Ist die Darstellerin der Frau Fluth in der heutigen B-Besetzung tatsächlich erst im ersten Semester (statt im 6., wie das Programm vermerkt)? Offenbar, denn sie hat die Aufnahmeprüfung ja erst vor dem letzten Herbst absolviert und dann nicht einmal fürs Bühnenfach. Aber für diese Produktion, die zusätzlich zum normalen Studienbetrieb stattfand und in äußerst kurzer Zeit zu bewältigen war, wurden alle sängerisch Mitwirkenden zum Vorsingen bestellt, wurden also regelrecht gecastet. Musste man dann unbedingt Frau Fluth mit einem Erstsemester besetzen? Ist das nicht geradezu gefährlich und verdirbt die Stimme? Ja sicher, aber wir wurden ja nicht gefragt. Wer ist denn dafür verantwortlich? Der Herr, der über uns wohnt. Wer mag das nun sein?
Ich kann und muss diese Hochschulinterna nicht wissen, die in der Pause beim Sekt erörtert werden. Schließlich bin ich, genau genommen, nur dem Sohn einer Freundin zuliebe gekommen, den auf der Bühne zu bewundern ich versprochen hatte. Er ist zwölf und tritt am Ende als Elf auf. Schön, ihn schon gleich zu Beginn zu sehen, denn als bekennender Nicht-Opernfan verbinde ich mit dieser Musik sogleich eher zweifelhafte Erinnerungen an die beliebte Fernsehsendung „Erkennen Sie die Melodie“ – ein Muss für meine Eltern vor ca. 30 Jahren. Bei den von jeher beliebten „Lustigen Weibern“ war der Wiedererkennungswert der musikalischen Fragmente stets ein hoher und der damit einhergehende Genuss für meine Eltern für mich nie nachvollziehbar. Und was muss ich heute Abend erleben? Da sitze ich nun selbst als angehender Oldie im Publikum und vor mir sind ausschließlich junge Talente mit diesem Stoff beschäftigt, den ich damals für absolut nicht jugendtauglich hielt. Zu meiner Überraschung scheinen sie sämtlich mit großer Freude bei der Sache zu sein, obwohl es für die HauptdarstellerInnen heute eine ernste Angelegenheit ist, absolvieren sie doch hier und jetzt den praktischen Teil ihrer diversen Prüfungen und werden von der Fachjury beurteilt. Respekt! Der Spaß an der Darstellung unter der Regie von Stephanie Koch und der musikalischen Leitung von Per Borin überträgt sich sofort auf das Publikum im ausverkauften großen Saal der Hochschule.
Bisweilen vergisst man völlig, dass es doch noch Lernende sind, die dort auf der Bühne stehen, so überzeugend wirken sie bereits in ihren Rollen. Da warten manch städtische Theater mit wesentlich weniger Qualität auf, sowohl was die gesanglichen als auch die schauspielerischen Fähigkeiten angeht. Dass beides bei der Oper Hand in Hand gehen muss, wird hier ganz offensichtlich von vornherein vermittelt. Natürlich ist noch nicht alles perfekt, aber das erwartet auch niemand. Die trockene Akustik lässt leider kein noch so geringes Intonationsdefizit durchgehen und hilft keiner stimmlichen Schwäche über Hürden in der Partitur hinweg. Das ist geradezu gemein. Wie es ausländischen Studierenden, wohl insbesondere aus dem asiatischen Raum, überhaupt möglich ist, dieses vermaledeite Deutsch in so einem Tempo auf die Reihe zu bekommen, bleibt ein Rätsel und bewundernswert. Dieser Nachwuchs von morgen kann sich guten Gewissens hören und sehen lassen, unterstützt vom engagierten und einfühlsam mitgehenden Hochschul-Orchester unter dem äußerst schwungvollen Dirigat Per Borins.
An seiner Seite steht beim anhaltenden Schlussapplaus mein kleiner Held. Für ihn sicherlich unvergessliche Momente. Wer weiß, ob der Herr, der über uns wohnt, nicht zumindest dafür gesorgt hat, dass es demnächst ein paar Opern-Fans mehr gibt – Erstsemester hin oder her!