Foto: (c) Hildegard Przybyla

Musik- und Kongresshalle Lübeck
Das erste Konzert der Elbphilharmoniker - ein achtenswerter Saisonbeginn

Die Ankündigung für das erste NDR-Konzert liest sich so, als habe es den Anschluss an das vergangene Schleswig-Holstein Musik Festival verpasst. Das war bekanntlich in diesem Jahr mit dem schnurrigen Motto „Moin London“ angetreten. Ganz auf dieser Wellenlänge lag das erste Saisonprogramm, für das der NDR zwei englische Künstler verpflichtet hatte, den Dirigenten Jonathan Bloxham und den Pianisten Martin James Bartlett.

Zudem war das Programm stark ihrer Heimat verpflichtet. Es begann mit einem Werk Benjamin Brittens, des wohl populärsten Komponisten der britischen Moderne und endete mit der „Schottischen“, in der Felix Mendelssohn Bartholdy seine Impressionen von Reisen nach England und Schottland sinfonisch umsetzte.

Den ersten Teil dominierte der vor 27 Jahren in London geborene Pianist Martin James Bartlett. Zunächst machte er sich als Solist in Benjamin Brittens op. 16 bekannt, ein zehnminütiges Werk für Klavier, Streichquartett und Streichorchester. Es trägt den Titel „Young Apollo“, wurde 1939 in Kanada uraufgeführt. Es ist trotz seiner einfachen Textur und eines eindrucksvollen Klavierparts unbekannt geblieben, ganz im Gegensatz zu einigen Instrumentalwerken und vor allem Brittens Opern, von denen einige in Lübeck, am Theater und an der Musikhochschule, aufgeführt wurden. Dramatische Züge hat auch dieses merkwürdige Werk mit seiner eigenwilligen Besetzung und der engen Verbindung mit Brittens Biografie.

Das Vorbild für den Apollo trägt einen deutschen Namen, den von Wulff Scherchen, Sohn des Dirigenten Hermann Scherchen. Nicht nur dass er Britten zu diesem Werk inspiriert hatte, die beiden verband ein romantisches Interesse, mit einem tragischen Ende. Wulff Scherchen floh aus dem Hitler-Deutschland über England nach Kanada, nannte sich John Woolford. Selbst in Kanada wurde er noch von Britten unterstützt, obwohl der als nachdrücklicher Pazifist seine Heimat verlassen hatte und Ruhe in Amerika suchte. Der Krieg trennte beide, zumal Britten in Amerika eine tiefe Bindung zu dem Sänger Peter Pears einging. Das blieb nicht ohne innere Konflikte, was unschwer in dem Werk zu erkennen ist.

Es beginnt mit flirrenden Streichern, die das vor Hitze flimmernde kalifornische Klima malen sollen, dem Britten seine Existenz und sein Werk abrang. Wuchtige Schläge und rasante Kaskaden vermitteln den starken Druck. Das Streichquartett führt mit harmonischen Klängen zur Besänftigung und zur finalen Synthese. Der Pianist bekam großen Beifall für seine Interpretation, zu der der englische Dirigent Jonathan Bloxham, Musikdirektor am Luzerner Theater, das Orchester führte.

Foto: (c) Hildegard PrzybylaFoto: (c) Hildegard Przybyla

Zweites Werk im ersten Teil war Mozarts Es-Dur-Klavierkonzert, das er mit 21 Jahren schuf. Es ist als „Jeunehomme“- oder „Jenamy“-Konzert bekannt, benannt nach der Pariser Pianistin Louise Victoire Jenamy , für die Mozart es komponierte und die es uraufführte. Dem Pianisten wird ein großes Maß an Fingerfertigkeit und Gestaltungskraft abgefordert, die Bartlett mit seiner profunden Ausbildung souverän bewältigte. Überlegen begleitete das NDR-Orchester, das große Spiellust zeigte und sehr sensibel mit dem Solisten dialogisierte - auch auf die kleinen Tempoveränderungen einging. Im Andantino entfaltete es einen warmen und dunklen Klang, der zusammen mit dem feinen Klang des Pianos die Tiefgründigkeit dieses Mollsatzes herausstellte. Virtuos und in feinem Zusammenhang mit dem Orchester beendeten beide Partner den Finalsatz, wobei der zentrale Stimmungswandel im Menuetto mit viel Ruhe und Finesse ausgestaltet wurde.

Der große Beifall brachte eine Zugabe, die in einem besonderen Zugang zu dem ersten Werk zu stehen scheint, weshalb ein paar vielleicht unnötige biografische Besonderheiten angesprochen wurden. Als Zugabe spielte er nämlich George Gershwins Ballade „The Man I Love“ in der rauschenden Fassung, die Gershwin für sich gefertigt hatte. Dieser Song passt wunderbar zu Brittens Leben und bekam in Bartletts sehr besonnener, eher melancholischer Gestaltung einen besonderen Ton, der nicht zufällig schien. Denn Bartlett ist mit Gershwins Werk sehr vertraut, hatte die „Rhapsody in Blue“ aufgenommen und bei den Proms gespielt. (Oder ist bedeutsamer, dass er bei dem Dankgottesdienst zum 90. Geburtstag Ihrer Majestät der Königin auftrat, was die BBC seinerzeit übertrug?) So wird die Wahl der Zugabe von Gershwins Ballade mit dem beziehungsreichen Titel nicht zufällig gewesen sein.

Martin James Bartlett in der Lübecker MuK, Foto: (c) Hildegard PrzybylaMartin James Bartlett in der Lübecker MuK, Foto: (c) Hildegard Przybyla

Man durfte also auf den zweiten Teil gespannt sein, den der Pianist als Zuhörer verfolgte. War er mit allem zufrieden, was sein Landsmann aus der „Schottischen“ machte? Nicht der unpräzise Anfang ist es, was verwunderte. Auffällig waren viele Momente, in denen der Dirigent sich den ersten Violinen zuwandte, während die wunderbaren Bläser die romantische Natursicht hervorriefen. An anderen Stellen betonte er Phrasen, die nichts an Akzenten benötigten. Der Eindruck stellte sich ein, dass hier ein großartiges Orchester sich unauffällig verselbstständigte mit den bedeutsam phrasierenden Streichern, den farbigen Bläsern, ob Holz oder Blech, vor allem aber einmal mehr mit den Akzenten des sensiblen, auswendig spielenden Paukers Stephan Cürlis, der nicht nur durch die Sitzordnung im Orchester zum Antipoden des Dirigenten wurde. Es wurde ein lebendige „Schottische“, in der man das Stimmungsvolle im wundervollen Adagio schätzt oder das pulsierende Temperament im zweiten und letzten Satz oder den majestätischen Hymnus zum Finale.

Großen Beifall gab für diese mitreißende Leistung!

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.