Peter Grünig (Baptista), Patrick Berg (Katharina), Will Workman (Bianca), Rachel Behringer (Lucentio), Alina Rank (Tranio), Foto: K. Schomburg

William Shakespeares Rezept in den Kammerspielen emanzipatorisch gefiltert
Wie heutzutage eine widerspenstige Frau zu zähmen ist

Unbotmäßige Frauen soll es schon lange geben. Ist man Mann, denkt man da mitleidsvoll an den armen Sokrates und dessen Xanthippe. Bei der anrüchigen Geschichte mit dem Nachttopf graut einem immer noch, sie wird deshalb hier nicht nacherzählt.

Das ist die eine Seite einer abgegriffenen Ehemedaille. Doch Frauen, die ihrerseits unter ihren Gatten leiden, soll es genauso geben. Die sind zwar weniger schlagwortartig oder anders berühmt, wenn sie nicht gerade mit dem achten Heinrich zu tun hatten. Wie behauptet wird, enthauptete er zwei seiner Angetrauten, früher eins der Mittel gegen Widerspruch, heute nur in wenigen Regionen. Ein berühmter englischer Dramenpoet bedichtete die Problematik beidseitig und auch mehrmals. Nicht zuletzt deshalb werden seine Schöpfungen immer wieder gern gesehen und inszeniert, wie es jetzt das Theater Lübeck in seinen Kammerspielen tat.

Peter Grünig,  Maike Jüttendonk,  Alina Rank,  Rachel Behringer,  Will Workman  Foto: K. SchomburgPeter Grünig, Maike Jüttendonk, Alina Rank, Rachel Behringer, Will Workman Foto: K. Schomburg

Was dort seit der Premiere am 2. Februar 2018 zu sehen ist, gehört in die erste Kategorie, zu den Xanthippen oder ihren Geistesverwandten. Ist ja ein lustiges Thema, dachte sich wohl einst William Shakespeare, als er „The Taming Of The Shrew“ schuf, 1831 übersetzt dann von Wolf Heinrich Graf von Baudissin. Seinen schönen, aber romantisch ausgerichteten Sprachtransfer fand die 1949 in Bayern geborene Anna Cron anachronistisch (das Wortspiel musste sein!), wie auch andere zuvor. Er sei zu wenig unserer Zeit gemäß und mildere zu sehr das teils deftige Gezanke. Die Autorin und Übersetzerin beließ es bei dem Titel „Der Widerspenstigen Zähmung“, auch bei den Grundzügen der Geschichte, die sie so umreißt: „Ein Vater verschachert seine beiden Töchter an Meistbietende – das Publikum schmunzelt. Die eine spielt das Spiel mit; die andere wehrt sich entschieden: mit derben Worten und haut auch schon mal kräftig zu – das Publikum lacht. Der Freier der Letzteren, der es auf deren üppige Mitgift abgesehn hat, bricht ihren Willen, den Stolz, vergewaltigt sie physisch und psychisch, und das Publikum tobt vor Heiterkeit.“ (Zu finden ist das unter www.annacron.de)

Und auch das: „Robert Greene oder George Peele – vermutlich ist einer der beiden der Autor des Stückes – hat dem ‚Lustspiel‘ eine Rahmenhandlung verpasst, die die Geschichte als Stück im Stück relativiert“, die dadurch „auch durchaus Kesselflickers Traum sein“ könnte, was schon nach dem in einer Sommernacht riecht. Da die Rahmenpersonen nun in Lübeck nicht auftreten durften, kann auch das, was sie bewegt, keine Rolle spielen und das Anti-Emanzipatorische entschärfen. Sie hätten jedenfalls das Komödiantische befördert, aber das wollte man wohl desgleichen nicht. Lieber sollte es problematisch sein und etwas „Zur frühneuzeitlichen Geschlechterpolitik“ beitragen, wie ein Essay von Elfi Bettinger im Programmheft verrät, oder etwas Ähnliches. Denn die Komödie endet bei Shakespeare nicht „mit dem glühenden Plädoyer Katharinas für ihre eigene Unterwerfung (und -drückung)“ (Anna Cron), was ein ganz schön harter Brocken für alle Emanzipierten wäre, sondern eben mit der Szene, die den Kesselflicker seine Traumland-Erfahrungen überdenken lässt.

Will Workman (Bianca),  Patrick Berg (Katharina),  Foto: K. SchomburgWill Workman (Bianca), Patrick Berg (Katharina), Foto: K. Schomburg

Den Rahmen wegzulassen, hat allerdings den Vorteil, Mitspieler einzusparen, was dem Budget gut tut, nicht aber der Deutung. Aber das tat man nicht nur beim Rahmen, auch in der Binnenhandlung wurden Rollen gestrichen und Schauspieler mit zwei Charakteren betraut, was zwar beides inzwischen in Lübeck Mode ist, aber trotzdem ebenfalls dem Verständnis nicht hilft. Des Weiteren tauschte die Regie mal eben alle Geschlechter aus, auch das nur in seiner Radikalität neu. Männer spielen die Frauenrollen, Frauen die zahlreicheren des anderen Geschlechts, bis auf einen, der zunächst als Baptista, das Väterchen der zwei Töchter aus Padua, noch in Männerkleidung spielen darf, dann aber im zweiten Teil als Vater eines Sohnes aus Pisa in ein Bronzekorsett sich zwängen muss.

