Christian Juslin (Otello), Karen Leiber (Desdemona), Foto: (c) Silke Winkler

Verdis „Otello“ in Schwerin
Kühle Präsenz statt Leidenschaft

Große Oper war angekündigt. Das Mecklenburgische Staatstheater in der Landeshauptstadt Schwerin hatte zu Verdis „Otello“ eingeladen (13. Oktober 2017). Das Haus setzte damit einen herausfordernden Akzent zur Eröffnung einer Opernsaison, die im übrigen Verlauf eher durch den Rotstift des Kassenwarts gefärbt scheint.

Denn neben der in Schwerin wie anderswo immer wieder mal notwendigen Inszenierung von „Hänsel und Gretel“, naturgemäß in der gemütvollen Vorweihnachtszeit, und einer Märchenerzählung im Konzertfoyer von Oscar Wildes „Der glückliche Prinz“ (Musik: Wolfgang Böhmer) folgen noch ein Musical („Jekyll & Hyde“ im Februar 2018) und, exklusives Finale im Mai, Paul Hindemiths „Neues vom Tage“. Insgesamt ist das ein eher mageres Angebot, zählt man die Freiluftinszenierung der „Tosca“ im nächsten Sommer, wenn er denn kommt, und die zwei Ballettpremieren, eine im E-Werk, die andere im Großen Haus, nicht mit.

Nur eine Operngala war Ende September vorausgegangen, bei der sich bereits die Neuen im Ensemble vorgestellt hatten. Jetzt folgte die szenische Bewährung, mit „Otello“ wahrlich nicht leicht. So manches Haus, kleiner und größer, hat sich daran schon verhoben, dieses Drama um Missgunst und Verleumdung, Eifersucht und Intrige, um Liebe und Mord überzeugend auf die Bretter zu bringen, vor allem aber den knappen dramatischen Verdi-Klang einzufangen. Auch in Schwerin hatte man sich 16 Jahre lang offensichtlich nicht an Verdis Spätwerk herangetraut, so waren die Erwartungen hoch. Katharina Thoma, mit Mitte 30 als Gastregisseurin noch jung, hat zwar internationale Erfahrungen, scheint aber üppigere Mittel gewohnt zu sein.

Christian Juslin (Otello), Yoontaek Rhim (Jago), Foto: (c) Silke WinklerChristian Juslin (Otello), Yoontaek Rhim (Jago), Foto: (c) Silke Winkler

Sie begann mit einem pantomimischen Vorspiel, bei dem die Hauptakteure sich auf der Vorbühne an einem Schminktisch letzten Schliff gaben, der Mohr aus Venedig mit einem schwarzen Gesichtstreifen, die anderen mit weißen. Das vermittelte Spaß und heitere Verwandlung wie in einer Commedia dell’Arte, befremdlich zwar für den, der auf den Ernst der Shakespeare’schen Tragödie eingestimmt war, aber möglich, wenn es ein neuer Deutungsansatz gewesen wäre. Unter Umständen wollte das auch nur auf die Freiluftinszenierung von Shakespeares Schauspiel im Schweriner Dom-Innenhof vom Sommer 2016 rückverweisen, die sich stark an das Komödiantische anlehnte. Dann wären die zahlreichen papierenen Taschentücher, die statt des seidenen und magischen Faustpfandes von Otellos Liebeslust vom Bühnenhimmel schneien, ein hübscher Gag mit eigener Komik. Solch ein Zusammenhang wollte sich jedoch nicht zu erkennen geben.

Ein Leitsatz

Nimmt man einmal beiseite, dass Verdis teils drastisch realistische Musik sich als Hintergrund für leichte Commedia-Kost nicht verwenden lässt, hatte die spürbare Diskrepanz zwischen der Dramatik des Stoffes und dem retardierten Bühnengeschehen zumindest zwei Gründe. Zum einen galt der Regie als Leitsatz: „Je besser das Stück, desto weniger ist nötig, es zu erzählen.“ Ihn teilte Katharina Thoma anlässlich eines Interviews im Programmheft mit. Sie verlässt sich damit darauf, dass der Zuschauer das Stück so gut kennt wie sie, und verteidigt damit den Handlungsminimalismus auf der Bühne. Er trägt aber dem dramatischen Geschehen nicht Rechnung, vor allem dann nicht, wenn die Sängerdarsteller eher statisch agieren und sich immer wieder in Frontaltableaus an der Rampe einfinden. Wie sollen die Verzahnungen, die erst das Tun der Personen erklären, deutlich werden, ihre Zu- und Abneigungen, ihre momentanen Empfindungen, ihre Verblendungen?

