Modell Priwall Waterfront, Sonderbau 1

„Gut gestaltete Umwelt prägt die Wahrnehmung“
Interview mit Architekt Ingo Siegmund

Romantisch, maritim, hanseatisch-modern, fein … Der Betrachter mag unzählige Adjektive finden, um die vier Sonderbauten des Ferienprojekts „Priwall-Waterfront“ zu beschreiben. Dabei ist es wohl gerade die Schlichtheit des Motivs, die uns eine vielfältige Wahrnehmung und Interpretation ermöglicht.

Entworfen wurden die Sonderbauten von der Konermann + Siegmund Architekten GmbH. Sie gewann den Wettbewerb der Kieler Bauherren der Planet Haus AG. "unser Lübeck"-Autor Christoph Krelle sprach mit dem Architekten Ingo Siegmund im Lübecker Büro in der Mühlenstraße.

unser Lübeck: Welche Bedeutung haben die Sonderbauten für das Gesamtprojekt „Priwall-Waterfront“?

Ingo Siegmund: Die Sonderbauten werden das Erinnerungsbild von Priwall-Waterfront sein. Wer auf der anderen Seite von Travemünde steht, wird die vier direkt am Wasser stehende Gebäude sehen, die nicht nur Sonderbauten heißen, sondern auch in ihrer Architektur sehr besonders sind. Die Urlauber, die hier herkommen, werden sich nach ihrer Reise, schon längst wieder zu Hause eingelebt, noch genau an dieses Bild erinnern.

u.L.: Wie wird dieses Bild aussehen? Beschreiben Sie mal!

I.S.: Das erste Gebäude enthält drei Wohngeschosse, die auf fünf Meter fünfzig hohen Stelzen stehen. Darunter werden zwei kleine Glaspavillons angeordnet, von denen eines als Café genutzt wird. Zwischen den Pavillons schaut man unter dem Gebäude hinweg auf die Trave, die Passat und das gegenüberliegende Ufer. Anders als in ähnlichen Situationen, in denen zeitgenössische Architektur Zeichen setzen will, ist das Motiv des aufgestelzten Hauses sehr schlicht und unaufgeregt und trotzdem sehr besonders.

u.L.: Und die übrigen Bauten?

I.S.: Das zweite Gebäude, vorgesehen für die Nutzung einer Mikrobrauerei, ist eher lagerhaft, flach und terrassenartig ausgebildet. Die beiden letzten, weiter Trave-aufwärts gelegenen Sonderbauten sind nur teilaufgeständert. Ihre Baumassen gleichen einem Turm, dessen oberen Geschosse gegenüber den unteren verschoben sind. Ich vergleiche das gerne mit einem Hund, wie ihn ein Kind aus Lego bauen würde. In diesen Gebäuden befinden sich auf der Promenadenseite jeweils kleine gewerbliche Einheiten, daneben und darüber sind Ferienwohnungen.

u.L.:: Bereits im Januar gewannen Sie den Architektenwettbewerb für den ersten Sonderbau. Später konnten Sie die Jury auch bei den übrigen Gebäuden überzeugen.

I.S.: Ja, das war ein sehr ungewöhnliches Verfahren. Der Wettbewerb umfasste alle vier Sonderbauten, die jeweils einzeln prämiert werden sollten. Üblicherweise würde man trotzdem seinen Vorschlag für alle vier Gebäude gleichzeitig abgeben. Hier aber wurde der erste Sonderbau vorgezogen, sodass in der zweiten Phase allen Teilnehmern das prämierte erste Haus bekannt war.

Modell Priwall Waterfront, Sonderbau 1Modell Priwall Waterfront, Sonderbau 1

u.L.: Wie wirkte sich das auf Ihre Arbeit aus?

I.S.: Na ja, nachdem der erste Wettbewerb gewonnen war, standen wir vor der Entscheidung, ob die Sonderbauten 2 bis 4 sich an dem ersten orientieren sollten oder nicht. Das Preisgericht selbst hatte es nicht vorgegeben. So hätten im Ergebnis auch vier völlig unterschiedliche Entwürfe prämiert werden können. Um so eine Ansammlung „bunter Vögel“ auf so kleinem Raum zu vermeiden, hatten wir uns dann für eine erkennbare Verwandtschaft zwischen den Gebäuden entschieden.

u.L.: Wie läuft so ein Architekturwettbewerb grundsätzlich ab?

