Moritz Gnann dirigiert

„Unter Donner und Blitz“ ins Jahr 2017
Musikalischer Auftakt der Lübecker Philharmoniker

Es gab sie einmal, die Zeiten, als der traditionelle Auftritt der Lübecker Philharmoniker am ersten Neujahrstag zu einem Empfang genutzt wurde, bei dem sich Lübecker Persönlichkeiten zu Aktuellem äußerten, bei dem die Kultur im Mittelpunkt stand.

Geschrumpft war das im letzten Jahr zu einem Statement der Hausherrin der MuK zum Zustand ihres Domizils und des Dirigenten des letzten Neujahrskonzertes über seine Arbeit an diesem Orte. Und dann ließ Lübecks Kultursenatorin den Blick darüber schweifen, was sie alles über Lübecks kulturelle Vielfalt gelernt hatte. Sie war damals frisch im Amte. Das Publikum musste, teils missmutig, auf die „Ode an die Freude“ lange warten.

In diesem Jahr hatte man gelernt. Den Musikern wurde zunächst das Wort erteilt. Sie beschworen mit schwelgerischen Walzern und der Ausgelassenheit von Polka oder Galopp wienerischen Lebensstil vergangener Tage. Musikalisch steht dafür vor allem die Strauß-Dynastie. Vater Johann wurde allein mit dem „Cachucha“-Galopp ins Programm genommen, seine drei Söhne bevorzugt. Vor allem Johann, der Älteste. Er malte die Magie einer „Nacht in Venedig“, und die Eindrücke eines Föhr-Aufenthaltes in „Nordseebildern“. Zudem trat er vorausblickend für Verdi mit einer „Melodien-Quadrille“ aus „Macbeth“ und „Rigoletto“ ein, denn der Italiener hatte es in Wien seinerzeit schwer. Im zweiten Teil ließ er den Kaiser walzen, bewunderte „Rosen aus dem Süden“ oder Ungarisches in seiner Polka „Éljen a Magyar!“. Vom Bruder Josef wurde das Publikum auf eine schnelle Polka-„Ferienreise“ mitgenommen oder mit den „Plappermäulchen“ zu jenen in die Pause entlassen. Und Eduard, der jüngste des brüderlichen Trios? Er tanzte Polka „Ohne Bremse“ und eröffnete „Mit Dampf“ den zweiten Teil.

Moritz GnannMoritz GnannDaneben war von Interesse, dass Moritz Gnann, 1982 in Tübingen geboren, dirigierte. Er ist einer der Bewerber um den zu besetzenden GMD-Posten, ein Vorgang von nicht geringer kultureller Bedeutung. Mit diesem Programm allerdings war der Aspirant stilistisch sehr eingeengt. Dennoch versuchte er lebhaft, die Wien-Verzückung des Publikums zu bedienen und an der Trave etwas von Glanz und Lebenslust der Donaumetropole einzufangen. Das gelang zumeist, auch mit Oscar Straus, der sich mit nur einem „s“ von der berühmten Familie abhob. Der steuerte „Einen Walzertraum“ hinzu, wie vorher schon Lehár ein Walzer-Intermezzo des „Grafen von Luxemburg“.

Und da in diesen Werken wunderschöne Melodien nicht nur instrumental eingewoben sind, sondern auch gesanglich, hatte man die Argentinierin Carla Filipcic Holm gewonnen. Sie lieh ihre große Opernstimme einigen Stücken aus eben diesen beiden Werken und noch aus Emmerich Kálmáns „Csárdásfürstin“. Die Lübecker kennen die Sängerin aus zwei gewichtigen dramatischen Partien, beide Male die einer Elisabeth, im „Tannhäuser“ und im „Don Carlo“. Wieder war ihre intensive Gestaltungsfähigkeit zu bewundern, wie sie „Leise, ganz leise“ im „Walzertraum“ ihre warme Stimme einsetzte, um dann mit Temperament und Bravour und großer dynamischer Breite zu verkünden, dass „Heia! In den Bergen“ ihr, der Csárdásfürstin, Heimatland sei.

Applaus gab es viel, für die gewinnende Sopranistin, für das spielfreudige und sinnlich hinreißend intonierende Orchester und für glänzend gebotene Soloeinsätze in diesem Schmankerl-Potpourri. Auch der Dirigent kam an, denn das Orchester folgte ihm in Dynamik und Agogik feinfühlig und so konnte er der Sängerin einen stimmigen Klanghintergrund geben. Einige Zugaben wurden gern gegeben. Zunächst zündete das Bekenntnis der Sängerin als Giuditta, ihre „Lippen, die küssen so heiß“. Angekündigt „Unter Donner und Blitz“ marschierte schließlich der unerlässliche Fürst Radetzky auf, freudig begrüßt im Mitmach-Stil.

Ein neuer Name für die MuK und eine Warnung an die Politik

Carla Filipcic HolmCarla Filipcic HolmIlona Jarabek, Chefin der MuK, hatte dann doch wieder die Aufgabe übernommen, nach Hauptprogramm und vor den Zugaben ein paar Worte an das Publikum zu richten, darunter gezielt an ein paar städtische Politiker, darunter den noch amtierenden Bürgermeister Saxe. Sie dankte nach vielen Seiten dafür, dass alle, auch die in ihrem Rücken sitzenden Musiker, sich in und mit der Rotunde arrangiert hätten. Das Haus selbst hatte es mit großem Einsatz der Mitarbeiter geschafft, die Raumakustik zu verbessern und den Betrieb reibungslos zu organisieren. Zudem verbreitete sie Optimismus, dass der Konzertbetrieb in wenigen Monaten wieder im Saal stattfinden könne und das unter verbesserten Bedingungen. Kosten- und Zeitplan würden exakt eingehalten. In prächtiger Neujahrslaune prägte sie für ihr Haus den Namen „Ostseephilharmonie“, warum eigentlich nicht? Darin steckt eine kleine Kampfansage an das Großprojekt an der Elbe, einer Konkurrenz, der Lübeck sich stellen müsse. Und auch eine in Richtung der Politik. Sie bat inständig, die Gedankenspiele in Lübeck zu unterlassen, die Halle zu privatisieren. Sie konnte auf Kiel verweisen, wo eine Restaurierung des Konzertsaales im privat betriebenen Schloss die Öffentlichkeit weit höher belastet. Eindringlich warnte sie, die Ausgaben für Kultur, Tourismus und Veranstaltungen gegen Ausgaben für Schule, Senioreneinrichtungen oder Straßen auszuspielen.

Lübeck braucht die MuK, nicht nur für eine breit angelegte Kultur, auch für Wissenschaft und Wirtschaft und für den Tourismus, und sie sichert Arbeitsplätze, die zu Steuereinnahmen führen. Sie ist ein bedeutsamer Wirtschaftsfaktor in der Stadt, der nicht in private Hände gehört.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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