Kahled Dyab Agha, Christian Juslin (Otello), Foto: (c) Silke WinklerKahled Dyab Agha, Christian Juslin (Otello), Foto: (c) Silke Winkler

Zum anderen leistete dem Unklaren das abstrakte Bühnenbild (Sibylle Pfeiffer) Vorschub, eine an seinen Ecken aufgehängte, dadurch sehr bewegliche Plattform. Mal schwebend, mal hochkant, mal bodenständig oder mit quadratischem Guckloch inmitten bekam sie ständig neue Konnotation, wird schwankender Boden für Otellos Eifersucht, erdrückt unter sich den intriganten Jago oder wird zu Desdemonas Grab. Das alles ist zwar sinnfällig, kann aber nicht verhindern, dass ein intimer Innenraum fehlt, den Desdemonas Liebe benötigt. Die Ebene serviert stattdessen Gefühle kühl wie auf einem Tablett oder einem Seziertisch. Ein Dokumentarfilmer mit Smartphone tummelt sich zudem auf der Szene, vergrößert manches Gesicht auf der Projektionsfläche hinten bis in unerbittliche Direktheit. Dass er ein Syrer ist (oder sein muss), wird im Programmheft mit gedanklichen Kapriolen erläutert.

Distanz zum Geschehen

Das Distanzierte wird durch Irina Bartels sehr allgemeine Kostüme unterstützt. Selbst Otello, in einer schwarzen Militärkluft gekleidet mit martialischer Mütze, wirkt dennoch weder befehlshaberisch noch wirklich manipuliert. Allein der große schwarze Fleck im Gesicht ist Hinweis auf seine Herkunft, sein Anders-Sein. Denn auch das möchte die Regie, seine „tiefe Erschütterung … in Erfahrungen von Rassismus und Ausgrenzung“ einfangen. Dazu aber reicht das Schwarze im Gesicht nicht, zumal der Finne Christian Juslin, einziger Gast in dieser Produktion, den nordischen Typus nicht verbergen kann. Er verfügt über einen schlanken und wendigen Tenor, meistert seine Partie bewundernswert, war aber vom Stimmtypus zu direkt.

Christian Hees (Rodrigo) und Yoontaek Rhim (Jago), Foto: (c) Silke WinklerChristian Hees (Rodrigo) und Yoontaek Rhim (Jago), Foto: (c) Silke Winkler

Jago dagegen, auch er eher distanziert gespielt, kann rundum bestehen, vor allem bei seinem „Credo“. Er wird zur zentralen Figur, ist Drahtzieher der Ereignisse, degradiert in dieser Regie alle zu Marionetten. Der Koreaner Yoontaek Rhim vermag das stimmlich hervorragend durchzuhalten, bleibt aber darin unter den Möglichkeiten dieser Rolle, dass er ihr das Dämonische in Stimme und Spiel schuldete. Wie er lieferte auch Karen Leiber hier ihren Ensembleeinstand. Mit ihrer kraftvollen, doch zugleich schlanken Stimme gab sie der Desdemona Stärke, vermochte zudem das Lyrische des Weidenstrauch-Liedes bewundernswert zu meistern.

Den vielen Stimmen in den Nebenrollen und in den Chören zuzuhören machte Freude, weniger der direkten orchestralen Begleitung. Daniel Huppert betonte stark das Dramatische, fand im Lyrischen aber den Verdi-Klang nicht.

Mochte das der Grund sein, weshalb der Schlussbeifall nur auffallend kurz ausfiel?

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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