Hugo Zeplichal ( John, Peters Lehrjunge) und Paul McNamara (Peter Grimes), Foto: (c) Silke Winkler

Brittens „Peter Grimes“ in Schwerin - Ein Sonderling in Gummistiefeln

In einer grundsoliden Inszenierung präsentierte das Mecklenburgische Staatstheater Benjamin Brittens „Peter Grimes“ (Premiere: 7. April 2017).

32 Jahre alt war Britten, als er, der wohl bedeutendste englische Komponist des 20. Jahrhunderts, 1945 sein erstes Bühnenwerk schuf. Sein Geburtsort Lowestoft, die östlichste Hafenstadt Englands, bietet dafür den Hintergrund. Britten setzt die Handlung ca. 100 Jahren zurück, in eine Zeit, in der der Ort noch ein kleines Fischerstädtchen war. Dort werden die damals wichtigen Treffpunkte, die Kirche, das Rathaus und vor allem der vielbesuchte Pub, zur Kulisse für sein düsteres Werk voll starker Emotionen. Sie werden hervorgerufen durch das harte, unbeherrschbare Küstenklima, das auch die Charaktere und das Verhalten der Bewohner geprägt hat. Vor allem die Titelfigur, der Fischer Peter Grimes, ist ein einsilbiger, ruppiger Eigenbrötler geworden. Er steht der Gemeinschaft feindlich gegenüber, und sie ihm.

Gleich zu Beginn spiegelt Wolfgang Kurima Rauschning, Ausstattungsleiter am Theater Nordhausen, mit seinem Bühnenbild auf der schmalen Proszeniumsfläche das Enge der Einwohner. Nur ein paar gelbe Kisten setzen atmosphärische Akzente, dienen zu allem Möglichen, als Rednerpult oder zum Sitzen. Sie sind auch weiterhin ein verbindendes Motiv. Im Übrigen markieren in den drei folgenden Akten Stege und Pfähle die karge Hafenszenerie, durch die Drehbühne in stets sich wandelnder Perspektive genutzt und auch durch Projektionen unterschiedlicher Meeresstimmungen. Etwas merkwürdig wirken die Schiffe, die, klein in den Händen oder groß an einem Steg oder zum Trocknen an der Leine, den Faltschiffen aus Kindertagen entsprechen. Das gibt der eher naturalistischen Bühnengestaltung einen surrealen oder symbolistischen Anstrich, zumal auch die Kostüme, eine Mode aus der Mitte des 20. Jahrhunderts mit Gummistiefeln für nahezu alle, eher veristisch wirken und eindeutig sind.

Hugo Zeplichal ( John, Peters Lehrjunge) und Paul McNamara (Peter Grimes), Foto: (c) Silke WinklerHugo Zeplichal ( John, Peters Lehrjunge) und Paul McNamara (Peter Grimes), Foto: (c) Silke Winkler

Spannungsvolles Geschehen

Im Vorspiel brechen bei einer Art öffentlicher Anhörung vor dem Bürgermeister die Spannungen drastisch auf und verdeutlichen das Vorgeschehen. Peter Grimes muss sich dem Vorwurf stellen, aus Geldgier den Tod seines Lehrlings bei einem langen Fischfang verursacht zu haben. Heftig weist er die Anschuldigung zurück, bekommt aber keine Gelegenheit, seine Unschuld zu beweisen. Das befriedigt ihn nicht, auch nicht die ihm übel gesonnene Gemeinschaft. Nur zwei Personen halten zu ihm, die verwitwete Lehrerin Ellen, die den Sonderling liebt und die Peter als Frau gewinnen möchte, und der angesehene ehemalige Handelskapitän Balstrode. Er allein versucht, Peters Eigensinn mit gutem Rat zu lenken.

