Turbulenzen im Harem
Honeggers Operette „Abenteuer des Königs Pausole“ in Kooperation der Musikhochschule mit dem Theater Lübeck

Es ist die dritte Kooperation von Theater und Musikhochschule. Sie brachte ein Werk auf die Bühne, das 1930 einmal schockierend gewesen sein mochte, Arthur Honeggers Operette Die Abenteuer des Königs Pausole. Michael Wallner inszenierte sie und machte eine Farce daraus, ein turbulentes Wirrstück (Premiere: 20. Mai 2016).

Tiefsinn braucht man in ihr nicht zu suchen, denn die Operette wollte damals provozieren. Sex ist das Thema, als Lust gelebt und als Frust erlebt, besonders von König Pausole. Der hat einen Harem mit 365 Königinnen, eine für jeden Tag und eine für den zusätzlichen im Schaltjahr. Täglich verheißt das neue Lust. Taxis, sein Minister, wacht streng darüber. Doch bei Pausole herrscht Frust. Er kann nicht mehr. Und merkwürdig: Nur eine Tochter, Aline heißt sie, wurde ihm beschert. Sind viele Frauen das bessere Verhütungsmittel? Und diese eine Prinzessin brennt durch, verlässt die väterliche Trutzburg nach einem höfischen Tanzspektakel mit einem charmanten Wesen, das sie in ihrer Unaufgeklärtheit nur einfach sexy findet. Der König muss handeln, Aline finden. Auf Anraten des umtriebigen Pagen Giglio, der selbst in Aline verliebt ist, reist er inkognito aufs Land der Tochter hinterher. Dort sieht sich Aline mit der Situation konfrontiert, dass ihr Liebhaber eine Frau ist, die Tänzerin Mirabelle. Hilfe kommt dennoch durch den Pagen, der aber zugleich weitere Verwirrung stiftet. Denn er ist auch gefällig, so manche der gefrusteten Frauen zu beglücken, ein wahrer Deus ex Machina. Mit Rat und Tat stiftet er ein Happy End, wird selbst König, gewinnt natürlich Aline. So kann Pausole Ruheständler werden und fortan andere flatterhafte Schönheiten fangen – mit dem Kescher.

Die Handlung ist wenig logisch. Doch Wallner serviert sie munter und augenzwinkernd. Seine Minitruppe von Königinnen lässt allenfalls einen Wochenplan mit Sonntagsruh zu. Immerhin gibt es sechs Rollen (woher auch 359 weitere nehmen?) und für jede einen Namen und abgegrenzten Charakter. Im Programmheft erläutert er, dass ihre Unterscheidung dem männlichen Schubladendenken zu verdanken ist. Die Kindfrau ist dabei, die Hure, die Madonna, die Geisha, die Gefährtin und die Superfrau. Für jede hat Tanja Liebermann ein markantes Kostüm gefunden. Auch durch die Bühnenausstattung nähert sie sich dieser Sex-Klassifizierung, indem sie die symbolischen Schubläden in plastische Spielelemente umformt. Sie werden, variabel auf leichter Schräge angeordnet, zu Betten, zum Hotel oder zur Dusche. Bestechend ist zudem die Lichtgestaltung. Georg Marburg leuchtet die Bühne nicht einfach nur aus, er gliedert den Raum optisch und projiziert in einen schief hängenden Rahmen im Hintergrund treffende Bilder.

Das Vorrecht der jungen Darsteller ist ihre Spiellust. Wallner nutzt sie, auch wenn er sie nicht immer vor dem Chargenhaften bewahrt. Sie gehören teils dem Opernelitestudio an, bringen so Spielerfahrung und gut ausgereifte Stimmen mit. Eine, Camilla Ostermann, ist Sopranistin im Opernchor. Ihr sind gleich zwei Rollen anvertraut, die der Thierette, einer von Giglio Verführten, und die der Geisha-Frau Alberte. Dorothea Bienert wandelt sich von dem naiven Alinchen zu der liebeserfahrenen Prinzessin, die der König in spe im Finale in die Arme nehmen darf. Eine große Ausstrahlung hat Milena Juhl als gertenschlanke Tänzerin Mirabelle. Mit Charme singt sie ihr Couplet über die Travestie. Unter den Königinnen sticht Franziska Buchner hervor. Mit ausdrucksvollem Mezzo weiß sie sich als Diane, die Königin vom Dienst-Tag, auch körperlich zu präsentieren. Sandra Gerlach ist die aus dem Comic entsprungene Fanette, Franziska Blass die Dame Perchuque und die Gefährtin Gisèle. Lena Langenbacher spielt und singt die Kindfrau Nicole und Lisa Ziehm die als Madonna ausstaffierte Denyse.

Vier Herren stehen dem gegenüber, ein Student, zwei aus dem Opernelitestudio und als Profi Steffen Kubach. Er bewährt sich wieder mit spielerischer Leichtigkeit als begabter Komödiant. Sein Pausole hat trotz der Passivität der Figur Witz und Charakter, eine Rolle, die ihm sichtlich Spaß macht. Als Page Giglio wickelt Guillermo Valdés mit seinem wendigen Spieltenor nicht nur die Damen um den Finger. Seinen Widerpart, den Minister Taxis, gestaltet Grzegorz Sobczak mit gut sitzendem Bariton. In einer weiteren Rolle als Hotelier und Vater ist der kraftvolle Bass Juan Hurtado zu erleben.

Ein Problem blieb für den Zuschauer allerdings das Sprachverständnis, gerade bei einer Operette mit größerem Wortanteil und Wortwitz bedeutsam. Singen konnten sie alle dank gründlicher musikalischer Ausbildung, aber das Sprechen und Artikulieren im fremden Idiom war für einige der ausländischen Spieler noch nicht natürlich geworden.

Die orchestrale Begleitung aus dem engen, zugleich tiefen Orchestergraben ließ Wünsche offen. Die Musiker, Mitglieder des Philharmonischen Orchesters und Studierende der Hochschule, spielten unter Leitung von Ludwig Pflanz, eines versierten Praktikers. Aber zu sehr richtete er sein Augenmerk auf den Zusammenhalt von Bühne und Orchester und auf stets straffe Tempi. Dabei gingen dann Feinheiten der Partitur und Möglichkeiten zur sensiblen Gestaltung unter. Aber was sagt das, wenn das Publikum begeistert ist und lang applaudiert?

Solch eine Koproduktion hat allein deshalb einen einzigartigen Stellenwert, weil sie dem Nachwuchs professionell begleitete Erfahrung bringt. In der nächsten Spielzeit wird, wie zu erfahren war, diese Zusammenarbeit ausgesetzt, weil bei stets enger werdendem Etat das Theater nicht allein im größeren Maße mit Vorbereitung und Kosten belastet werden kann. Die Musikhochschule muss sich unter neuer Leitung wohl erst bewusst werden, welch besonderes, auch werbeträchtiges Ausbildungsangebot sie durch diese Kooperation besitzt. 

Weitere Aufführungen: 15.06.2016 und 21.06.2016

Fotos: (c) Olaf Malzahn

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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