Lukas Anton (Majid)

Bewegende Uraufführung bei KUNST am KAI
Gestrandet - oder: was wird aus meinen Träumen

Eine Herzensangelegenheit sei dieses Stück, leitet Gabriele Pott die Uraufführung ihrer Jugend-Oper Gestrandet ein. Ja, das spürt, hört und sieht man in jedem Moment dieses starken, berührenden und hochaktuellen Werkes.

Lisa träumt vom blauen Meer – dort kann sie atmen, frei sein. Ayashas Meer ist schwarz, es verschluckt Kinder, manchmal sogar starke Männer. Wie können diese zwei Mädchen Freundinnen sein? Sie wollen es, stoßen aber an harte Mauern des Nichtverstehens, des Nichtertragens. Am Ende gelingt es ihnen doch, sie finden eine gemeinsame Sprache.

Das Leid der Gestrandeten berührt in dieser Oper, weil das Werk so nah an unserer Welt ist – es ist keine verstaubte, elitäre Oper, das Stück kommt direkt aus unserem Alltag, trifft aber um so mehr: Wenn Ayasha nur mit Schweigen antworten kann, wenn sie doch einmal von ihrer geliebten Familie erzählt – nicht ihr Leidensweg wird dann gezeigt, sondern das Wunderschöne, das sie verloren hat. Man kann den Verlust des Mädchens tief nachempfinden.

Der Mob umringt LisaDer Mob umringt Lisa

Es ist eine hohe Kunst, wie es dieser Oper gelingt, Welten zusammenzubringen: Leichter Humor kann neben schwerem Kummer stehen. Lieder des Orients erklingen mit der zeitgenössischen Opernwelt, die manchmal dem Musical freundlich zuwinkt, dann wird auch noch gerappt und alles geht zusammen, ohne dass Brüche verschwiegen oder beschönigt werden. Dieses Werk beweist, dass es möglich ist: Die Welten, die heute hier aufeinanderprallen, können beieinander, manchmal auch miteinander sein, ohne sich zu verleugnen. Sie können etwas Neues, Gemeinsames entstehen lassen und daran wachsen.

Die Schüler lesen heimlich aus Ayashas TagebuchDie Schüler lesen heimlich aus Ayashas Tagebuch

Das Stück ergreift Partei für die Gestrandeten und es ist gut, tut gut, dass sie hier eine starke Stimme bekommen. Fast zärtlich zeigt diese Oper ohne Kitsch oder Pathos die schönen Seiten des Orients: die weise Poesie der Dichter, ihre reiche, blumige Sprache, die weichen, traurigen Klänge der orientalischen Instrumente – der Ney, der Oud, den Zusammenhalt der großen Familien und wie sie feiern, singen, tanzen können! Sie zeigt hässliche Seiten unseres Landes: Das Gejammer der Saturierten, die Kälte eines wütenden Mobs. Und sie zeigt die hilflose Wut der hier Gestrandeten, ihre Angst, ihr Fremdsein, aber auch ihre Hoffnungen und Träume.

Ali Shibly (Bassam), Timo Maas (Lisas Vater), Kathrin Zukowski (Lisa), Lisa Ziehm (Lisas Mutter), Gabriele Pott (Komponistin und Musikalische Leiterin)Ali Shibly (Bassam), Timo Maas (Lisas Vater), Kathrin Zukowski (Lisa), Lisa Ziehm (Lisas Mutter), Gabriele Pott (Komponistin und Musikalische Leiterin)

Diese Uraufführung war für mich vollkommen. Es ist nicht relevant, ob die große Halle manchmal Worte verschluckt – es könnte keinen besseren Ort geben für dieses Werk als den Hafenschuppen: direkt am Wasser, so groß, dass die Fülle des Werkes atmen kann, aber auch rau und nackt. Es interessiert nicht, ob ein Sänger vielleicht etwas besser hätte machen können – jeder einzelne Mitwirkende hatte heute Abend etwas zu erzählen, konnte berühren. Wie viel Herzblut, Können und Enthusiasmus in diesem Ensemble zusammengefunden haben! Ein Extra-Applaus für die 40 Kinder, die hier singen, tanzen, spielen – sie waren richtig toll.

Auf dem Weg nach Hause pfeife ich die Melodie des Opernfinales vor mich hin. Ich will schnell noch in den Supermarkt. Da, am Gemüsestand, pfeift ein Mann denselben Ohrwurm. Ja, lasst uns die Lieder der Gestrandeten in die Welt tragen, es wird Zeit, dass sie gehört werden! Es gibt noch drei Vorstellungen: Heute am Sonntag, 4.9. und nächsten Samstag, 10.9. jeweils 16 Uhr + am 9.9 um 10.30 Uhr für Schulklassen – nicht verpassen! Das Stück spricht Kinder ab 8 genauso an wie Erwachsene.

Infos unter www.kunst-am-kai.de


Fotos: (c) Oliver König


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