William Kentridge: More Sweetly Play the Dance, Foto: Studio Hans Wilschut. Courtesy William Kentridge Studio

Südafrikas Universalkünstler William Kentridge in den Hamburger Deichtorhallen
Kunst im Belagerungszustand

Die wunderbare William Kentridge-Übersichtsschau musste bereits nach nur 8 Tagen wieder geschlossen werden. Jetzt ist aber wieder Licht am Ende des scheinbar unendlichen Tunnels/ Debakels /Lockdowns für die Kunst und Kultur sichtbar: Die Deichtorhallen öffnen erfreulicherweise wieder diesen Freitag, 12. März 2021.

Sinkende Infektionszahlen machen Hoffnung auf baldige Wiedereröffnungen der deutschen Museen, wenn auch unter weiterhin notwendigen Corona-Hygiene-Regeln. Die Deichtorhallen haben die immens aufwendige und sicherlich auch sehr kostspielige Riesenschau, die aufgrund ihrer qualitativ und quantitativen künstlerischen Dimension viele Besucher verdient, bis zum 1. August 2021 verlängert und öffnen am 12. März wieder für die Besucher. Wer nicht solange warten will, kann sich auf der Website der Deichtorhallen schon einmal einen Einblick verschaffen. Dort gibt es Interviews mit dem Künstler, dem Chef der Deichtorhallen und vieles mehr. Um mehr Lust auf die absolut sehenswerte Schau zu machen, gibt es hier noch einmal meinen Artikel, den ich zur ersten Öffnung geschrieben hatte, der dann aber auf Eis gelegt wurde, zu lesen. Mein Tipp: Unbedingt nach Hamburg fahren, wenn es dann wieder geht.

William Kentridge: Drawing for Il Sole 24 OreWilliam Kentridge: Drawing for Il Sole 24 OreErst kürzlich wurde der vielseitige Großkünstler William Kentridge mit Platz neun in der Bestenliste der lebenden GegenwartskünstlerInnen, die seit mehr als 15 Jahren von dem Quartett Richter, Nauman, Baselitz, Trockel angeführt wird (lt. Capital Kunstkompass 2020), in die Top Ten gewählt. Jetzt zeigen die Hamburger Deichtorhallen nach zweimaliger Verschiebung eine grandiose Retrospektive seines künstlerischen Schaffens der letzten vier Jahrzehnte.

Leider kann der Künstler aus bekannten Corona-Gründen nicht persönlich bei seiner bis dato größten Ausstellung seiner Werke in Hamburg dabei sein, dafür hat aber seine langjährige Ausstellungsarchitektin, die Brüsseler Bühnenbildnerin Sabine Theunissen einen überwältigenden Parcours geschaffen, um sein vielschichtiges Werk zu präsentieren. Gleich im Foyer hängt ein riesiger schwarzer Schattenriss aus Stahl an der Wand (Pasolini), der die liegende Leiche des umstrittenen Film-Regisseurs zeigt, dessen Ermordung bis heute nicht geklärt werden konnte.

Schon seit Beginn seiner künstlerischen Karriere hat sich William Kentridge stets als politischer Künstler verstanden. Der Sohn weißer, jüdischer Eltern wurde 1955 in Johannesburg geboren, wobei sich beide Elternteile als Apartheidsgegner früh betätigt haben, indem sie schwarze Widerstandskämpfer wie Nelson Mandela juristisch vertreten haben. Schon 1986, als das weiße Minderheitsregime noch brutal seine rassistische und menschenverachtende Apartheidspolitik mit Gewehren und Panzern blutig durchsetzen wollte, erklärte Kentridge seine Kunst als „Ausgeburt der brutalisierten Gesellschaft“. Als weißer Südafrikaner hat er zwar die falsche Hautfarbe, aber kämpft mit seiner Kunst für die richtige Seite Afrikas. Kolonialismus, Gewalt und Ausgrenzung sind im Werk und seiner Biografie eng verknüpft. So beinhaltet bereits der Titel der Schau: „Why should I hesitate: Putting Drawings into Work“ ein Zitat eines afrikanischen Soldaten, der von seiner Einberufung im Ersten Weltkrieg erfährt. Gleichzeitig sollen seine Zeichnungen für sein Werk arbeiten.

Blick in die AusstellungBlick in die Ausstellung

Damit ist bereits ein Großteil seiner kreativen Arbeit angekündigt, nämlich die des begnadeten Zeichners mit Kohle, Bleistift und Pastellfarben. Häufig dienen die einzelnen Blätter bei ihm später für seine animierten Filme und Projektionen, indem er das Blatt Papier als Vorlage immer wieder ausradiert, verändert, einzeln abfotografiert und dann als Film aneinander montiert. Dieses steinzeitliche Filmemachen, wie er es selbst ironisch nennt, kann in diversen Beispielen in der Ausstellung gesichtet werden. So reflektiert er bereits in seinen frühen Animations-Werken, wie dem John-Foster- Building in Johannesburg, einem Polizei-Hochhaus Gewalt, Folter und Mord, als man politische, schwarze Regierungsgegner einfach vom Dach warf. Auch die sogenannte Wahrheit- und Versöhnungskommission, die von Erzbischof Desmond Tutu zur Befriedung der Gesellschaft ins Leben gerufen wurde, wird von Kentridge eher kritisch gesehen. In seinem Film „Ubu tells the Truth“, angelehnt an den grotesken König Ubu von Alfred Jarry aus dem Jahr 1896, will er zeigen, wie ehemalige Mörder und Folterer die Richter und damaligen Opfer an der Nase herumführen. Aber nicht nur als Film bekam König Ubu bei Kentridge eine Hauptrolle. 1997 war der verlogene König auch Teil eines Theaterstückes, welches von der berühmten Handspring Puppet Company aufgeführt wurde.