Peter Grünig macht das wie immer sehr geschickt und gekonnt lächerlich. Das müssen auch Patrick Berg und Will Workman leisten, die von Anfang an die schöne und aufmüpfige Katharina und die ebenfalls schöne und brave Bianca mimen. Nicht einfach das, weil Männer mit wenig Haar oder Blumen auf dem Kopf in solcher Kleidung nichts anderes als lächerlich sein können. Beiden gelingt es dennoch leidlich, dem entgegenzuwirken. Da hat es die Reihe der Damen einfacher, weil man es eher gewohnt ist, taffe Frauen in Hosenkleidung zu erleben, wenn auch selten (oder nie) mit solch einer Penisattrappe in der schwarzen Lederhose. Die Einheitskleidung (Kostüme: Ines Köhler) erschwert die Zuordnung. Rachel Behringer, die sich als Lucentino um Bianca bemühen muss, muss zudem noch – diesmal nach Shakespeares Willen – in die Rolle Tranios, seines Dieners, schlüpfen, den eigentlich Alina Rank verkörpert, um dann als Lateinlehrer Cambio der Angebeteten nahe sein zu können.

Jan Schöwer (Musik),  Peter Grünig (Baptista),  Will Workman (Bianca),  Patrick Berg (Katharina), Rachel Behringer (Lucentio),  Alina Rank (Tranio),  Maike Jüttendonk (Hortensio)  Foto: K. SchomburgJan Schöwer (Musik), Peter Grünig (Baptista), Will Workman (Bianca), Patrick Berg (Katharina), Rachel Behringer (Lucentio), Alina Rank (Tranio), Maike Jüttendonk (Hortensio) Foto: K. Schomburg

Wenn Sie als Leser mitgekommen sind, bedanke ich mich, vielleicht gelingt es Ihnen dann auch an der Beckergrube. Leichter geht’s weiter. Denn Maike Jüttendonk spielt den anderen Verehrer Biancas und zusammen mit Rachel Behringer einen der grandios grotesken Diener Curtis und Grumio. Die gehören zu Petruchio, dem Astrid Färber eine wunderbar rigorose Erscheinung gibt. Zumindest der männliche Zuschauer kann sich optisch an den „Herren“ erfreuen, muss bei den „Damen“ aber eher an Schmierentheater denken, wofür die drei allesamt nichts können.

Für die Inszenierung war nämlich Lily Sykes eingeladen, eine Dame wie das Stück aus England, nur so rund 400 Jahre jünger. Sie w(s?)ollte das Geschehen in Erinnerung rufen, das berühmt geworden ist, vertont als Musical, Ballett, auch vielmals als Oper, besonders erfolgreich als Film, merkwürdig selten jedoch im Theater zu sehen, zumindest in der letzten Zeit. Denn wie arg sperrig die Problematik werden kann, wenn man das persiflierte Spiel im Spiel ernst nimmt, merkt man schon bei einem anderen Blick ins Programmheft. Dessen erster Beitrag „Zum Stück: Ein Gedanke ist nicht genug“ bedenkt zu Beginn den „betrunkenen Kesselflicker Sly“. „Schlau“ müsste da stehen, wie er in deutschen Übersetzungen heißt.

Peter Grünig (Baptista),  Patrick Berg (Katharina), Will Workman (Bianca), Foto: K. SchomburgPeter Grünig (Baptista), Patrick Berg (Katharina), Will Workman (Bianca), Foto: K. Schomburg

Schlau muss möglichst der sich machen, der das verstehen soll oder will, was auf der Bühne dann doch nicht stattfindet. Wie gesagt, Schlau tritt nicht auf, ein paar Sprachfetzen werden anfangs per Mikrofon ins Publikum geschleudert, die aus seinem Munde stammen könnten. Und dann zeigen sich die anderen, die die Herren und die zwei Damen verkörpern, in dem für diese Darstellung wunderbar geeigneten Bühnenbild von Jelena Nagorni. Ränge steigen auf wie in einer Hör- oder Vieh-Auktionshalle, die eine der besten Szenen ermöglicht, in der die Töchter versteigert werden. Zudem sitzen dort menschengroße Puppen, die erstens die Szene füllen, zweitens wunderbar zu bespielen sind, weil man an ihnen seine Wut loslassen, auch seine Liebe oder den Hunger stillen kann.

Ca. zwei Stunden dauert das Tun auf der Bühne, das trotz der grundsätzlichen Einwände munter inszeniert und vor allem gespielt ist. Die Musik von Jan Schöwer, der selbst mit Gitarre und Gesang am Geschehen teilnimmt, strukturiert gut und lockert geschickt auf. Eine wünschenswerte Verbesserung der Geschlechterverhältnisse wird die Inszenierung allerdings wohl kaum bringen, weshalb weniger Gedankenballast mehr Theater gewesen wäre.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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