Bauernhochzeit um 1567, Eichenholz, 114 × 164 cm Kunsthistorisches Museum Wien

Pieter Bruegel
Der Maler des prallen Lebens

Um den flämischen Maler Pieter Bruegel den Älteren ranken sich seit Jahrhunderten viele Geheimnisse. Nur sein Sterbejahr 1569, welches sich im nächsten Jahr zum 450. Mal jährt, ist in den Fachkreisen der Kunstgeschichte unumstritten.

Ansonsten bleibt das vieldeutige Werk, welches der Meister-Maler, den schon zu seinen Lebzeiten viele als den neuen Bosch feierten, in wohl weniger als 40 Jahren schuf, bis heute kühn und rätselhaft. So ist es nicht verwunderlich, dass Bruegel zum 450. Todestag mit einer fantastischen Jubiläumsschau in Wien (noch bis zum 13. Januar 2019) und einem opulenten Prachtband vom Taschen-Verlag gewürdigt wird. Unter dem Titel „Bruegel – Das gesamte Werk“ hat der Kölner Kunst-Verlag ein Großbuch mit dem kompletten Werk des Künstlers aus Antwerpen aus insgesamt 39 bekannten Gemälden, 65 Zeichnungen und 89 Kupferstichen in bekannt bestechender Qualität veröffentlicht.

Mit spezieller, neuester Kameratechnik wurden die meisten verfügbaren Werke fotografiert, meist an den Original-Schauplätzen ihrer Hängung in den Museen in Wien, Berlin, Madrid, London oder New York, um sie dann auf glattem Papier (Gemälde) und auf gemasertem Papier (Zeichnungen) abzudrucken. Dazu kommen diverse großartige Detail-Aufnahmen wie auch mehrseitige Aufklappbilder. Unterteilt ist die Monografie in insgesamt 9 Kapitel, die sich vom „Leben des Pieter Bruegel d. Ä.“ über die „Wimmelbilder“, „Die Hölle auf Erden – Bosch und Bruegel“, den „Bauern-Bruegel“ und die „Winterbilder“ bis zu seinem Spätwerk gliedern.



Das Zeitalter von Pieter Bruegel, dessen Geburtsjahr auf die Zeit zwischen 1526 und 1530 geschätzt wird, war geprägt von religiösen und politischen Konflikten. Während seiner Lebensjahre tobte die Inquisition, bestimmten Konfessionskriege den Alltag der Menschen und begann die grausame Herrschaft des Herzogs von Alba als Statthalter der Spanischen Niederlande. Aus heutiger Forschersicht präsentierte sich Bruegel schon immer als zeitkritischer Künstler und scharfsinniger Kommentator eines von diversen Umbrüchen gekennzeichneten Zeitalters.

Während man ihn früher meist nur als den Meister des prallen Lebens mit seinem volkstümlichen Charakter – den Bauern-Bruegel, der hervorragende Wimmelbilder malen konnte – betrachtete, offenbart das vorliegende Buch ihn aber auch als mutigen, kritischen Künstler, der sich mit seiner Zeit auseinandersetzte. Er war nie ein Schön-Maler, sondern zeigte das Leben in all seiner Pracht wie Hässlichkeit. Er verklärte die Wirklichkeit nicht, sondern thematisierte die Grausamkeit der Religionskriege und kritisierte die Katholische Kirche und ihren Alleinvertretungsanspruch mit seiner überaus subtilen und anspielungsreichen Bildsprache.

Die Jäger im Schnee, 1565Die Jäger im Schnee, 1565

Gleichzeitig war Bruegel aber auch ein großartiger Landschaftsmaler voller Details und Gleichnisse. Von ihm stammen zum Beispiel die ersten wirklich bekannten Winterbilder (wie Jäger im Schnee oder Heimkehr der Jäger aus dem Zyklus der Jahreszeiten). Wie unglaublich vielfältig seine Kompositionen und Detailversessenheit waren, kann man an den späteren auf Eichenholztafeln gemalten Bildern sehen, die selbst seine früheren Wimmelbilder noch in den Schatten stellen.

