinstieg in die Malerei.

Der Titel der Ausstellung beruht auf seiner kreativen Arbeitsmethode: Er gießt mit flüssiger Acrylfarbe auf die am Boden liegende Leinwand und lässt der Schwerkraft ihren Lauf. Diese fließenden Prozesse geben ihm die völlige Freiheit im Malprozess. Man weiss nie, was dabei herauskommt. Überhaupt sei ihm seine kreative Schaffenskraft ein Kampf für Freiheit aus Sicht des Sozialwissenschaftlers. „Als Wissenschaftler lerne ich aus dem täglichen Ringen mit Figur und Abstraktion. Erklärungen können verwirren, ebenso wie zu viele Winkel, Linien und Kontraste. Als Künstler verstehe ich, dass meine Bilder und meine Sicht der Dinge in jedem Moment Teil von etwas Größerem sind.“

Blick in die Ausstellung von Christian PetersBlick in die Ausstellung von Christian Peters

Überhaupt sei jedes Bild von ihm ohne den Betrachter unvollständig. Da jedes Bild als Trigger auf die Betrachter/in wirkt, sind sie es, die die Bilder leben lassen. So kann man sich in der Farbgebung und Materialität seiner Werke förmlich verlieren. Mal sind kleine figürliche Formen, wie ein „Bischoffsgesicht“ zu entdecken, mal kann man der Fantasie freien Lauf lassen, weil die Bilder in ihrer Abstraktheit tatsächlich leben. Aber auch konkrete Inhalte, wie auf dem großen Bild, das anscheinend Präsident Putin vor einer Atomexplosion zeigt, sind sichtbar. Ein anderes spekuliert mit dem Weltall und den Planeten. Trotzdem betont der Künstler: „Die meisten Bilder haben keine klare Message. Die Bilder sollen dir ein Angebot machen, dich mit dem Inhalt auseinander zu setzen. Kunst sollte als Freiheit definiert werden, keiner Doktrin folgen.“

Die Ausstellung ist noch bis zum 29.10.23 im DefactoArt am Holstentor zu erleben.

Gleich ums Eck, im gläsernen Pavillon des Kunstvereins hat Peter Fischer, der Vereinsvorsitzende und Künstler eine Installation mit Texten und Musik eingerichtet: Der fliegende Teppich. Begleitet von Musik (Beethoven - Mondscheinsonate, Schubert - Der Wanderer und Simon und Garfunkel - The Boxer) und gelesenen Texten ist dort eine vielschichtige Installation ausgestellt.

Peter Fischers Installation 'Der fliegende Teppich'Peter Fischers Installation 'Der fliegende Teppich' 

In der Form eines spiegelnden Peace-Zeichens liegt im Glaskasten ein Berg von Schuhen, von Jung und Alt, von Frauen und Männern und Kindern. Darüber schwebt ein Teppich, auf dem eine Knabenfigur liegt. Es geht dem Künstler dabei um die Problematik von Geflüchteten in einer momentan aufgeheizten Diskussion um Migration und Abschottung. Die sogenannte Willkommenskultur trifft auf die gegenwärtige Tendenz von Abschreckung und Abwehr von Geflüchteten. Hunger, Terror, Verfolgung und Rechtlosigkeit als Beweggründe der Flucht unter schwierigsten Bedingungen treten dagegen in den Hintergrund.

Fischer schreibt dazu: „In den Strömen der erzwungenen Völkerwanderung sind Schuhe überlebenswichtig. Sie zeigen Spuren ihrer Besitzer/innen, sind Hinterlassenschaften von Menschen und Schicksalen. Viele begannen diese Reisen im Kopf, sie sahen sich auf einem fliegenden Teppich. Aus der Vogelperspektive erscheint so manche Welt verlockend und voller Zukunft. Aber aus der Nähe betrachtet ist sie oft feindlich, wehrhaft - unwirtlich, abweisend und voller Hindernisse. Viele Geflüchtete glauben an ein Schicksal, das sie wie Marionetten an Fäden zum Ziel führt.“

Peter Fischers Installation 'Der fliegende Teppich'Peter Fischers Installation 'Der fliegende Teppich'

Die Installation ist jederzeit von außen bis zum 3.12.2023 einsehbar .

