Gitesh Klatt (rechts), Foto: Holger Kistenmacher

Gitesh Klatt in der Kunsttankstelle
Peaceful Moments 6.6

Seit vielen Jahren ist der Lübecker Gitesh Klatt aktives Mitglied der Künstler-Gemeinschaft „Defacto Art“, zunächst im Hinterhof-Atelierhaus im Balauer Fohr und jetzt in der Kunsttankstelle am Holstentor. Als leidenschaftlicher Autodidakt und Querdenker mischt er in der Kunstszene Lübecks seit den frühen 70er Jahren mit.

Zunächst noch mit filigranen Tuschezeichnungen und Acryl-Malerei, die von Escher beeinflusst waren. Gleichzeitig begann seine Karriere als freier Fotograf und Filmemacher. Es war die Zeit von Super 8 Filmen, als er mit seiner „Spring in 8-Filmtournee“ durch ganz Deutschland tourte. Dabei hatten befreundete und unbekannte Filmemacher ihre filmischen Gedanken und Werke zum Frühling eingeschickt, die Gitesh dann zusammenschnitt, um sie vor großem Publikum (u.a. bei den Nordischen Filmtagen oder in Oberhausen) zu zeigen. Legendär sein an Andy Warhol orientierter Party-Film „Stolen Kisses“ oder seine Zusammenarbeit mit Siggi Detlov, der jetzigen Leiterin des Combinale Theaters.

Aber natürlich lebt der Mensch nicht nur von Lust und Liebe, sondern braucht auch was auf´s Brot.

Also war Gitesh Klatt auch jahrelang als professioneller Medienarbeiter bei Sat.1 oder der IHK Lübeck beruflich tätig. Trotzdem war er immer als freier Künstler aktiv, hatte seine Goldphase, die ihn nach wie vor beschäftigt, entwickelte Skulpturen und Installationen und war auch überregional aktiv. So gestaltete er im Wattenmeer vor Cuxhafen einen Gold-Baken-Wanderweg als Event zur Eröffnung des dortigen Umwelt-Museums. Im Wendland frönte er seine Gold-Sucht mit seinem ersten Goldraum aus Rettungsdecken und Filmarbeiten.

Tuschezeichnung auf Leinwand 1971Tuschezeichnung auf Leinwand 1971Jetzt kann man die vielschichtigen Arbeiten des Lübecker Künstlers in einer retrospektiven Schau in der Kunsttankstelle besichtigen. Die ausgestellten Werke beginnen mit den filigranen Tusche-Arbeiten von 1970-73 und enden mit der neuesten Skulptur von 2019 „Fluchtboot für Superreiche“. Diese Arbeit, die der Künstler noch als „in progress“, also als noch nicht fertig betrachtet, zeigt ein Schlauchboot mit verfremdeten Fotos von Anzugträgern. Es ist sein Kommentar nicht nur zur aktuellen Flüchtlingstragödie im Mittelmeer, sondern auch sein Hinweis, dass mehr und mehr Reiche sich in irgendeiner Form auf der Flucht befinden - „zum Beispiel in Steueroasen oder in abgeschotteten Arealen für Super-Milliardäre“, so der Künstler.

Diese Installation zeigt, dass es auch immer eine politische Komponente im Werk von Gitesh Klatt gibt. Das Rostbild „Rost-Stress-Test mit Brokdorf“ ist ein weiteres. Bei seinen sogenannten Rost-Bildern arbeitet er mit auf Leinwand gezogenen Schwarz-Weiß-Bildern, die er auf massive Metallplatten gespannt hat. Indem die Bilder Wind und Wetter ausgesetzt waren, weil er mit ihnen auf dem Dach seiner alten Ente durch den Regen fuhr, oder sein „Rostschiff“ (ein Schiffswrack vor Lanzarote) auch schon mal im Lübecker Hafenbecken versenkte, leben sie, entwickeln sie sich weiter. Sie rosten von hinten förmlich durch, so dass das ehemals schwarz-weiße Schiffswrack als Foto doch noch zu seiner rötlich rostigen Originalfarbe zurück gelangt.

Rostschiff (Lanzarote)Rostschiff (Lanzarote)

Aber auch das Spielkind kommt manchmal durch bei diesem vielschichtigen Künstler. Seine Fell-Bilder von 2013 zum Beispiel laden zum Fühlen und Streicheln ein. (Vulva, Powertalk oder Universum).

Seine Installationen wie die Titel gebende Arbeit „Peaceful Moments“, die zwischen 2013 und 2017 entstand, lädt die Betrachter zum Experimentieren ein: Auf einer Grundfläche, die an einem Seil von der Decke hängt, können Besucher mit alten, vom Onkel geerbten Schuster-Leisten eine Balance herstellen. Das Werk steht für den Künstler für Familie, Ausgleich und Gleichgewicht.

Performance-Installation: Peaceful Moments - 2013-2018Performance-Installation: Peaceful Moments - 2013-2018

Des weiteren sind Bildobjekte wie seine Reichstags-Aufnahme mit Bambus-Stele und Aktenrollen oder die Skulptur „Trashtopia Gold Gun“ von 2003 zu sehen. Und auch im herrlichen Ateliergarten kann man seine große Gold-Bake bewundern, die allerdings beim letzten Sturm einige Federn lassen musste. Die aus Gold-Rettungsdecken, PET Wasserflaschen und Holz gearbeitete Skulptur wirkt doch äußerst verletzlich und windschief.

Die Ausstellung in der Kunsttankstelle Defacto Art läuft noch bis zum 9. Mai 2019. Öffnungszeiten: Sa+So 11.00-16.00 Uhr, Do+Fr. 15.00-18.00 Uhr

www.gitesh.de

Holger Kistenmacher
Holger Kistenmacher
Jahrgang 1956, freischaffender Journalist seit gut 25 Jahren, studierter Realschullehrer, praktizierender psychosozialer Betreuer, ambitionierter Fotograf und Kulturschreiber mit den Fachgebieten: Moderne Gegenwartskunst, Literatur, Musik zwischen Jazz und Rock, Nordische Filme, Moderner Tanz. Weltenbummler und Reisejournalist.

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