So zeigt das 1560 entstandene Ölgemälde Die Kinderspiele (118 x 161 cm auf Eichenholz) in schierer Unüberblickbarkeit nicht weniger als 168 Jungen und 78 Mädchen bei Ausübung von 90 Kinderspielen innerhalb einer kulissenhaften Stadtlandschaft. Das Auge kann sich kaum sattsehen. Da geht es vom Bockspringen bis zu blinde Kuh.

Kinderspiele, 1560, Kunsthistorisches Museum WienKinderspiele, 1560, Kunsthistorisches Museum Wien

Ähnlich sieht es aus , wenn man sich den berühmten Turmbau zu Babel, den Bruegel in zwei Fassungen gemalt hat, anschaut. So gibt es die Wiener Fassung von 1563 (114 cm x 155 cm – Öl auf Eichenholz), in der der Künstler in unendlichen Details ein monumentales Gebäude wie ein Gebirge in einer Komposition aus konsequenter Gegenüberstellung von Groß und Klein darstellt. Die immense Arbeit der Architekten und Arbeiter in diversen technischen Details wird genauestens gezeigt, während die Farbenpracht des Gebäudes und die Anmut von König Nimrod und seinem Gefolge, welches die Bautätigkeiten am linken Bildrand befehligt, nicht über schwerwiegende Konstruktionsfehler im Inneren hinwegtäuschen kann, die ja später zum Desaster führen mussten.

Die zweite Version, die Rotterdamer Fassung von 1565 (59,9 cm x 74,6 cm), ist bedeutend kleiner und hat weniger erzählerische Momente. Das Misslingen des Turmbaus ist nicht ersichtlich, obwohl sie viel düsterer daherkommt, selbst wenn das Gebäude schon die Wolken gen Himmel durchbricht.

Der Turmbau zu Babel, 1563, Kunsthistorisches Museum WienDer Turmbau zu Babel, 1563, Kunsthistorisches Museum Wien

Wirklich rätselhaft bis heute sind die Gemälde, in denen sich Bruegel der wahnhaften, höllischen Welt eines Hieronymus Bosch nähert. In den Gemälden Der Engelssturz und Der Triumph des Todes aus dem Jahre 1562 geht es um Dämonen aus Mensch und Tier und einer Wunderkammer aus Flora und Fauna als groteske Naturformen. Düster und unheimlich kämpft eine kleine Schar von Menschen gegen Heerscharen von Soldaten des Todes – ganz in der Tradition des Totentanzes.

In dem Bild Die dulle Griet (oder auch Die Tolle Grete) von 1563 (117,4 cm x 162 cm – Öl auf Eichenholz) bahnt sich eine überlebensgroße Megäre mit entschlossenem Schritt plündernd ihren Weg. Mit Brustharnisch, Helm und Panzerhandschuh ist sie auf Raubzug und führt mit weit aufgerissenen Augen eine Meute bewaffneter Frauen gegen Monster mit Riesen-Fischmaul und blutrünstigen, geldgierigen Dämonen. Ähnlich wie Bosch zelebriert Bruegel unter glutrotem Himmel die Hölle auf Erden.

Dieses und all die anderen Bilder, Zeichnungen und Kupferstiche lassen sich besonders durch die vielfachen Detail-Vergrößerungen bestens studieren und in Ruhe besichtigen. Während man in der Wiener Schau des Jahres sich natürlich an den Originalen erfreuen kann, allerdings immer im Kampf um den besten Platz mit dem Mitbetrachter, kann man sich durch den opulenten Prachtband vom Taschen-Verlag in aller Ruhe durcharbeiten, auch wenn das Buch mit seiner Größe in XXL und einem Gewicht von gut 5 Kilogramm nicht besonders handlich ist. Trotzdem erscheinen mir die 150 Euro für diesen prächtig gestalteten Kunst-Klassiker besonders jetzt zur Weihnachtszeit als Geschenk für Kunst-Liebhaber hervorragend angelegt.

Jürgen Müller, Thomas Schauerte: Bruegel. Das vollständige Werk. Taschen-Verlag, Köln 2018, 492 Seiten, 150 Euro im kunstvoll gestalteten Trage-Karton, Amazon

Das Buch ist in den inhabergeführten Buchhandlungen Prosa, Buchfink, Arno Adler, Langenkamp, maKULaTUR und Buchstabe erhältlich.

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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