Spielzeiteröffnung am Theater Lübeck mit einer hörenswerten „Ariadne auf Naxos“

War die Wahl von Ariadne auf Naxos zur Eröffnung der Spielzeit am Theater Lübeck wirklich klug? Sie ist sicher eine der ambitioniertesten Opern. Das bestätigt das wieder einmal gut gelungene Programmheft.

Außer einem Beitrag, in dem Lübecks Operndirektorin Katharina Kost-Tolmein die „Entstehung in Kürze“ umreißt, werden ausschließlich informative Stellen aus dem Briefwechsel der beiden Autoren zitiert, des Komponisten Richard Strauss und seines Textdichters Hugo von Hofmannsthal. Originaler und origineller kann zur geistreich verwobenen Handlung und zu den gescheiten Hintergründen nicht hingeführt werden. Aber gerade das, diese Vielfalt von Ansätzen und Verstrickungen, die die beiden Autoren im Briefdialog intensiv durchdenken, trägt auch das Scheitern vieler Inszenierungen in sich. Sie sind immer Annäherungen. Der Satiriker Wolfgang Körner urteilte bitterböse in seinem Opernführer, der sich der „einzig wahre“ nennt: „Ariadne auf Naxos kann man nicht erklären – man kann sie nur vermeiden.“

Auch die Lübecker Premiere (10. September 2016) hatte ein paar Probleme. Ein intensives Bemühen, die Handlung bunt und optisch einfallsreich zu gestalten, sei der Regisseurin Aurelia Eggers ebenso unterstellt wie der Kostümbildnerin Veronika Lindner, allemal dem vielseitigen Bühnenbild von Andreas Wilkens. Dennoch bleiben Fragen, vor allem die, warum bei so weitreichender Deutung durch Strauss und Hofmannsthal noch Weiteres hineingeheimnisst werden muss. Die Handlung ist schon arg verwickelt. Im Vorspiel springt sie munter umher, ist eine burleske Gesellschafts- oder Kunstposse im Hause eines reichen, künstlerisch unbedarften Grafen. Nie tritt er selbst auf. Ein Haushofmeister muss die groteske Weisung verkünden, dass die Abendunterhaltung für die Gäste, eine ernste Oper und ein heiteres Tanzspiel, gleichzeitig aufgeführt werden soll. Das spare Zeit. Seine Forderung bringt alle Akteure, vom Komponisten bis zu den Diven, auf den Plan und in Rage.

Der zweite Teil zeigt nun das Ergebnis, wie der Ernst der Oper Ariadne auf Naxos durch die Commedia dell’arte-Truppe konterkariert wird, beides verwoben mit der Frage nach dem Wert künstlerischen Schaffens. Das zweite, beide Teile verbindende Thema ist die Treue. Hofmannsthal nennt es „ein simples und ungeheures Lebensproblem“ und erläutert die Ambivalenzen in einem Brief an Strauss im Jahr 1911 so: „An dem Verlorenen festhalten … bis an den Tod – oder aber leben, … die Einheit der Seele preisgeben, … ein Mensch bleiben, nicht zum gedächtnislosen Tier herabsinken.“ Ariadnes Treue zu Theseus, der sie verlässt und zu dem sie doch bedingungslos steht, ist der eine Pol, die ewig suchende, lebens- und liebeslustige, sich bedingungslos hingebende Zerbinetta der andere.

Damit nicht genug. Die Opernfiguren sind im Vorspiel eitle Diven, werden erst in der Oper zu den Vertreterinnen der Standpunkte. Dieses Changieren fordert die Mitwirkenden heraus. Zerbinetta z. B. muss im Vorspiel kokett und flatterhaft sein, im zweiten dann doch zum „ernst“haften Kontrast zur Ariadne werden. Die wiederum mimt im Vorspiel eine hysterische Primadonna und muss in der Oper ihre großen Gefühle glaubhaft machen. Das Kunststück gelingt der Regie von Aurelia Eggers nicht immer. Gabriela Scherer als Ariadne ist blass im ersten Teil, im zweiten Teil dagegen in ihrer Seelenqual eine anrührende Verlassene. Die Regie mutet ihr allerdings zu, minutenlang und von den anderen Akteuren in der Szene unbeachtet im Blut auf dem Boden zu liegen. Sie hatte sich in ihrer Todessehnsucht selbst verletzt. Die Regie hat auch für die Reize der Zerbinetta keine rechten Einfälle. Sie ist akrobatisch im Agieren und in den Koloraturen, steht aber manches Mal nur herum. Warum aber der Bacchus, der göttliche Retter Ariadnes, solch ein Trottel von Mann sein muss, dazu in schrulligster Verkleidung ohne Charme, aber mit Melone, erklärt sich nicht.