In drei Akten entwickelt sich nun eine stetig dramatischer werdende Aktion, bei der die Gemeinschaft ihn immer weiter isoliert und Grimes schließlich keinen Ausweg mehr weiß. Diese umfassende Rolle zu gestalten, ist keine leichte Aufgabe. Gesanglich erfordert sie einen Tenor von Wagner-Format. Schwerin hat ihn in dem Iren Paul McNamara gefunden, der mit lebhaftem Spiel lange seine große Partie standhaft durchhält, nur am Schluss Schwächen zeigt. Unnahbar, von rohem Willen getrieben, macht er seiner Umwelt Probleme, auch der ihm zugetanen Ellen. Für Kathleen Parker, aus Kanada stammender dramatischer Sopran, ist diese Rolle ein Debüt, das sie eindringlich bewältigt. Ruhig und bestimmt im Spiel ist ihr warmer Klang der herausragende musikalische Beitrag im guten Gesamteindruck der großen Anzahl von Stimmen, findet sich auch ausdrucksvoll im Unisono mit der Titelfigur. Der dritte Gast ist der norwegische Bariton Espen Fegran als Balstrode, der mit starkem und vollem Klang die soziale Disharmonie auszugleichen versucht.

Cornelius Lewenberg (Ned Keene) und Itziar Lesaka (Tantchen, Wirtin), Foto: (c) Silke WinklerCornelius Lewenberg (Ned Keene) und Itziar Lesaka (Tantchen, Wirtin), Foto: (c) Silke Winkler

Bunte Charaktere

Bunt mit Charakteren durchmischt ist die Gegenseite, fast ausnahmslos mit hauseigenen Kräften besetzt. Unter ihnen stechen Tantchen (Itziar Lesaka), die Wirtin im Pub „Zum Hai“, und ihre beiden Nichten (Katrin Hübner und Ks. Petra Nadvornik) hervor, die dort als Animiermädchen arbeiten, beide englisch züchtig in hochgeschlossenen Kleidern. Einen Kontrast setzt Mr. Sadley (Sophia Maeno), ebenfalls verwitwete Klatschbase des Ortes. Ihr stark karikierendes Auftreten will sich nicht ganz in das Bild einfügen. Mit einem kraftvollen Bass kann sich der Bürgermeister (Igor Storozhenko) durchsetzen, unterstützt in gleicher Stimmlage durch Hobson (Sebastian Kroggel), den Amtsdiener und Fuhrmann. Ärgster Widersacher ist der Methodist, von Mathias Koziorowski mit klarem Tenor und lebhaftem Spiel gesungen. Weitere Farben bringen der Apotheker Ned Keene (Cornelius Lewenberg) und Adams (Christian Hees), der Pfarrer.

Einen wunderbaren Part hat Britten dem Chor gegeben. Mit Verve greift er in das Geschehen ein, wobei sich der Opernchor und ein Extrachor in dieser Aufführung beweglich und stimmmächtig zeigen. Die Regie von Operndirektor Toni Burkhardt, der auch für die Kostüme verantwortlich zeichnet, führt ihn und alle Sänger immer wieder an die Rampe, wodurch alle sich mühelos dem Orchester entgegenstellen können. Das wird von Daniel Huppert dirigiert, der den zumeist malenden Partien ein ausdrucksvolles Gepräge geben kann und wenig Mühe hat, Orchester und Bühne zusammenzuhalten. Sehr gut gelingen der Mecklenburger Staatskapelle die großen Stimmungsbilder, die Britten als Zwischenaktmusiken geschaffen hat.

Fazit

„Peter Grimes“ ist kein Werk experimenteller Moderne, nutzt sogar Elemente volkstümlicher Gestaltung. Brittens eindringliche Musik aber ist von stark malerischer und melodischer Kraft und dem Sujet stark dienlich. Die Inszenierung bleibt nahe am Text, lässt auch lockere, humorvolle Partien zu, ist aber in ihrem Schwanken zwischen Realem und Symbolhaften unentschlossen. Zudem verhindert das Bemühen, alles und jeden an die Rampe zu führen, ein wirklich lebendiges Geschehen zu zeichnen. Der begeisterte Beifall allerdings gab dem Team in jeder Hinsicht Recht. 

Fotos: (c) Silke Winkler

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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