Digitale Generation
Der Mensch schafft sich ab

Solange sich die Welt verändert, spricht das für Lebendigkeit. Doch nicht jeder Wandel verdient den Namen Revolution.

Und nicht immer ist das Neue so innovativ, wie es einem suggeriert wird – das ist eher selten. Was wird die Generation, die nun geboren wird und schon heranwächst, daraus machen? Wie wird sie damit leben, dass Portemonnaie einfach Portmonee geschrieben wird? Dass es überflüssig ist, die Kommaregeln zu beherrschen, weil die Rechtschreibkorrektur in Word alles automatisch korrigiert? Dass es bei WhatsApp, Twitter & Co. keine Rolle spielt, wie wer was formuliert, sondern wer die süßesten Katzenfotos, den fiesesten Post und die absurdeste Audionachricht um den Erdball schickt?

Wie viel Muße und Intelligenz werden die Menschen haben, wenn sie schon im Kinderwagen ihren Beziehungsstatus bei Facebook ändern? Wenn sie keine Zeitungen und Zeitschriften mehr kaufen, weil digital alles verfügbar ist? Wenn sie ihre Frühstücksmilch bei Amazon bestellen, und schon am nächsten Morgen der Paketmann an der Tür klingelt? Wenn die Antwort darauf, woher die Milch kommt, nicht mehr Kuh, sondern Internet heißt? Wenn auch die letzten analogen Uhren altmodisch geworden sind? Und nicht nur, dass die digitale Anzeige viel genauer ist – Alexa liest sie einem vor und sagt, was man diesen Sonntag noch geplant hat.

Wie zufrieden werden die Menschen am Ende des Tages sein, wenn sie den Weg zur Arbeit nicht mehr zu Fuß gehen? Wenn sie in frei schwebende Autos steigen, die sie nicht einmal mehr steuern brauchen? Wenn am Arbeitsplatz Roboter und Algorithmen am Werk sind – und es nur noch darum geht, deren Leistungen zu beobachten? Wenn Kreativität und Einfallsreichtum durch einheitliche Prozesse und technische Optimierung ersetzt werden? Wenn es der Originalität des Homo sapiens gar nicht mehr bedarf? Wenn sie ihre Bäuche kaum mehr bewegen müssen und sich trotz veganer Ernährung in die Breite ziehen?

Manch Philosoph spricht von einer Utopie, die da heranbricht – und formuliert sogleich, was wir alles tun müssen, um ihr gerecht zu werden. Wie ernst kann man so etwas nehmen? Beim Wort genommen darf eine Utopie gar nicht heranbrechen, sonst wäre sie ja nicht utopisch. Nur ein Versuch, den digitalen Wandel für politische Zwecke zu instrumentalisieren? Oder kann „Utopie“ auch davon unabhängig signalisieren, wie sehr die Digitalisierung der Evolution zuwider läuft? „Das Auto fährt nicht dich, sondern du fährst das Auto“, hatte mir mein Lehrer in der Fahrschule immer gesagt. War ich meiner Zeit voraus? Ich hoffe, nicht.

Doch als ich neulich einen Kleinstwagen gefahren bin und sich beim Einlegen des Rückwärtsgangs eine Bordkamera eingeschaltet hat, habe ich es mit der Angst bekommen. Ohne Anstrengung, ohne Bewegung – wie soll das Fahren da noch Freude machen? Wozu gibt es überhaupt noch Autos, könnte man auch fragen.

Kant sagte: „Habe den Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen.“ Ein Satz, der etwas eingestaubt wirkt, wenn wir heute lesen: „Habe den Mut, der künstlichen Intelligenz zu vertrauen.“ Das neuronale Netz, das wir in unserem Gehirn verschalten, hat doch so gut wie ausgedient, seitdem sich Datenexperten daran machen, eine künstliche Blaupause für uns denken zu lassen. Was bedeutet das für die Kunst, die Literatur, das Theater? Werden wir noch Dichter und Denker haben? Schauspieler? Musiker? Oder lassen wir uns mangels Autorität von Computeranlagen mit konservierten Stücken benebeln? Hilfe!

Christoph Krelle
Christoph Krelle
Nicht in Lübeck geboren, aber in Lübeck zum Schreiben gefunden - auch dank "unser Lübeck", für das er seit 2014 in unregelmäßigen Abständen schreibt. Ansonsten Journalist, Autor und Dozent für kreatives Schreiben.

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