I.S.: Es gibt drei verschiedene Arten von Wettbewerben. Da sind als Erstes sogenannte offene Wettbewerbe, an denen prinzipiell jeder teilnehmen kann. Eigentlich ein sehr sinnvolles Instrument, da hier auch völlig unbekannte Büros mit frischen, jungen Ideen punkten können. Davon gibt es zurzeit leider nur noch sehr wenige, und deshalb haben sie häufig gleich weit über 100 Teilnehmer. Die zweite Art sind Wettbewerbe, für die man Qualifikationen nachweisen muss, was manchmal sinnvoll, häufig aber auch vollkommen überzogen ist.

So gibt es z. B. einen Fall aus der jüngeren Vergangenheit, bei dem man zur Teilnahme an einem Wettbewerb für einen Theaterneubau nachweisen sollte, dass man innerhalb der letzten fünf Jahre drei weitere Theater gleicher Größenordnung in einem ähnlichen Umfeld geplant habe. So führen eigentlich für einen besseren Wettbewerb gedachte EU-Richtlinien dazu, dass sich nur noch die immer gleichen Großbüros auf große öffentliche Projekte bewerben können. Die letzte Art sind sogenannte eingeladene Wettbewerbe, die von privaten Auftraggebern bevorzugt werden. Hier wird durch den Auftraggeber eine gewisse Anzahl bekannter, qualifizierter Büros zur Teilnahme aufgefordert.

u.L.: Wissen die Auftraggeber schon vorher, welcher Plan aus welchem Büro kommt?

I.S.: Sie wissen, welche Büros beteiligt sind, aber während der Auswahl der Arbeiten, der sogenannten Preisgerichtssitzung, können sie die Pläne niemandem zuordnen. Auf den abgegebenen Plänen stehen keine Namen, sondern nur Tarnnummern, die wiederum von der Vorprüfung durch andere Nummern überklebt werden. Das heißt, die Jury kennt bei der Preisgerichtssitzung nur die Tarnnummern und weiß nicht, wer sich dahinter verbirgt. Erst nachdem die Entscheidung gefallen ist, wird ein mit der Tarnnummer versehener Briefumschlag geöffnet, in dem der zur Tarnnummer gehörige Büroname steht.

u.L.: Also verläuft so ein Wettbewerb komplett anonym.

I.S.: Ja.

u.L.: Was ist an den Sonderbauten baustofflich besonders?

I.S.: Die Gebäude erhalten eine besonders gestaltete, farbige Blechfassade, die dort, wo die Geschossdecken liegen, glatt, im Bereich der Geschosse aber gefaltet ist. Dadurch ergibt sich eine dezente, aber doch deutliche horizontale Gliederung, die es uns erlaubt, Öffnungen so frei zu platzieren, dass in jede Richtung lebendige Fassaden entstehen – Rückseiten wird es nicht geben. Von der individuell gefalteten Blechfassade erhoffen wir uns ein interessantes Spiel von Licht und Schatten auf den Oberflächen, die im besten Fall, je nach Sonnenstand sehr unterschiedlich wirkt.

Modell Priwall Waterfront, Sonderbau 1Modell Priwall Waterfront, Sonderbau 1

u.L.: Spiegelt das dann auch aufs Wasser?

I.S.: Ja, sicher wird das so sein, aber es darf wegen der Schifffahrt kein reflektierendes Material verwendet werden. Farblich in einem hellen Schwedisch-Rot gehalten, wird die Fassade im Abendlicht mehr ins Orange schimmern und im Morgengrauen ins Bräunliche gehen.

u.L.: Welche nachhaltigen Innovationen konnten Sie in der Planung berücksichtigen?

I.S.: Die Gebäude werden nach den derzeitigen Standards gebaut. Mit Fernwärme versorgt und gut gedämmt, sind sie energetisch sehr gut aufgestellt. Die tragende Konstruktion besteht aus Betonstützen, die mit Holzrahmenbauelementen, also sehr nachhaltigen Materialien, ausgefacht sind. Die Dächer werden begrünt. Dieses sind allerdings ganz normale Anforderungen aus dem Baurecht.

u.L.: Ist Innovationsgeist in Bezug auf Nachhaltigkeit kein Aspekt, den touristische Projekte erfüllen wollen?

