Jakobus Gallus

MISSA - vOcabile und Alexander Weise

Das Ensemble vOkabile beschreitet neue Wege. Nicht nur, dass die 15 SängerInnen ohne Dirigat auskommen, dass sie ihrem Gesang zum Teil ganz unerwartete Texte (schau-)spielerisch gegenüber - oder an die Seite stellen, sondern auch im wörtlichen Sinne dadurch, dass sie sich während des Konzerts für jedes Stück neu im Raum formieren, sich nach einer ausgeklügelten, aber völlig unaufdringlichen und dadurch umso eindringlicheren Choreographie bewegen und so eine zusätzliche Spannung erzeugen. Dabei wären allein das ungewöhnliche Programm und seine exzellente Ausführung schon spannend genug. Die Akustik der Propsteikirche mit ihrem sekundenlangen Nachhall macht zwar das pure Singen zunächst leichter, umso schwieriger aber das Hören und stellt für alle Musizierenden immer wieder eine arge Herausforderung dar. Wieviel mehr noch, wenn da niemand ist, der lenkt und leitet, Impulse setzt, Tempi vorgibt und hält. Wie schafft es dieser Chor, gerade unter solchen Verhältnissen und bei einer so großen Spannbreite des Repertoires vollkommen intonationssicher stets wie aus einem Guss zu klingen und als würde dieses Terrain keinerlei Schwierigkeiten bereiten? Es lässt sich nur erahnen, wieviel zusätzlicher Arbeit es bedurfte, Gesang und Texte fast durchgängig transparent zu erhalten, so dass wir in alten wie neuen Klängen baden können, ohne dass alles verschwimmt.

Das Gerüst der Darbietung, die neben sängerischem Können von starken Kontrasten lebt, bildet die sechsstimmige Missa super Sancta Maria von Jacobus Gallus (1550-1591). Nach jedem Teil der Messe, die uns in gemischter Aufstellung im Halbrund vorgetragen wird, folgen zeitgenössische Kompositionen, deren Textinhalte auf diejenigen der Messe abgestimmt sind. Ein großartiger Einfall (unter manch anderen), die deutsche Übersetzung des noch folgenden Sonnengesangs – Cantico delle creature – von Petr Eben bereits in das auf Tonsilbe „u“ in schwebenden Melodiebögen verharrende Gloria der Messe hineinzusprechen; ein großartiger Zufall, dass ausgerechnet an der Stelle die Sonne von hinten auf die Fenster im Altarraum scheint und sie wunderbar rot erleuchten lässt, was einen zusätzlichen reizvollen, optischen Kontrast zu den schwarzen Chorgewändern bildet. Wieder erscheint alles in einem neuen Licht – ein Anliegen des Programms, für kurze Zeit ganz real untermalt. Die Rezitationen umspannen Texte quer durch die Jahrhunderte vom Neuen Testament über Franz von Assisi, Goethe, Max Frisch bis hin zu Heiner Müller, die alle eines gemeinsam haben: Sie geben zu denken, und zwar nachhaltig. Und dazu trägt ganz erheblich die schauspielerische Leistung von Alexander Weise bei sowie sein nicht zu unterschätzendes Talent, ebenfalls mit dem Nachhall dieser Kirche umgehen zu können, dem Klang einfach Raum zu geben, indem man ihm und sich Zeit lässt. Nur so kommt beim Publikum an, worauf es ankommt.

„unser lübeck“ möge mir verzeihen, aber ein Ausflug zum nächsten Konzert von vOkabile (www.vokalkreis-bielefeld.de) nach Hamburg am 24. Mai 2008 lohnt sich ganz sicher, wenn man endlich einmal ein überaus gelungenes, gesungenes Beispiel dafür erleben möchte, dass „forte“ in erster Linie „stark“ bedeutet und nicht laut, während „piano“ „leise“ heißt und nicht schwach. Hoffen wir, dass wenigstens in der dortigen Presse das Konzert gebührend angekündigt wird.

 

Gerda Vorkamp
Gerda Vorkamp
Geboren 1958 in Herford, Lehramtsstudium, Angestellte im Fremdsprachendienst, freiberuflich tätig als Lektorin. Bei Unser Lübeck seit Beginn als Autorin und seit 2016 als Redakteurin dabei.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.