Foto: (c) Silke Winkler

Ballettproduktion in Schwerin
„Andy – Superstar!“, scharf wie eine Peperoni

90 Jahre alt wäre Andy Warhol in diesem Jahr geworden, doch nicht einmal das 59. Lebensjahr erreichte er.

Er starb 1987 nach einer Gallenblasenoperation. Was er hinterließ, umfasst einfache Werbegrafiken bis hin zu Gemälden oder Objekten, Filme, Bücher und musikalische Produktionen. Nicht das Unikat war sein Ziel, er wollte die Massenware, die dennoch unverkennbar seine Züge trug, wurde damit zum Prototyp der Popart. Vor allem seine Drucke hat jedermann vor Augen: Jackie oder Marylin als Motiv, Goethe, Beethoven, Brandt oder sich selbst, auch die Suppendose, schlicht oder hundertfach, und Kühe, Blumen, Früchte, Autos, alles farbig variiert.

An ihn erinnerte das Mecklenburgische Staatstheater nun mit „Andy – Superstar“. Das ist ein Ballettabend, der sich dem Phänomen Warhol (UA 14. September 2018) annähert. In einer Gemeinschaftsarbeit schufen ihn Jutta Ebnother, die Schweriner Ballettdirektorin, und Orkan Dann als Gast. Er ist Choreograph und hat als Tänzer bei John Neumeier seine Ausbildung abgeschlossen. Warhols schillernde Persönlichkeit wollen sie in Tanzszenen erfassen, die nicht sein Leben nacherzählen, obwohl das bunt genug war, vielmehr wollen sie ihn im Kreise von Personen zeigen, die ihn inspirierten oder die er inspirierte.

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Zu lokalisieren ist das leicht, zeitlich zwischen 1962 und 1984 und örtlich in New Yorks „The Factory“. Sie war mit ihren Ateliers Lebens- und Schaffenszentrum für Warhol, auch für unzählige andere. David Bowie gehört dahin, International Velvet, Lou Reed, auch Salvador Dali oder Bob Dylan kamen vorbei oder gehörten dazu. Wie in einem Fantasyfilm macht in Schwerin eine riesige Couch im Hintergrund die Personen spielerisch klein, und ein paar Bühnengebilde mit silbriger Auskleidung sind für sie als Dusche, als Kleinkunstbühne oder Rückzugspunkt bewegliche Spielelemente (Bühne Romina Kaap und Jutta Ebnother). Sind sie zusammengeschoben, macht sich auf ihren Rückflächen eine Peperoni breit, einziger Verweis auf ein Bild des Künstlers.

Auch die Kostüme (Romina Kaap) passen sich gekonnt der Zeit an. Auffällig ist immer wieder Andy selbst. Der Tänzer Richard Jones macht es sehr geschickt, die Exaltiertheit des Stars zu verdeutlichen und hebt sich aus der Schar der 14 Tänzer heraus. Eine weiße Perücke und seine hell pigmentierte Haut, schwarze Kleidung, vor allem seine hagere Schlankheit machen ihn unverkennbar. Anfangs stören ein paar allzu tuntenhafte Bewegungen. Sie verschwinden, wenn er sich als Sänger produziert, sich filmend oder knipsend lauernd durch die Besucher bewegt. Selten reiht er sich ein oder sucht Kontakt.

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Im Programmheft ist ein kurzer Text von Warhol abgedruckt, der sich wie eine Selbstanalyse liest: „I have / Social Disease. / I have / to go / out / every night. / If I stay / home / one night / I start / spreading / rumors / to my dogs.“ Das „I“ gliedert den Text, viermal taucht es auf, kennzeichnend für den manisch arbeitenden und auf sich bezogenen Künstler. In einem Artikel, 1999 in „The Guardian“ veröffentlicht, stellt die Kunst- und Medienjournalistin Vanessa Thorpe ganz prosaisch diese Frage: „Was autism the secret of Warhol's art?“ Viele seiner charakteristischen Kennzeichen bestätigen ihr, dass er ein Autist war, einer mit dem Asperger-Syndrom. Unter anderem nennt sie seine Bindungsschwäche, sein Bemühen, sich mit wenigen Worten auszudrücken oder seine Besessenheit, sich mit immer den gleichen Produkten zu beschäftigen. Auch ein stereotypes Verhalten gehört dazu sowie seine obsessive Besessenheit zur Detailtreue. Das kann sich mit hoher Intelligenz und Inselbegabung verbinden, die dazu führen kann, dass er seiner Umgebung wenig kritisch begegnet.

Das wird in der Choreografie sehr überzeugend umgesetzt, in der Regie und von den Tänzern. So tummeln sich auf dem Sofa und davor viele besondere Charaktere. Man muss schon genau mit der Zeit verbunden sein, um sie alle zu kennen und zu erkennen, obwohl Jutta Ebnother in ihrem Ensemble nach Typen gesucht hat, die ihren Vorbildern etwa entsprachen. Kleine Geschichten werden eingewoben, wenn Bob Dylan (Vasco Ventura) sich an Edie Sedgwick (Irene López Ros) heranmacht, argwöhnisch von Andy beobachtet. Sie tanzen als einzige ein Pas de deux in klassischer Manier mit Tutu und auf Spitze zu einer sanften Version des Beatles-Songs „Now and Then“ mit Klavierbegleitung.

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Oft herrscht Musik mit einem rebellischen Sound für exzessive Szenen mit Drogen oder Rausch. Aus dem Hardrock-, Elektronik- und Techno-Bereich stammen sie. Das wechselt mit Psychedelic-Rock, auch mit Soul oder Pop in gefühlvolleren Momenten. Mick Jagger (Fem Rosa Has), Lou Reed (Tommaso Bucciero) oder David Bowie (Kellymarie Sullivan) sind dabei, als Figuren und mit ihrer Musik. Auch dem Zeittypischen mit seiner sexuellen Befreiung wird Raum gegeben mit einer köstlichen Transvestiten-Show (Thiago Fayed) zum Falsettgesang von „Sherry“ oder bei einer homosexuellen Szene.

Aus der Fülle der Factory-Besucher sind solche ausgewählt, die sehr eng mit Warhol verbunden waren wie International Velvet (Naomi Uji). Andere blieben länger oder kürzer, die melancholische Andrea Feldman (Eliza Kalcheva) oder Nico (Gisela de Paz Solvas), Salvador Dalí (Jordi Arnau Rubio), der Schauspieler Robert Olivi, bekannt als Ondine, (Maxim Perju) oder Jay Johnson (Ennio Zappalá). Dan Datcu, das männliche Sex-Objekt Joe Dallesandro.

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Das alles ist in einprägsamen Bildern zu erleben, wobei die Handschriften der beiden Choreographen sich zwar unterschieden, doch eine gelungene Symbiose eingehen. Jutta Ebnother zeigte häufig Armdrehungen und ist insgesamt weicher, Orkan Dann nutzt oft das Spiel der Hände und ist abstrakter und härter in den Bewegungen. Das Publikum, auch älteres, war in der zweiten Aufführung, zwei Tage nach der Premiere, begeistert, zeigte das zwischendurch und zum Finale mit Beifall.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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