Aurore Ugolin (Amneris)

Spektakuläre „Aida“ vor klassizistischer Kulisse
Eröffnung der diesjährigen Schweriner Schlossfestspiele

Schwerin hat sein Sommerereignis, eine Aida im Alten Garten vor klassizistischer Museumsarchitektur und pompöser floraler Kulisse. Aufwändig und spektakulär einerseits hatte man sich an Guiseppe Verdis wohl bekannteste Oper herangemacht, musikalisch sie glänzend ausgerüstet, aber bei der weniger konsequenten Inszenierung eher daran gedacht, dem Publikum nicht wehzutun.

Im Vorfelde sorgte schon die Ankündigung für Entrüstung, dass Mala, eine leibhaftige afrikanische Elefantendame von 31 Jahren, auftreten sollte. Die Tierschützer intonierten deshalb mit Trillerpfeifen von außen eine Vor-Ouvertüre, steckten aber zehn Minuten vor Beginn ihre Instrumente ein. So konnte Mala ungestört ihren kurzen Auftritt genießen, mit ihr noch zwei Tiere aus der Familie der Kamele und im Schlussakt ein Wachhund, der mehr Nerven zeigte. Alle aber waren sie unberührt von Verdis Trompeten.

Elefantendame Mala auf der Bühne in SchwerinElefantendame Mala auf der Bühne in Schwerin

Ein zweiter Faktor spielt immer mit, auch wenn die Inszenierung versuchte, vergessen zu lassen, dass sie nicht im heißen Kairo und in wuchernder Nillandschaft sich ereignet. Es ist bei Freiluft-Ereignissen in unseren Breiten das Klima. Aber wetterfeste Nordlichter ficht es wenig an, auch wenn, wie bei der Premiere am 9. Juni 2016, Wolken düster über die Szene zogen und hin und wieder ihr schweres Nass entleerten. Damit bereiteten sie den traurigen Liebestod der Titelfigur geschickt vor, passten aber weniger zur Siegesfeier samt Goldband-Raketen und Triumphmarsch, dem Klassik-Hit schlechthin. Mitleid entwickelten die Zuschauer daher weniger mit den Opernfiguren, mehr bedauerten sie die Darsteller. Sie mussten sich vom Wind ungestüm an den Kostümen zausen lassen und in Pfützen, stehend oder liegend, Darstellungskraft entwickeln.

Eine fragwürdige Inszenierung: Georg Rootering hatte im Vorjahr bereits La Traviata inszeniert, vor zwei Jahren den Nabucco. In diesem Jahr folgte nun als dritter Verdi das Ägypten-Drama. Auch diesmal war Romaine Fauchère seine Bühnen- und Kostümbildnerin. Eine riesige Dachterrasse von ca. 900 qm hatte sie aufgebaut, gegliedert durch sieben schmucklose Pfeiler und mit einem breiten Podest im Hintergrund, zu dem sechs Stufen hinaufführten. Links waren ein paar Möbel, Tische oder Bänke, alleinige Requisiten, rechts unterbrach die Fläche ein Treppenabgang. Weiter außen dienten zwei Schrägen als Projektionsfläche. Sie weckten mit weiteren von unten aufstrebenden Eckwänden die Illusion einer Pyramide, obwohl zumeist alles Ägyptische vermieden wurde. 

Yannick-Muriel Noah (Aida) und äthiopische Genfange im Käfigwagen.Yannick-Muriel Noah (Aida) und äthiopische Genfange im Käfigwagen.

Unter dieser Dachebene, abgeschirmt nach vorn durch eine weitere Stützenreihe und einen Gazevorhang, hatte das Orchester reichlich Platz. Dennoch wurde es mit zunehmender Dunkelheit optisch immer präsenter, auch störender, wenn sich davor intime Szenen abspielten. Denn der Raum dort war auch Aktionsfläche zunächst für ein heimliches Treffen von Aida und Radames, später u. a. für den Triumphzug mitsamt Elefanten- und Kamelauftritt und dem der Gefangenen in einem Käfigwagen, aber auch für den Schluss. Dort wurde er, quasi rahmend für Aida und Radames, zum Todesgewölbe für beide. Was allerdings das einem riesigen Sofa ähnelnde Möbel sollte, erschloss sich nicht.

