Timo Tank (Shylock), Rachel Behringer (Jessica)

„Ich will kein Reden, ich will mein Recht!“ (Shylock)
Premiere von Shakespeares „Kaufmann von Venedig“ im Kleinen Haus

Pit Holzwarth, Lübecks Schauspieldirektor, inszeniert gern, vor allem Shakespeare. Diese Spielzeit ließ er mit dem Kaufmann von Venedig beginnen, ein Stück, dessen Zentralfigur Shylock immer wieder in ihrer Bedeutung hinterfragt wird. Holzwarth lässt an seiner Deutung nicht lange zweifeln. Mit seiner Tochter Jessica auf dem Schoß sitzt Shylock reglos auf einem Stuhl. Die lodernden Flammen machen klar: Das ist ein höllisches Plätzchen.

Sie sitzen in einer von vier vertieften Flächen, die durch einen kreuzförmigen, nach hinten leicht aufsteigenden weißen Laufsteg gebildet werden. Oben wird die Szenerie durch ein weißes Kreuz abgeschlossen, Hinweise genug auf einen im christlichen Sinne gedachten Ort. Das Eingangsbild mit Vater und Tochter könnte rührend wirken, wenn nicht die steife, verschlossene Haltung wäre, die zunächst nicht zu deuten ist, und wenn vor allem nicht der Hintergrund mit Sängern und Sprechern an Mikrophonen wäre, die schemenhaften Figuren des Stückes. Sie zitieren in dieser hinzugefügten Prolog-Szene aus einem lateinischen Liturgietext, der Karfreitagsfürbitte für die Juden, und Ausschnitte aus Martin Luthers Schrift Von den Juden und ihren Lügen. Sie sind beide Zeugnisse für den Antijudaismus im 16. Jahrhundert, sowohl des katholischen als auch des protestantischen. Inszenatorisch ist das sehr klug gedacht, zugleich aber verstiegen, da wohl kaum ein Besucher die Texte zuordnen kann. Leider gibt auch das Programmheft keine Hinweise auf ihre Herkunft oder ihren Inhalt, um wenigstens im Nachhinein den Zusammenhang zu begreifen. Zudem kommen sie kaum verständlich von der Bühne, sind durch Mikrophone verfremdet, wie Stimmen aus einer anderen Welt.

Rundum engen glatte Wände den Raum, sind transparent oder farbig oder mit Projektionen den späteren Gegebenheiten angepasst (Bühne: Werner Brenner, Videos: Katharina Spuida-Jabbouti). So bleibt der Spielraum offen, lässt sich problemlos variieren. Charakterisiert wird die Szene durch aus dem Schnürboden herabsinkende Versatzstücke wie Neonröhren, Schiffsmodelle oder die Schatzkästchen, Portias Erbe. Sie deuten assoziativ auf Religionen oder Interieurs oder Stimmungen.

Jochen Weichenthal (Bassanio), Timo Tank (Shylock)Jochen Weichenthal (Bassanio), Timo Tank (Shylock)

Die Handlung des komplexen Stückes um die Verpfändung eines Pfundes Fleisch vom eigenen Herzen für einen großen Geldbetrag wird von über 20 Rollen auf 15 Figuren zusammengeführt, die insgesamt nur sechs Schauspieler darbieten. Teils müssen sie das Geschlecht wechseln. Das ist höchst virtuos gemacht, wird von allen Schauspielern in Perfektion gelöst. Matthias Herrmann etwa verkörpert gleich vier Charaktere, neben kleineren Partien wie Elias und Balthasar den Antonio, der sein Herz verpfändet, um seinem Freund Bassanio eine Heirat zu ermöglichen. Daneben spielt er die Portia, die reiche Erbin. Sara Wortmann agiert geschmeidig in zwei Dienerrollen, dem Bassanios und dem der Portia. Jochen Weichenthal gibt den Bassanio, die Prinzen von Marokko und Arragon, beides Bewerber um Portia, und Tubal, den Freund Shylocks. Jan Byl schließlich liefert als janusköpfiger Lorenzo, der Liebhaber Jessicas, schon bewegungsartig ein Kabinettstück, ist zudem der Doge von Venedig und Chus.

Allein Shylock und Jessica werden einsträngig dargestellt. Das hebt sie heraus, wie schon in der Eingangsszene. Während alle anderen „Verhältnisse“, Portias zu Bassanio beispielsweise, oder ihr Ring-Problem grandios gestaltetes Rollenspiel bleibt, ist das Schicksal des jüdischen Geldverleihers und das seiner Tochter innerlich verdichtet. Timo Tanks Shylock ist dabei von großer Kraft, ein zynisch gewordener Geldverleiher, der seine pekuniäre Macht erbarmungslos auslebt und verbittert auf sein Recht pocht, geprellt alles verliert, auch die Tochter. Ihr gibt Rachel Behringer jugendliches Ungestüm, auch durch ihre Saxophon-Einlagen. Im Gedächtnis aber bleibt vor allem die expressive Szene, in der sie um die Zuneigung ihres Vaters fleht, der sie hart abweist, weil sie sich in einen Christen verliebte.

Die Inszenierung packt, ist in sich stimmig, dazu mit stets passender Bühnenmusik (Achim Gieseler). Auch in der zweiten Veranstaltung am 25. September, nur zwei Tage nach der Premiere, gab es langen Applaus für einen großen Theaterabend.  


Fotos: Kerstin Schomburg

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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