Sarah Buechi, Foto: (c) Peng!

Sarah Buechi und Ensemble im CVJM
Die Widersprüchlichkeit des Glücklichseins

Ein wahrhaft berauschendes Konzert gab das Sarah Buechi Septett im Jazz-CV Lübeck.

Zugegeben, ich mag die Schweiz, die Wanderungen im Gebirge, den Käse und die leckere Schokolade. Die gute Qualität der Schoki muss deshalb so hervorragend sein, damit die Schweizer nicht in tiefe Depressionen fallen. Die Menschen in den Tälern sehen den Himmel nur dann, wenn sie direkt nach oben schauen, und die Gämsen sind auch nicht mehr das, was sie mal waren, bei meinem letzten Aufenthalt in der Schweiz traf ich auf den Almen mittlerweile Alpakas an. Gegen all das gibt es aber ein Mittel: Die Welt bereisen, damit die vielfältigen neuen Eindrücke die heimisch gemachten Wahrnehmungen verdeutlichen. Spannend wird es, wenn sich Altvertrautes mit Neuem vermischt und daraus etwas Wunderbares entsteht. Ebenso wie Schoki mit Chili.

Und genau das hat Sarah Buechi gemacht, alles Alte mit Neuem vermischt und in die Kompositionen der neuen CD mit einfließen lassen. Tourneen sind anstrengende Tätigkeiten, egal ob im Tourbus gereist wird, da ist ja wenigstens der private Bereich innerhalb der Band geschützt, oder, wie in diesem Fall, mit der Bahn. Ständig auf die mitgenommenen Instrumente aufpassen, Speisen konnten nicht eingenommen werden, weil die Bordküche defekt war. So gab es nur Schleckzeugs.

Foto: (c) Peng!Foto: (c) Peng!

Dennoch glücklich in Lübeck angekommen waren die 7 Musiktiere erstmal von den Eindrücken in Lübecks Altstadt überwältigt. Nur die Mägen knurrten sehr, so sehr, dass die Band noch einen Nachschlag vom italienischen Koch im CVJM anforderte. Und das nicht nur des Hungers wegen; es hat ihnen so gut geschmeckt, dass Sarah dem Publikum empfahl, das Essen mal auszuprobieren.

Aufbau und Soundcheck dauerten, es ist kein einfaches Unterfangen, ein Jazz-Quartett mit 3 Streichern zu mixen. Aber für den Sound war mit Christoph (Kio) Krabbenhöft eine wirklich kompetente Person am Mischpult. Kio versteht es nicht nur, den Sound für die Zuhörer hervorragend abzustimmen, sondern geht, weil selbst Schlagzeuger, auch feinfühlig auf die Künstler und deren Wünsche ein.

Andre Pousaz, Foto: (c) Peng!Andre Pousaz, Foto: (c) Peng!Leider folgten nur gut 30 Menschen dem Ruf zur Vorstellung der mittlerweile vierten CD von Sarah Buechi. Diese waren aber alle sehr glücklich nach dem Konzert – und das ganz ohne Schokolade. Der sanfte Schmelz in Buechis Stimme zog sofort alle in Bann. Das Ensemble stellte nach 3 hochgelobten CD-Produktionen seine neueste CD „Contradiction of Happiness“ vor. Und auch das wiederum ganz ohne Schokolade.

Nun, das gilt es auch nicht zu erwarten, sondern eben Musik – gute Musik. Und das nicht nur für die Liebhaber des Jazz. Buechis Musik, obwohl als Jazz/Contemporary Song angekündigt, sprengt alle musikalischen Genres. Ist aber auch kein Wunder, denn die umtriebige Sängerin hat die Welt bereist und bei vielen großartigen Musikern studieren dürfen. 18 Monate in Indien bei R. A. Ramamani und T. A. S. Mani sowie bei Steve Coleman (USA) und Bernard Woma (Ghana) in den USA.

Alle diese Einflüsse, nach eigenem Rezept durchmischt und vor allem durchlebt, machen die Musik zu etwas Einmaligem, Unvergleichbarem. Dieses von einem Quartett über ein Quintett – von einigen als die Musik der Zukunft gelobtes – gereifte Ensemble ist inzwischen auf 7 Musiker angewachsen. Unterstützt, nein das würde dem Zusammenspiel nicht gerecht werden, sondern als wirkliche Einheit verschmolzen, spielen die Streicherinnen Sara Oswald (Cello), Isabelle Gottraux (Viola) und Estelle Beiner (Violine) mit in erster Reihe, neben Andre Pousaz (Kontrabass), Stefan Aeby (Klavier) und Lionel Friedli am Schlagzeug. Lionel versteht es, trotz der manchmal leisen Töne, mit unglaublich kreativen Soli das Publikum zu Begeisterungstürmen hinzureißen.

Estelle Beiner, Foto: (c) Peng!Estelle Beiner, Foto: (c) Peng!

Dass Musik – entgegen meiner sonstigen Einstellung, Musik sei zum Hören da, nicht zum Sehen – durchaus reizvolle Ansichten bietet, bewiesen die Musiker immer wieder. Spannend, wenn Aeby das Klavier mit Stäbchen oder Magneten, die eine Resonanz erzeugten, bearbeitete. Vor allem aber das fantastische Mienenspiel der Frontfrau Sarah Buechi, das überzeugend darstellte, dass die Texte, die sie singt, nicht aufgesetzt, sondern wirklich empfunden werden. Ebenfalls die vielen Gesichter, die an der Violinistin Estelle Beiner zu sehen waren – Spielfreude im Gesicht mit einem fröhlichen Lachen oder auch das Ernste, je nachdem, wie die Musik in ihr mitschwingt. Ein wahrer Augenstern!

„Contradiction of Happiness“ – die Widersprüchlichkeit wird in den Texten deutlich, z. B. in dem Liebeslied „After we've kissed“. Elegisch gesungen zeigt es, dass die Liebe sich nicht immer so einfach leben lässt. Ebenso die Geschichte von der Irischen Westküste (Fahamore – Paradise), mit tosenden Brandungen und wild-romantischer Anmutung. Bei der Wanderung an dieser Küste wird unvermittelt ein Skelettfragment entdeckt, das einem etwas Schauer über den Rücken jagt. „Precious Stone“, eine Hommage an Sarahs Schwester, zeigt die tiefe Liebe zwischen den beiden.

Sarah Buechi und Ensemble, Foto: (c) Peng!Sarah Buechi und Ensemble, Foto: (c) Peng!

Insgesamt ein wunderbares Konzert, das mit der Zugabe „schönste Abigstern“ beendet wurde. Hhoffentlich kommt die Band wieder, um beim nächsten Konzert in Lübeck viel mehr Publikum anzuziehen. Denn das hat das Ensemble wirklich verdient. Und für alle Musikfreunde, die sich eine Freude zu Weihnachten machen möchten: „Contradiction of Happiness“ ist das passende Geschenk, nicht nur für sich selbst.


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