Mit ganz anderen Problemen hat zur Zeit die Overbeck-Gesellschaft zu tun. Immer massiver werden die Vorwürfe gegen ihren ehemaligen Direktor. Ihm wird vorgeworfen, in den Jahren 2022 und 2023 durch Veruntreuung und Urkundenfälschung bei verschiedenen Veranstaltungen in der Petrikirche einen Schaden von bis zu 130.000 Euro verursacht zu haben. Der Kirchenkreis Lübeck-Lauenburg hat Strafanzeige gestellt.

Dementsprechend liegt ein Schatten über der aktuellen Schau der Overbeck-Gesellschaft. Unter dem Titel „Heilige Geschäfte“ hat der Konzeptkünstler Christian Jankowski vier Lübecker Gotteshäuser von vier Lübecker Unternehmen in Filialen verwandeln lassen. Der provokante Künstler Jankowski (55), der als Professor an der Kunstakademie in Stuttgart lehrt, ist bekannt für ungewöhnliche Kunstaktionen. So ging er 1992 mit Pfeil und Bogen in einem Supermarkt auf die Jagd und schoss sich seinen Einkauf zusammen.

Heilige Geschäfte in der Evangelisch-Reformierten KircheHeilige Geschäfte in der Evangelisch-Reformierten Kirche

Die aktuelle Lübecker Schau, die jetzt vom neuen Vorstandsvorsitzenden der Overbeck-Gesellschaft, Christian Klawitter verantwortet wird und von Stephan Schmidt-Wulffen kuratiert wurde, findet in Form von Verkaufsausstellungen in den vier teilnehmenden Kirchen: Petrikirche, St. Jakobi, der Evangelisch-Reformierten Kirche in der Königstraße und der Johann-Hinrich-Wichern-Kirche in Moisling statt. So hat sich zum Beispiel der große, weiße Kirchenraum der Petrikirche in eine schicke und gemütliche Wohnlandschaft verwandelt. Das dänische Möbelhaus Bolia hat die Kirche mit skandinavischen Wohnlandschaften und Teppichen ausgestattet.

In der Reformierten Kirche hat der Biomarkt Landwege seine Biowaren ausgebreitet, während in Moisling Textilien der Firma Holtex angeboten werden. In St. Jakobi hat der Elektronikhändler Jessen und Lenz sich mit Smartphones und großen Fernsehern eingerichtet. Im Vorraum laden Plattenspieler und fette Anlagen zum genüsslichen Musikhören ein. So hat sich für den 4. November der berühmte Schauspieler Lars Eidinger als DJ für eine „Anti Disco“ angesagt.

Heilige Geschäfte in St. JakobiHeilige Geschäfte in St. Jakobi

Für den Künstler Jankowski ist vor allem das Prozesshafte an seinen Kunstaktionen wichtig. Die „Heiligen Geschäfte“ zum Beispiel von Landwege mit ihren Regalen und Aufbauten haben auch etwas Skulpturales und gehen neben der Verkaufstätigkeit auch als Installation durch, befindet der Künstler. Ihm sei wichtig, was sich beim Handeln abspielt. Außerdem plädiert er zum „Mut zum Spielen“ - auch und besonders in der Kunst. Man solle offen aufeinander zugehen. Davon profitieren sowohl die Läden, wie die Kirchen, als auch die Kunst.

Natürlich gab es im Vorfeld der Planung aber auch kritische Stimmen. Zumal Jesus laut Matthäus ja auch die Händler aus dem Tempel geworfen hatte. Aber gleichzeitig hatte er damit Platz für die ‚Blinden und Lahmen geschaffen, um sie zu heilen, wie die Pastorin Imke Ackermann-Dorn betont. „Gerade in dieser Geschichte werden Räume geöffnet. Heilung kann geschehen.“

Heilige Geschäfte in der PetrikircheHeilige Geschäfte in der Petrikirche

Christian Jankowski: Heilige Geschäfte vom 22.10. - 05.11.2023 in den teilnehmenden Kirchen.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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