Ann-Christin Fray

Cole Porters „Anything goes“ in Schwerin
Erlaubt ist, was gefällt

Es war mächtig was los in Schwerin. Das Publikum fühlte sich grandios aufgehoben bei der Premiere (16. Februar 2017) von Cole Porters Musical Comedy „Anything goes“ und spendete immer wieder beharrlich Applaus, nach jedem Song und vor allem nach den mitreißenden Finalen beider Akte.

Knappe drei Stunden dauerte die vitale Unterhaltung, die nach sechswöchiger Vorbereitung locker über die Rampe kam. Dabei ist die Handlung schon recht zusammengeflickt. Sie bedient sich aller Klischees der Welt und vereint auf einem Ozeandampfer eine chaotische Gesellschaft. Da ist der Wall-Street-Börsianer Elisha Whitney und sein Assistent Billy Crocker, der zum blinden Passagier wird, natürlich der Liebe wegen. Er beschäftigt in vielerlei Verkleidungen die vielgestaltige Mannschaft und – wiederum natürlich – die Damen. Dazu gehört Reno Sweeney, Nachtclubsängerin, dann Hope, ihres Zeichens heiratsfähige Tochter der verarmten Witwe Evangeline Harcourt.

Als finanzieller Retter ist der reiche Engländer Lord Evelyn Oakleigh ausersehen, auserkoren in Hopes Herzen aber Billy. Sie kennen sich schon länger. Zudem werden gleich zwei Pfarrer benötigt, ein echter, begleitet von zwei vorgeblich missionierten, aber die Passagiere kräftig ausnehmenden Chinesen, und ein unechter. Moonface Martin heißt er und ist geflohener Sträfling. Mit ihm reist die Gangsterbraut Bonnie, auf und im Kopf blond. Der Kapitän, der Zahlmeister, natürlich die Matrosen bestimmen das nautische Milieu und das Unterhaltsprogramm die vier Engel, zu Renos Showgirl-Truppe gehörend. Dann ist da noch die bunte Schar der touristischen Passagiere.    

Marysol Ximénez-Carrillo und BallettensembleMarysol Ximénez-Carrillo und Ballettensemble

Wer das Stück nicht kennt und bisher folgen konnte, darf sich auf eine Reihe von weiteren Verwicklungen auf der Bühne freuen. Denn Billys Verkleidungen führen ständig zu neuen Dilemmas. Zudem ist Reno ehemalige Laienpredigerin, versteht Menschen um den Finger zu wickeln und feiert mit ihrer Girl-Group eine schwarze Messe mit einer grellen Beichtshow. Lord Evelyn, auch er nicht echt, ist eigentlich nur von seinen Sprachstudien begeistert, muss aber in Bonnie eine ehemals Verlassene erkennen. Bis zum schrillen Finale mit Massenhochzeit ist daher viel zu klären. Wenige aktuelle Seitenhiebe auf Trump und Brexit, weitere auf die Sensationsgier, demonstriert an den Passagieren, denen in Ermangelung wahrer Promis die Ganoven zum Nervenkitzel genügen müssen, oder die Macht von Geld und Liebe, motivieren die Handlung. Das ist eben Musical, bei dem vor allem die Musik zählt.

Cole Porters ohrwurmige Evergreens, darunter der Finalsong zum ersten Akt, das titelgebende „Anything goes“, oder das „Blow, Gabriel, blow“ wurden unter der Leitung von Michael Ellis Ingram, seit dieser Spielzeit Kapellmeister am Theater, mit viel Swing begleitet. Er konnte ganz aus dem Vollen schöpfen, weil die Sänger, mit Mikrophonen ausgestattet, kaum zu überdecken waren. Die Band aus eigenen und fremden Musikern fand sich in dem Mix von Jazz und Big-Band, von Pop bis Shanty wunderbar zurecht. Nur bei einigen der sentimentalen Stücke hätte man sich mehr Schmelz gewünscht. 

Ann-Christin Fray, Marysol Ximénez-Carrillo, Andreas Langsch, Nina Links und BallettensembleAnn-Christin Fray, Marysol Ximénez-Carrillo, Andreas Langsch, Nina Links und Ballettensemble

Iris Limbarth, mit großer Erfahrung im Musical-Metier, inszenierte rasant und bunt und würzte mit etlichen witzigen Einfällen. Sie macht nachfühlbar, dass Cole Porters Stück seit über 80 Jahren die große Bühnenwirkung nicht eingebüßt hat. Ihre Choreografie fordert die Solisten, das Ballett und den Chor, überzieht aber nicht. Die meisten der Akteure mussten zudem erst den Step-Tanz lernen, den Andreas Langsch, zugleich versierter Darsteller des Billy Crockers, mit ihnen einstudiert hatte. Was dabei herauskam, war in der perkussiven Wirkung hörens-, zudem tänzerisch sehenswert. Das funktionale, teils glamouröse Bühnenbild hatte Bernd Franke für Münster geschaffen und es jetzt für Schwerin angepasst. Gleiches gilt für Götz Lanzelot Fischers charaktervolle Kostümentwürfe. 

Als Star des Abends galt Marysol Ximénez-Carillo, die als Reno bereits in Münster auftrat. Sie bringt beides mit, gut trainierte Stimmbänder und sehr bewegliche Tanzbeine. Grandios waren ihre Auftritte in der schwarzen Messe und die mit ihren männlichen Partnern. Bei der erst 25-jährigen Nina Links als Hope gefiel die vielseitige Bühnenausbildung. Sie wirkte sicher, dennoch etwas zurückgenommen. Als exaltiertes Blondchen unterstrich Ann-Christin Fray die schrille Seite der Erma vor allem im Sprechen allzu sehr, obwohl sie ihr Metier verlässlich beherrschte. Andreas Langsch, wie alle Damen ein Gast, imponierte nicht nur als Step-Meister, auch als gewitzter Billy. Der spielerfahrene Özgür Platte als agiler Moonface, Sebastian Kroggel als köstlich vertrottelter Lord Evelyn und Christian Hees in der Rolle des nie so recht zum Ziele kommenden Elisha sind alle drei beliebte Ensemblemitglieder in Schwerin, so auch Igor Storozhenko als Kapitän und als tuntiger Nummernboy und Zahlmeister Matthias Koziorowski. Einziges weibliches Ensemblemitglied war Ks. Petra Nadvornik als mütterlich egoistische Evangeline. 

Die große Ensembleleistung vervollständigten die Tänzer des Balletts zugleich als Sänger, darunter die vier Engel, ebenso wie der Chor, einstudiert von Ulrich Barthel, zugleich als Tänzer und Mimen, herausragend bei ihnen das Matrosenquartett.  

Es war ein praller Musicalabend, der in Schwerin gute Laune auslöste. Die Inszenierung läuft allerdings nach 16 Aufführungen bereits am 5. März aus. 

Fotos: Silke Winkler

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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