Die Inszenierung bot eine modernisierte Sicht. Ägyptens Heerscharen trugen Khaki, Barett und Revolver, die Damen der Gesellschaft Salonkleider und die Herren dunkle Anzüge. Die Kostüme der Priester und Priesterinnen stachen phantasievoll heraus. Die gefangenen Äthiopier steckten in Guantánamo-Sträflingskleidung. Alles spielte damit im Nirgendwo und Überall, war allerdings sehr ästhetisch anzusehen. Lediglich eine mit ägyptischen Insignien verzierte Truhe, die das Kampfschwert für Radames verwahrte, die Leopardenfelle der Priester und natürlich die vierbeinigen Darsteller verwiesen Richtung Suez. Schauerlich wirkten dagegen eine hereingetragene Kinderleiche und ein blutbeschmutztes Fahnentuch. Sie sollten den Zorn auf die bösen Feinde schüren, deren Aufstand durch unklare, schwer entzifferbare Projektionen auf die Schrägflächen verdeutlicht wurde. Auf gleicher Schräge imponierte außerdem Il Rè, der König, im überlebensgroßen Video in Paradeuniform.

Ägyptischer Hofstaat und SoldatenÄgyptischer Hofstaat und Soldaten

Auch ein paar andere Regieeinfälle, z. B. die Erstürmung des Museums im Hintergrund, oder die Bewegungs-Choreografie, die die höfische Gesellschaft zwingt, sich rückwärts aneinander vorbeizuzwängen, überzeugten nicht. Auch die Gestaltung des Schlusses mit dem Priesterchor aus dem Off und mit der bedauernswerten Amneris, die minutenlang regungslos auf regennassem Boden vor dem Treppenabgang ausharren muss, warfen Fragen auf. Geradezu abstoßend aber war die Erdrosselung der armen Aida durch Radames. Er begriff wohl schnell, was er angestellt hatte und stürzte einen Becher Gift hinunter. Einiges ausbessern konnte die Lichtregie, die den ausgedehnten Bühnenbau im letzten Akt in ein netzartiges Lichtgewebe hüllte.

Die Aufführung beeindruckte insgesamt dennoch durch die Musik. Ein großes Lob muss dabei der Tontechnik (Leiter der Abteilung: John Schröder) gemacht werden, die alles durchhörbar, stimmig im Klang machte. Die Mikrophone der Sängerdarsteller ermöglichten zudem ein gutes Richtungshören, waren auch zum Orchesterklang perfekt ausgesteuert. Und auch das, was die Mecklenburgische Staatskapelle unter dem Dirigenten Gregor Rot, seit 2013 Erster Kapellmeister in Schwerin, an Klangfinesse und Gestaltungsfähigkeit aus dem Orchester herausholte, kam warm und mitreißend herüber. Selbst einzelne Instrumente wie die delikate Klarinette im vierten Akt konnten Pracht entfalten.

Yannick-Muriel Noah (Aida)Yannick-Muriel Noah (Aida)Ebenso hörenswert war, was die Protagonisten boten, allen voran die in Madagaskar geborene Sopranistin Yannick-Muriel Noah in der Titelpartie. Sie hatte schon in der letzten Spielzeit in Lübeck eine fabelhafte Leonore abgegeben, bezauberte nun auch hier als Aida. Sie bannte mit einer großen, dynamisch vielfältig variierenden Stimme, schaffte es selbst im feinsten Pianissimo noch klangvoll, den seelischen Regungen dieses von Verdi breit angelegten Frauencharakters nachzukommen. Und auch ihr weiblicher Widerpart, die Amerikanerin Aurore Ugelin als leidenschaftlich agierende Königstochter Amneris, faszinierte mit wohltönendem Mezzo, dessen Tiefe kraftvoll und farbig ist. Den beiden Gästen stand mit Steffen Schantz als Radames ein Ensemblemitglied gegenüber. Er überzeugte von Anbeginn, schon mit Celesta Aida, und hielt bis zum bitteren Ende erstaunenswert durch. Dem Ramphis gab der hoch gewachsene Syrer Ziyan Atfeh mit einem festen Bass ein außergewöhnliches Profil, wie auch der Bulgare Krum Galabov dem Amanasro. Sebastian Kroggel als König und Stamatia Gerothanasie als Priesterin, beide Ensemblemitglieder, fügten sich großartig ein.

Große Anerkennung gebührt auch dem Chor, zusammengesetzt aus Opernchor, Mitgliedern der Schweriner Singakademie und dem Jugendchor des Schweriner Musikgymnasiums, den Ulrich Barthel sicher einstudiert hatte. Er bewältigte zudem das Spiel in vielen verschiedenen Rollen mit mancherlei Kostümwechsel zwischendurch mit Bravour. Über 200 Künstler waren an dieser beachtlichen Aufführung beteiligt. Langer Beifall für sie bei der Premiere!

Die nächsten Aufführungstermine: www.theater-schwerin.de


Fotos (c) Silke Winkler

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.