Foto (c) Falk von Traubenberg

Tennessee Williams „Katze auf dem heißen Blechdach“ zeigt ihre Krallen
Psychodramatischer Schlagabtausch in den Kammerspielen

Die Katze auf dem heißen Blechdach, das Theaterstück von Tennessee Williams, oder wie er eigentlich heißt, Thomas Lanier Williams, hat einen sehr griffigen Titel.

Viele kennen ihn. Vor allem die Verfilmung hatte seinerzeit Furore gemacht. Zu sehen war eine frühe Version davon, was später und heute für das Fernsehen unentbehrlich ist und nahezu alle Programme füllt, eine Familiensaga. Bei Williams war das noch ein bitterböses Endspiel für einen Abend. Aber das Südstaaten-Kammerspiel fächerte schon ein Familienschicksal auf, bei dem es vor allem um Liebe oder Sex und Leidenschaft geht, auch um Macht, Missverstehen, Missgunst und gehörige Bosheit. Drei Paare sind es bei Williams, ein Elternpaar, das sich längst innerlich entfremdet hat, und zwei aus der Folgegeneration. Die Eltern sind durch ihre Namen als Big Mama und Big Daddy ausreichend charakterisiert. Leere, dem Jungsein nachgierende Einzelwesen sind sie, die sich ihre Welt nach eigenem Ermessen schaffen. Beide ziehen, eigentlich widersinnig, ihren jüngeren, dem Alkohol verfallenen Sohn Brick vor, auch dessen Frau Margaret, die sich verzweifelt um die Zuneigung ihres Mannes müht. Doch der ist schwul, was im Film damals im prüden Amerika, wohl auch in Europa, nicht darstellbar war. Brick selbst will seine Neigung nicht wahrhaben, seine Familie vertuscht sie und ergeht sich in bösen Anspielungen. Gooper, der andere Sohn, ist ein erfolgreicher, dennoch kleinkarierter Anwalt. Er lebt mit seiner affektierten und habgierigen Mae in einer Ehe zusammen, in der es nur um die Aufzucht ihrer Kinder geht. Vier sind es bisher, ein fünftes wird erwartet. Den Stolz auf ihre Mutterschaft trägt sie anmaßend vor sich her und quält damit ihre Schwägerin, die mit Brick keine Kinder hat, weil der sich verweigert.

Pit Holzwarth, Direktor für das Sprechtheater in Lübeck, hat das Stück für die Kammerspiele (Premiere: 29. Januar 2016) zu einem pausenlosen Zweistundenstück gehörig zusammengestutzt. In seiner Bearbeitung, die die Übersetzung von Jörn van Dyck nutzt, wird die Homoerotik Bricks nun zum zentralen Thema. Das hat Vorteile, dient vor allem, der Textfülle Herr zu werden. Ein anderer, eigentlich der Kürzung widersprechender Eingriff ist der, einen Teil der epischen Regieanweisungen sprechen zu lassen. Das ist nicht immer plausibel, wenn die Personen ihre Mimik oder das, was sie gerade tun, noch einmal verbalisieren. Das soll der Verfremdung dienen. Für die epischen Einwürfe werden teils Mikrophone genutzt, teils geht der Dialogtext unmotiviert in die separierenden Zusätze über. Auf jeden Fall erzeugt das Spiel dadurch einen Schaucharakter, der an eine makabre, psychoanalytische Sezierstunde denken lässt.

Andere Themen wie der Umgang mit der Krebskrankheit von Big Daddy und das anstehende Erbe verschärfen den Konflikt und machen die Familienfeier zu dessen 60. Geburtstag zu einem brutal entblößenden Fanal. Es wird seelisch und körperlich verletzt und gedemütigt. Holzwarth inszeniert das vehement und drastisch. Werner Brenner hat ihm dafür eine Szene gestaltet, die wie ein runder, glühender Boxring anmutet. Auch an einen Teller kann man denken mit einem Tortenrest darauf. Der ist Auftrittsstück oder Versteck. Lichtbänder rundum und eine Spiegelfläche darüber erinnern zudem an ein triviales, erotisches Kabinett und betonen den sexuellen Kontext. Zusätzlich wird die Szene durch Projektionen (Katharina Squida-Jabbouti) erweitert, die die bedrängende psychische Anwesenheit eines verstorbenen Partners von Brick evozieren. Auch das Akustische (Achim Gieseler) ist (zumeist) dezent einbezogen. Allerdings verzichtet Holzwarth nicht auf einen schrillen Rockmusikauftritt. Diesmal zeigt Jochen Weichenthal, neu im Ensemble und in seiner zweiten größeren Rolle, dass er auch gesanglich etwas zu bieten hat. Er spielt den heruntergekommenen Sportreporter wie einen späten Collegeboy, sacht und schwer aus der Reserve zu holen, in seinen Explosionen aber hart und dennoch verletzlich.

Marlène Meyer-Dunker ist als Margaret die Katze, die fauchen und kratzen, aber auch sanft sich anschmeicheln kann und alle Demütigung aus Liebe erträgt. Großartig bewältigt sie die lange Anfangsszene mit den sich ständig ändernden Gemütszuständen. Dagegen hat es Nadine Boske als ihre Schwägerin Mae schwer. Einsträngig ist ihre Rolle als eigensüchtiges Muttertier. Und auch Jan Byl als Gooper, der von seiner Frau gelenkte Gatte und ungeliebte ältere Sohn, muss bis zur Karikatur überzeichnen. Beider Agieren bringt das Stück an den Rand der Groteske, zumal auch die muntere Kinderschar das Schrille steigert. Susanne Höhne stakst wieder gekonnt als rothaarig aufgetakelte Big Mama über die Bühne, ist exzentrisch und weinerlich, berechnend und brutal, wie es die Rolle fordert. Andreas Hutzel schließlich bringt wieder einen großen Auftritt als Big Daddy. Vereinzelung und Lebensekel sind ihm ins Gesicht geschrieben. Körperlich ist er aber trotz seiner (schlechten) gräulichen Haartracht zu vital und lebendig. In zwei kleineren, stark zusammengestrichenen Rollen runden Peter Grüning als Doktor Baugh und Herbert Kriesel als Reverend Tocker die starke Ensembleleistung. Langen Beifall gab es bei der Premiere. 

 



Fotos: Falk von Traubenberg

Termine: Die Katze auf dem heißen Blechdach von Tennessee Williams

 

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

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