Es ist schon merkwürdig. Das Theater Lübeck muss, um Tanztheater zeigen zu können, in Kiel höflich anklopfen oder bei Oper und Musical fremde Kräfte einkaufen.
Die Songs in raffinierten Vokalsätzen sind Ohrwürmer seit mehr als 90 Jahren, der vom „Freund, dem guten Freund“, von der „Veronika“, die den Spargel wachsen lässt, vom „Kleinen, grünen Kaktus“ oder der „Schönen Isabella aus Kastilien“.
Als am Theater Lübeck entschieden wurde, den uralten Mythos von Orpheus, dem Seelenfänger durch Musik, in Tennessee Williams Version auf den Spielplan zu setzen, ahnte wohl keiner, wie brisant „Orpheus steigt herab“ werden würde.
Es beginnt mit einer rasanten Kutschfahrt und einer gehörigen Bruchlandung. Untermalt vom beschwingten rossinischen Crescendo stürzen Pferde, Räder und Wagenteile, Koffer und Stiefeletten, Handtasche und Hut herab.
Das Eis gepflegter Freundschaft ist dünn, darunter gurgelt aufgestauter Zorn. Im Theater Partout bricht der hervor, als „Der Vorname“ für ein demnächst erwartetes Kind fällt: Adolphe.
Von einem Leben in Frieden träumt Odysseus, König auf Ithaka und sagenumwobener Held vor Troja, der nach zehn Jahren Kampf dort und zehnjähriger Irrfahrt danach sich in seinem Land wie ein Fremder fühlt und das selbst für Penelope, seine Gemahlin, wird.
Kaum ist das 4. Internationale Figurentheater-Festival in Lübeck vorbei, zieht das Theater Lübeck mit einer Inszenierung nach, die gut dazu gepasst hätte (Premiere: 25. November 2016). Denn über 50 Puppen wurden an der Beckergrube bemüht, den Aufstieg und Fall der dynastisch geführten „Lehman Brothers“ darzustellen.
Lautstark und kontrovers war in Lübeck die Reaktion auf Tilman Knabes Tosca (Premiere: 18. November 2016). Es war eine Inszenierung, die vor kaum einem Tabu Halt machte. Schonungslos versuchte sie, dem Publikum das Gefühl von Sicherheit zu nehmen, es damit zu konfrontieren, dass Krieg und Gewalt, Zerstörung und Hass, menschliche Qual und Perversion vor der Tür stehen.