Sicher ist es schwer, die vielen Partien, die das Besetzungsregister zählt, immer sinnvoll einzusetzen. Etliche gehören auch zum Personal beider Teile, wandeln sich jedoch in ihrer Bedeutung. Zudem führt die Lust der Regisseure, Eigenes zu kreieren, zu manch nicht plausibler Lösung. Eine davon ist der Einfall, den Opernteil als Badeurlaub mit einer Blinden (?) als Echo zu gestalten, ein anderer der Schluss, der sich von der Vorlage am weitesten entfernt. Dort reist Bacchus per Schiff an. Dass hier sein Gefährt eher ein fliegender Teppich ist, sei hingenommen, dass aber Ariadne auf ihm zum bitteren Ende allein sich bettet, Bacchus in der Kulisse verschwindet, weniger.

Zum Glück hat Aurelia Eggers eine großartige Sängerschar zu Verfügung, die die Schwierigkeiten der Partitur mit Bravour meistert, auch schauspielerisch imponieren kann. Im ersten Teil ist es vor allem Wioletta Hebrowska, die als Komponist begeistert. Erneut präsentiert sie sich nach ihrem Glanzaufritt als Rosenkavalier jetzt in einer zweiten Hosenrolle als großartige Sängerin und Darstellerin von Strauss-Partien. Ebenso herausragend ist die Ariadne der Gabriela Scherer mit einer wunderbar warmen Stimme. Seelenvolle Wendungen hat Richard Strauss für sie, und sie veredelt sie noch mit ihrer Stimme. In der dritten großen Partie, der der Zerbinetta, stellte sich die Amerikanerin Emma McNairy als neues Ensemblemitglied vor. Mit ihren halsbrecherischen Koloraturen in ihrer Arie „Großmächtige Prinzessin“ begeisterte sie das Publikum und erhielt minutenlang Szenenapplaus. Bei den Männern glänzt der kraftvolle Tenor Erik Fenton als Bacchus. Seiner Stimme wird alles abverlangt. Er löste es mit viel Strahlkraft, weniger mit Geschmeidigkeit ein.

Neben der Ariadne und dem Bacchus waren alle Rollen mit Ensemblemitgliedern besetzt. Das zeugt von dem hohen Niveau des Lübecker Theaters, auch die Tatsache, dass es den Bariton Steffen Kubach in der Sprechrolle des Haushofmeisters „verschwenden“ konnte, ihm „nur“ sein schauspielerisches Talent abverlangte. Gerard Quinn sang den Musiklehrer gewohnt sicher und voller Spielfreude. Gleiches lässt sich über Daniel Jenz als Tanzmeister sagen. Um Zerbinetta scharte sich ein treffliches Männerquartett mit Johan Hyunbong Choi (Harlekin), Manuel Günther (Scaramuccio), Taras Konoshchenko (Truffaldin) und Matthias Koziorowski (Brighella). Von besonderem, schon luxuriösem Wohlklang war das Trio der weiblichen Naturgeister mit Andrea Stadel als Najade, Annette Hörle als Dryade und Evmorfia Metaxaki als Echo. Und selbst die kleineren Partien waren mit Mark McConnell (Offizier), Grzegorz Sobczak (Perückenmacher) und Seokhoon Moon (Lakai) bestens besetzt.

Das Philharmonische Orchester wurde von GMD Ryusuke Numajiri geleitet, der mit diesem Dirigat seine letzte Spielzeit in seinem Lübecker Amt begann. Numajiri liegt weniger die ziselierte Feinarbeit, mehr das Zupackende. Trotz der von Strauss geforderten geringeren Besetzung klang das Orchester an einigen Stellen recht auftrumpfend, hatte aber vor allem im Intermezzo auch samtene Episoden.

Im Theater an der Beckergrube, das vom Baustil wunderbar zu diesem Werk passt, bekommt der Besucher aber eine Inszenierung zu sehen, die bunt, auch lebendig ist, vor allem ein besonderes Hörerlebnis bietet. Schade nur, dass die Inszenierung sich nicht auf den Dülfer-Bau einlässt, der nahezu gleichzeitig mit der Oper entstanden ist. 


Fotos: (c) Jochen Quast

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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