Schon allein dadurch wird die geniale Vielschichtigkeit des künstlerischen Schaffens von William Kentridge sichtbar. Er war nämlich nicht nur Zeichner, Maler und Filmemacher, sondern produzierte auch hervorragende Theaterstücke, Opern und riesige Skulpturen, die aus Platzgründen in Hamburg gar nicht gezeigt werden können. Deichtorhallen-Chef Dirk Luckow verwies bei der Pressekonferenz darauf, dass diese Groß-Installationen und Skulpturen vielleicht ein zweites Ausstellungsthema für später darstellen könnten. Überhaupt sei die Handels- und Hansestadt Hamburg mir ihrem kolonialen Erbe prädestiniert, diesen kritischen Künstler zu zeigen. Allerdings sind einige kleinere Skulpturen doch in der Schau zu sehen, wie zum Beispiel „Die drei Schwestern“, drei Bronzearbeiten, die aussehen, wie aus Pappmaschee gearbeitet.

Blick in die Ausstellung: PasoliniBlick in die Ausstellung: Pasolini

Hinzu kommt eine alte Nähmaschine mit Megaphon-Trichter auf Perser-Teppich. Diese alten Megaphon-Trichter tauchen häufig im Werk von Kentridge auf, so zum Beispiel auf der riesigen zentralen Arbeit, der Film-Installation „More sweetly play the dance“, die auf der Leinwand über die gesamte Breite der Deichtorhalle gezeigt wird. Wie ein mittelalterlicher Totentanz wird hier eine Prozession als Schattenriss über einer typisch düsteren gemalten Landschaft gezeigt. Angeführt von einer schmissigen Brass-Band ziehen Tänzerinnen, Kranke, Soldaten und Skelette quer durch den Raum, um auf die grassierende Ebola-Pandemie aufmerksam zu machen, die 2015 große Teile Westafrikas traumatisierte.

Neben den Filmen ist ein weiterer großartiger Komplex seiner Kunst zu bestaunen, seine riesigen Tapisserien, die in ihrer Monumentalität beeindrucken. Es handelt sich um Wandteppiche, die auf dem Hintergrund von alten französischen Atlanten ausgeschnittene Silhouetten von Menschen und Tieren zeigen, die unterwegs sind. Diese sogenannte Porter-Serie, die zwischen 2001 und 2007 entstanden ist, ist für Kentridge selbst wie eine bewegliche Wandmalerei. Ganz große Kunst, die noch relativ unbekannt im Werk von ihm ist und selten ausgestellt wurde.

Blick in die AusstellungBlick in die Ausstellung

Intime Zeichnungen, Radierungen und Malereien werden in kleinen Kabinetten gezeigt, während in Filmkästen, die mit dunkelbraunem Kork ausgelegt sind, seine Animationsfilme gezeigt werden. Teilweise sieht es aus wie in einem gemütlichen Wohnzimmer, während politische Statements zu China und Russland durch revolutionäre Tänze oder von Trotzki, dem das Wasser bis zum Halse steht, abgegeben werden. Auch sein privates Lese- und Arbeitszimmer mit diversen Büchern und Gemälden schafft Intimität und Ruhe, auch wenn diese durch die gewalttätigen Inhalte der ausgestellten Vielfalt manchmal gestört werden. Auch ein Nachbau seines Ateliers, welches immer offen für alle und stets multikulturell orientiert war, ist zu sehen. Es war stets sein Zentrum für seine künstlerische Tätigkeit und Raum für sein exzessives Schaffen.

Radierungen, Lithografien, Siebdrucke, bemalte Bronzeskulpturen, Zeichnungen, Experimente in dreidimensionaler Zeichnung, Vorarbeiten für verschiedene Projekte und das Modell der aktuellen Ausstellung - sie fungieren als Beweis für das Atelier als Denkmaschine. Man kann sich kaum sattsehen. Wenn man aus Sicherheitsgründen nicht ständig die Gesichtsmaske tragen müsste, könnte man sich stundenlang und ausgiebig in dieser überwältigenden Ausstellung aufhalten, aber vielleicht kommt man einfach mehrfach in die bis zum 01. August 2021 laufende Schau. Zu empfehlen ist das allemal, und zu entdecken gibt es bei jedem Rundgang auch immer wieder etwas Neues und noch nicht Gesehenes.

William Kentridge: Why should I hesitate: Putting Drawings into Work, Deichtorhallen Hamburg bis zum 01. August 2021. Täglich außer Montags von 11 bis 18 Uhr. Ein wunderbarer kleiner Katalog ist für 18 Euro in der Buchhandlung vor Ort zu erwerben.
Weitere Infos unter www.deichtorhallen.de

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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