Titus Witt (Odysseus)

Wir wollen in Frieden leben!
Odysseus als Anwalt für Vertriebene in einer Inszenierung der „Taschenoper Lübeck“

Von einem Leben in Frieden träumt Odysseus, König auf Ithaka und sagenumwobener Held vor Troja, der nach zehn Jahren Kampf dort und zehnjähriger Irrfahrt danach sich in seinem Land wie ein Fremder fühlt und das selbst für Penelope, seine Gemahlin, wird.

Sie erwartet ihn zwar sehnlichst, denn mehrere Männer werben um sie, wollen allerdings weniger sie als den Thron des vermeintlich Verstorbenen gewinnen. Wie das ausgeht, wie Penelope doch noch ihren Odysseus erkennt, ist das eigentliche Happy End der Geschichte, bei Homer, in vielen Bearbeitungen des Stoffes und auch in der jüngsten Version, die die Taschenoper Lübeck, kurz TOL, zurzeit in den Kammerspielen des Theater Lübeck und in Kooperation mit ihm spielt (Premiere­: 15. Januar 2017).

Margrit Dürr, Intendantin der TOL, hat für das Libretto zu ihrem „Odysseus“ (für Kinder ab 6 Jahren und Erwachsene) einzelne Ereignisse der Irrfahrt genutzt, seine Reise aber anders motiviert. Er bricht auf, für plötzlich auf der Insel ankommende Fremde Raum zu suchen, da Ithaka sie nicht beherbergen könne. Findig wird so die aktuelle Flüchtlingssituation in das Sujet verwoben. Die Musik hat Julian Metzger konzipiert und eingerichtet. Sie basiert zum einen auf Claudio Monteverdis „Il ritorno d’Ulisse in patria“, dem dreiaktigen Dramma per musica, verwendet zum anderen klangmalende Bühnenmusiken der in Russland geborenen Komponistin Katia Tchemberdji. Auch sie hat durch eine eigene Kinderoper und Filmmusiken bereits in diesem Bereich gearbeitet.

Die beiden Stilebenen vertragen sich erstaunlich gut, da sie klanglich von fünf Spielern der „Lautten Compagney“, des renommierten Barockensembles aus Berlin, vernetzt werden. Sie sitzen im Hintergrund der Bühne und sorgen mit Violine, Zink, Theorbe, Gambe und Cembalo für ein lebendiges, zugleich ungewöhnliches Klanggeschehen. An markanten Stellen mischt sich noch eine barocke Posaune ein. Gespielt wird sie von Julian Metzger, der sie nicht nur stilsicher handhabt, der auch zugleich in vier Rollen als Sänger auftritt.

Tobias Hagge (Zyklop Polyphem), Titus Witt (Odysseus), Musiker, Foto: Sebastian BoleschTobias Hagge (Zyklop Polyphem), Titus Witt (Odysseus), Musiker, Foto: Sebastian Bolesch

Es ist wohl die bisher aufwändigste Inszenierung der TOL geworden. Sechs Sänger werden benötigt mit einem Auftritt der Fremden aus dem Zuschauerraum. Sie singen dabei ein fünfstimmiges Madrigal. Das Publikum erfährt somit hautnah von ihren Problemen. Odysseus (stimmlich kraftvoll Titus Witt) macht sich dann auf der Bühne zu ihrem Anwalt, nimmt von seiner Penelope (sehr geschmeidig Aurélie Franck) Abschied. In ihrem Abschiedsschmerz und zur Hilfe für ihren Gatten studiert sie mit dem Publikum einen Kanon als „Zaubermusik“ ein, der Odysseus in einigen Notlagen, etwa beim bösen Gesang der Sirenen, unterstützt, die Gefahren zu bestehen. Dabei und bei anderen Aktionen wird das mehr oder weniger junge Publikum immer wieder in die Handlung einbezogen.

Von Homer ist der Sirenengesang in schaurigen Vogelmasken geblieben, auch der Auftritt Polyphems (Tobias Hagge) und der der Circe ergeben aparte Szenen. Ein köstliches Männerterzett (Julian Metzger zusammen mit Tobias Hagge und Philipp Neumann) singt die Sirenen, auch die Trias der Polypheme. Sie sind hier, leicht albern, in ihrer Fresslust nicht zu stopfende Kühlschränke geworden. Circe (Karen Rettinghaus) dagegen hat einen berückend grotesken Auftritt als Miss Piggy. Schließlich werden die Gefahren der Seefahrt in Homers Skylla-und-Charybdis-Episode sehr bühnenwirksam und frei nach Jules Verne umgedeutet zu einer Bedrohung durch eine Riesenkrake (Figurenspielerin: Pauline Drünert).

Die Aufführungen der Taschenoper Lübeck sind sorgfältig vorbereitet, auch diese, nehmen Musik und Operngesang ernst. Der Klang der alten Instrumente, selbst barocke Manieren im Gesang stellen die Musik der Frühzeit der Oper stilgerecht heraus und verbinden sich anspruchsvoll mit dem Bemühen, junge Menschen in die Zauberwelt der Oper einzuführen.

Fotos: Sebastian Bolesch

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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