Irene López Ros, Foto: (c) Silke Winkler

Premiere von "Mazl Tov!" im Schweriner E-Werk
Das Spiel mit dem Fremden

„Mazl tov!“ hat Jutta Ebnother, seit dieser Spielzeit Ballettdirektorin am Staatstheater Mecklenburg, ihre neueste Tanzschöpfung genannt. Was so fremd klingt, hat doch im Deutschen bereits lange Eingang gefunden.

Gebraucht wird das aus dem Hebräischen oder Jiddischen entstammende Mazl (auch Massel oder Massal) in den Wörtern Schlamassel oder vermasseln, die beide das Wort für Glück ins Negative wenden. Ursprünglich dagegen bezeichnet es einen Tropfen von oben, ein göttliches Geschenk also und ist mit tov vereint ein Glück- oder Erfolgswunsch, angewandt bei Festen etwa zur religiösen Mündigkeit oder Hochzeit. Das trifft dann auch das, was Jutta Ebnother in ihrer Choreografie mit ihren 12 Tänzern ausdrücken will.

Eine Frau tritt auf, bald ein Mann. Ein Spiel von Spannung und Entspannung beginnt. Sie suchen Zweisamkeit, sitzen an einem langen Tisch einander gegenüber, bis die Gemeinschaft aller sie aufnimmt. Welche das ist, ob Freunde oder Familie, bleibt sich gleich. Es ist das Zusammensein, das Gefühl, zueinander zu gehören, das in wunderbar erfüllten Bildern gezeigt wird, das auch Spannungen bringt. Wo bleiben sie aus? Aber sie sind zu überwinden. Ein hoffnungsvoller Optimismus bleibt. Dabei ist der Tisch, das Möbel, das alle zusammenbringt, eine simple, eine unzweideutige Metapher. Er versammelt die, die sich daran treffen, er ordnet sie, lässt aber vielerlei Deutungen zu über ihre Art, miteinander umzugehen. Dennoch ist das Positive, die Vertraulichkeit, die Freude am Leben und am gemeinsamen Tun ein Motiv, das sie und ihr Handeln prägt.

Diesen Eindruck vermittelt auch die eine Schicht der Musik, die des Klezmers. Dieser Musikstil mit Kompositionen u. a. von Béla Kovács, Helmut Eisel oder Ora Bat Chaim richtet den Blick auf eine religiös geprägte Lebenswelt aus. Wer ihn im Ohr hat, erwartet unbändige Freude und Kraft, aber auch Klänge von Leid, aber von überwindbarem, die die Kraft zum Weitermachen steigern. Die Tänzer setzen diese Musik mit leichten, groß schwingenden Bewegungen um. Die Arme fließen, als ob die Körper vom Boden abheben wollten. An das Leichte eines Vogelflugs erinnert das, verstärkt durch die vorgestreckten Oberkörper und die schnellen, wirbelnden Schrittfolgen. Auch die Kostüme von Adriana Mortelliti, einfache Oberteile und lange, weich schwingende Röcke der Tänzerinnen und die schlichte Kleidung der Tänzer in Tönen zwischen einem helleren und dunkleren Braun und Rot unterscheiden sie nur gering, lassen keine sozialen Unterschiede zu. So bleibt der Eindruck einer Gemeinschaft, aus der sich nur wenige herausheben. Doch wird keine Geschichte erzählt, die sich auf einen Einzelnen ausrichtet, auch wenn das Paar zum Schluss im Hochzeitstanz sich findet, aber in der Gruppe.

Ballettensemble, Foto: (c) Silke WinklerBallettensemble, Foto: (c) Silke Winkler

Dem steht weniger als Kontrast, mehr als eine andere Art der Lebenshaltung Bachs Musik entgegen. Zwei seiner Violinsonaten bringen eine andre Gestimmtheit, eine kontemplative. Die Bewegungen werden konzentrierter, auch wenn sie ihren Grundton behalten. Es ist schon erstaunlich, dass sich diese beiden Stile vertragen, so nahtlos in ihrem Gestus zu vereinen sind. Von einem der Komponisten aus der Klezmerwelt, Helmut Eisel, ist die Aussage zu finden: „Ich glaube, wenn Bach die Klarinette gekannt und Klezmer gehört hätte, wäre er begeistert gewesen – wenn er es denn zugegeben hätte.“

Die Musik, Klezmer wie die Bach-Sätze, wird von Mitgliedern der Staatskapelle gespielt, von klassisch erfahrenen Musikern also. Friedemann Braun, selbst für die Tasteninstrumente zuständig, hat sie für ein Ensemble aus klassischer und Klezmer-Geige (Dietrich Hempel und Johannes Richter), für Klarinette (Hajo Willimczik) und Kontrabass (Jörg Hillert) eingerichtet. Dass nicht alles gleich authentisch klingt, ist verständlich, erfreulich aber, dass die Musik nicht vom Band abläuft. So wird diese lang applaudierte Tanzschöpfung von Jutta Ebnother im E-Werk des Mecklenburgischen Staatstheaters (Premiere: 31. März 2017) auch dadurch zu etwas Besonderem.

Es ist wieder ein überzeugender Beweis für die Leistungsfähigkeit des Balletts geworden, das mit seiner Kunst sich hinwegsetzen kann über die Grenzen der Alltäglichkeit, um das Gemeinsame im Fühlen zu entdecken.  

Fotos (c) Silke Winkler

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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