I.S.: Das kann ich nicht beurteilen, da die vier Gebäude für unser Büro tatsächlich die ersten touristischen Projekte sind, die wir planen. Ich denke allerdings, dass sich Häuser mit Ferienwohnungen nicht gerade als Spielwiese von technischen Innovationen in Bezug auf Nachhaltigkeit anbieten. Solche Innovationen setzen ja voraus, dass jeder Nutzer bereit ist, die an sein Verhalten gestellten Ansprüche zu akzeptieren, ja sie überhaupt zu kennen. Nehmen wir zum Beispiel das Thema Nullenergiehäuser: Diese funktionieren auch dadurch, dass regelmäßig Menschen da sind, die Wärme erzeugen, das Licht betätigen, kochen, sich waschen und so weiter. Wenn nun aber eine Ferienwohnung über drei Wochen im Dezember leer steht und dann plötzlich jemand einzieht, der es – verständlicherweise – sofort mollig warm haben möchte, dann können Nullenergiehäuser dieses wahrscheinlich noch nicht leisten.

u.L.: Was ist der Anreiz für Sie, an Architektenwettbewerben mitzumachen?

I.S.: Solche Wettbewerbe dienen der Auftragsakquisition, auch wenn der Weg aufwändig ist, weil viel umsonst gearbeitet wird. Selbst wenn man einen kleinen Preis gewinnt oder ein Bearbeitungshonorar bekommt, steht das oft in keinem Verhältnis zum Aufwand. Andererseits ist der Anspruch an die Architekturqualität bei Wettbewerben deutlich höher als bei anderen Projekten. Will man also anspruchsvolle, interessante Architektur machen, dann hat man es leichter, solche Aufgaben über einen Wettbewerb zu finden. Ein weiterer Vorteil ist, dass die Entwürfe in der Auswahl gleich von Fachleuten begutachtet und gegebenenfalls für gut und richtig befunden werden. Damit ist einem dann ein großer Teil der Überzeugungsarbeit, die man dem Bauherrn gegenüber üblicherweise leisten muss, um die angestrebte Architekturqualität zu erreichen, bereits abgenommen.

Architekt Ingo Siegmund vor dem Modell Priwall Waterfront, Sonderbau 1Architekt Ingo Siegmund vor dem Modell Priwall Waterfront, Sonderbau 1

u.L.: Seit wann gibt es mittlerweile Ihr Architektenbüro?

I.S.: 1997 haben wir angefangen, Georg Konermann und ich. Zuerst nur mit einem Hamburger, seit fünf Jahren auch mit unserem Lübecker Büro.

u.L.: Wie kam es dazu, dass Sie Architekt geworden sind?

I.S.: Die ganze Geschichte erzähle ich Ihnen nicht … (lacht)

Pause.

I.S.: Das Schöne am Beruf des Architekten ist, dass man, wenn man einen verständnisvollen Bauherren hat, mit diesem zusammen Ideen entwickeln und diese dann in seinem eigenen Stil in die Wirklichkeit umsetzen darf. Dass etwas erschaffen wird, was bleibt und sich immer wieder neu beweisen muss, was im besten Fall die Umwelt, die Bewohner, die Nutzer und alle, die auch nur daran vorbeigehen, bereichert, manchmal vielleicht auch zum Nachdenken anregt. Bei mir persönlich wurde das Grundinteresse sicher auch durch die Seherfahrungen meiner Kindheit – ich bin in der Lübecker Innenstadt aufgewachsen – geprägt.

Denn, so bin ich überzeugt, wenn man in einer besonderen, gut gestalteten Umwelt aufwächst, dann prägt das auch die eigene Wahrnehmung und der gut gestaltete Stadtraum wird als Mehrwert für das eigene Leben erkannt. Als ich mit dem Studium der Architektur anfing, war mir das so noch gar nicht wirklich bewusst. Ich interessierte mich schon früh für Baugeschichte, für schöne Stadträume, aber ansonsten wusste ich nicht genau, was auf mich zukommen würde … Wie schön die Aufgabe des Architekten ist, erkannte ich erst später.

u.L.: Vielen Dank für das Gespräch.

I.S.: Gerne.

Christoph Krelle
Christoph Krelle
Nicht in Lübeck geboren, aber in Lübeck zum Schreiben gefunden - auch dank "unser Lübeck", für das er seit 2014 in unregelmäßigen Abständen schreibt. Ansonsten Journalist, Autor und Dozent für kreatives Schreiben.

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