Premiere des Tanztheaters "Berge versetzen" von TanzOrtNord

Ein tanzender Luther? Ja, das Tanzprojekt "Berge versetzen" von Ulla Benninghoven lädt dazu ein, festgefügte Bilder zu hinterfragen. Das Jubiläumsjahr "500 Jahre Reformation" war der Impulsgeber für dieses Projekt. Luther war ein mutiger Infragesteller, der bestehende Hierarchien nachhaltig verändert hat.

Die Tänzer und Musiker lassen an diesem Abend keinen Stein auf dem anderen – alles ist in Bewegung, wird hinterfragt, Falschheit benannt, Ungerechtigkeit angeprangert. Da ist solch eine Wut gegen Fremdbestimmung zu spüren, aber keine zerstörerische, sondern eine konstruktive Wut. Ein Aufbegehren, das zunächst ängstlich ist, blind auf der Suche, doch dann zu sich findet und eine enorme Kraft entwickelt, die Grenzen sprengen kann.

Ulla Benninghoven hat sich etappenweise ein ganzes Jahr Zeit genommen für dieses Projekt. Man merkt, wie viel tiefe Auseinandersetzung darin steckt. Man sieht und hört das Gewicht, die Fülle, den Dialog mit der Geschichte und der Bedeutung für unsere Zeit – aus all dem hat sie eine reichhaltige Essenz gewonnen. Das Werk zeigt eher keine lineare, zusammenhängende Geschichte, sondern bündelt einzelne Themen zu kontrastreichen Bildern, die zwischen Geschichte und Gegenwart oszillieren.

Ein zentrales Element sind Luthers 95 Thesen, die neben einem Erzähler den roten Faden bilden: Die Tänzer flüstern die Zahlen ängstlich, teilen sie wie einen Schatz, skandieren sie – bis sie zum Schluss befreiende Freudenschreie werden. Ihr Tanz ist wie eine eigene Gebärdensprache: Die Tänzer zeigen starke, intensive Gesten – manche scheinen chiffriert, manche buchstabieren deutlich, was sie sagen wollen.

Foto: (c) Christoffer GreißFoto: (c) Christoffer Greiß

Der Ablassverkäufer erscheint wie in einem Alptraum. Frauen werden in Klöster geschickt, deren Mauern zum Gefängnis werden. Die Menschen sind Marionetten der übermächtigen Institution Kirche. Wenn sie ihren Mund öffnen für die Hostie, wirkt es wie ein stummer Schrei. Aus dem "Hoc est corpus", das von der Kanzel schallt, wird ein "Hokuspokus", das die Gemeinde hypnotisiert. In starkem Kontrast dazu die stillen, zarten, suchenden Liebesgesten zwischen Luther und Katharina. Als im Finale die Mauern fallen, gelingt dies im Miteinander. Dann können die Menschen frei tanzen und feiern, ja fast fliegen.

Die Musiker des Broken Consort Ensembles unter der Leitung von Ralph Lange sind elementarer Teil des Geschehens, sie sind immer wieder in Bewegung, durchwandern den Raum, auch sie verschieben Grenzen. Ihre Musik schafft eine Brücke zwischen den Zeiten: Sie spielen auf ihren historischen Instrumenten mit musikalischem Material aus der Reformationszeit – bruchlos springen sie in zeitgenössische Klänge. Es macht Sinn, dass die Musik in diesem Werk eine Hauptrolle übernimmt: "Luther maß der Musik wie der Theologie höchste Bedeutung für das Seelenheil des Menschen zu, weil sie 'den Teufeln zuwider und unerträglich sei' und 'solches vermag, was nur die Theologie sonst verschafft, nämlich die Ruhe und ein fröhliches Gemüte'. Er war selbst ein geübter Sänger, Lautenspieler und Liedkomponist." (Quelle: Wikipedia)

Das Heiligen-Geist-Hospital, das 200 Jahre vor Luthers Geburt erbaut wurde, gibt diesem Werk einen großartigen Raum – erbaut aus Reichtum und Frömmigkeit von Lübecker Kaufleuten, ist das Hospital eine der ältesten Sozialeinrichtungen Europas. Der historische Raum des Hospitals lässt viele der starken Tanzszenen zu leuchtenden Gemälden werden. In der Choreografie wurden die Bedingungen dieses Raumes bedacht: Da die Zuschauer auf einer Ebene sind, würde man die Tänzer z. B. nicht gut sehen, wenn sie auf dem Boden lägen.

Foto: (c) Christoffer GreißFoto: (c) Christoffer Greiß

Ulla Benninghovens Zusammenarbeit mit Ralph Lange und allen beteiligten Künstlern, dazu dieser besondere Spielort, ist ein Glücksfall. "Berge versetzen" ist ein herausragendes Werk – für Lübeck, das ja wahrlich nicht viel Tanz zu sehen bekommt, ein echtes Geschenk. Ein Abend wie eine kraftvolle, mutige Einladung, Mauern zu durchbrechen, Berge zu versetzen. Zum Schluss gab es Standing Ovations!

Weitere Termine: 22., 23., 29. September – jeweils um 20:30 Uhr und 1. Oktober um 19:30 Uhr. Heiligen-Geist-Hospital, Koberg 11, Lübeck.
Tickets (22 €, ermäßigt 10 €) unter www.tanzortnord.de.tl und an den bekannten Vorverkaufsstellen, Restkarten an der Abendkasse. Freie Platzwahl.


Fotos: (c) Christoffer Greiß


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