„Welterbe-Nominationsgebiet“ – Ausschnitt aus der offiziellen Kartierung im Management-Plan

30 Jahre UNESCO-Welterbe „Altstadt von Lübeck“
Personen, Fakten und Gedächtnis

Na so was: 30-jährige Wiederkehr der Aufnahme der Lübecker Altstadt in die Welterbe-Liste der UNESCO! Offenbar eine Gelegenheit, sich darüber in festlicher Stimmung auszulassen – so geschehen zu Neujahr 2017 in unserer Lokalzeitung.

Das Beste an der üppigen Eloge in den LN anlässlich des 30sten dürfte das Interview gewesen sein, das die Cottbuser Uni-Lehrstuhl-Inhaberin Frau Prof. Albert dem LN-Mitarbeiter Dr. Intelmann gewährte. Der zentrale Satz sei hier zitiert. Auf die Frage, ob der Welterbe-Status für Lübeck ein Fluch oder ein Segen sei, antwortete Frau Albert: „… Ein Fluch könnte es werden, wenn man das Siegel nur noch für ökonomische Zwecke nutzt.“ Ihr ist dabei wohl bewusst gewesen, dass man mit solchen Sätzen in Lübeck viele nette Leute verärgert – also fügte sie in dosierter Ironie hinzu: „Aber ich denke, das tut Lübeck ja nicht.“

Welterbe-Forscherin Frau Albert dürfte nicht verborgen geblieben sein, was LTM-Chef Christian Martin Lukas am 23. Dezember (wiederum in den LN) als „sein breit aufgestelltes“ 30-Jahre-Jubiläums-Programm* vorstellte. Frau Albert: „Es ist ja nichts gegen Tourismus zu sagen, aber man muss versuchen, das Konzept im Rahmen der UNESCO-Konvention nachhaltig zu gestalten. Und dann kann man nicht mehr Tausende von Leuten durch die Städte jagen, ohne ihnen zu vermitteln, dass es etwas zu schützen gibt.“ Wie Lübeck sich in dieser Hinsicht geschlagen habe, wollte Interviewer Intelmann wissen. Frau Albert: „Das kann ich nicht beantworten“, gab aber zu bedenken, man solle „die in der Konvention formulierten Bedingungen anschauen und sich im Rahmen der Konventionen bewegen.“ Deutlicher geht’s kaum: „Was hat die Welterbe-Kommission eigentlich gewollt?“ 

Umgang mit der Altstadt – Wohnen in der Altstadt: Formsteine in der Ausstellung im BurgklosterUmgang mit der Altstadt – Wohnen in der Altstadt: Formsteine in der Ausstellung im Burgkloster

Welterbe? Was soll das sein?

Der Text, der das hoffnungsfroh stimmende Interview umrahmt, ergeht sich dann leider im tiefen Tal des Ungefähren, Falschen und Vergessenen. „30 Jahre Welterbe“ kommt da unten mitnichten ins richtige Licht. Was und wo ist eigentlich „Welterbe“ in Lübeck und was ist damit als „Gesamt-Denkmal“ zu erhalten und zu schützen? Mit „Silhouette“ und „Grundriss“ wird nur der vom damaligen Denkmalamtsleiter unzureichend formulierte Antragstext zitiert, der noch beim 2. Versuch 1987 von der ICOMOS**-Kommission nicht ganz kritiklos hingenommen wurde. Wie sehen aber die Meinungen aus, die über „Welterbe Lübeck“ anlässlich des 30sten geäußert wurden? Es scheint ein ungeschriebenes Gesetz zu sein, dass zuvörderst Repräsentanten hoher Ämter, die schon berufsbedingt gern Auskunft über ihr segensreiches Wirken erteilen, um ihr „statement“ gebeten werden. So entstehen vermeidbare Schieflagen.

Man hätte mehr erfahren können, wenn man der Stimmung in den 1970er, frühen 80er Jahren dem Unbehagen über den Zustand unserer gebauten Umgebung nachgespürt und auf die Pioniere der Altstadt-Wiederbelebung hingewiesen hätte, eine Vielzahl junger Leute und Familien, die durch Kauf und denkmalbewusste Sanierung historischer Häuser die verunsicherte Denkmalpflege auf Trab brachten und bereits mittelfristig das katastrophale Image der Altstadt ins Gegenteil drehten. Die städtische Sanierung durch treuhänderisch beauftragte Baugesellschaften als Kontrast-Programm zum Engagement der „privaten“ Vorreiter war derzeit noch in den Anfängen.

Im Bild eine 1981 aufgedeckte Wandstruktur im Haus Koberg 2, Foto J. Chr. HolstIm Bild eine 1981 aufgedeckte Wandstruktur im Haus Koberg 2, Foto J. Chr. Holst

Für die Genese des Welterbe-Gedankens sind drei „Aktiv-Posten“ wichtig gewesen: Ab 1975 die eben erwähnte Gemeinschaft von „Privat“-Sanierern (Althaus-Sanierer-Gemeinschaft), zweitens die mit ihnen verbundene „Bürgerinitiative Rettet Lübeck BIRL“, die 1975 aus Protest gegen Abbruchwellen ohnegleichen entstand und erst später aus rechtlichen Gründen Verein wurde, sowie drittens, von zentraler Wichtigkeit, das „Forschungsprojekt Innenstadt“ der TU Hannover von 1980-1985. Junge Wissenschaftler wie Jens Christian Holst, Rolf Hammel, Michael Scheftel, Margrit Christensen, Michael Frontzek u. v. a., stellten durch akribische Forschung in historischen Häusern und in den Urkundenbeständen der Archive unser Wissen über Lübecks bauliches Erbe auf stabile Beine. Ihnen war bald klar, dass die den ganzen Stadthügel überspinnenden mittelalterlichen Baustrukturen Welterbe-Format besitzen.

Der damalige BM Knüppel erkannte den fahrenden Zug und setzte sich hinein, das ehrt ihn, aber wir haben ihn auch dazu gebracht (was er auf Nachfrage auch mal zugibt): Auf seine Bitte hin und auf Kosten der Stadt sind dann zu den Hansetagen in Zwolle, Kalmar und Lübeck umfangreiche Ausstellungen zum Thema Erhaltung und Sanierung historischer Bausubstanz ausgearbeitet und gezeigt worden – gedacht als Überlebenshilfe für hansische Altstädte. Für die Stadt Lübeck, die sich mit „unseren“ Ausstellungen schmückte, war Altstadtsanierung bereits ein touristisch verwertbares „Alleinstellungsmerkmal“.

Kahlschlag im UNESCO-Welterbe-Areal 1994 – ab 1996 „Königpassage“. Foto: M. FinkeKahlschlag im UNESCO-Welterbe-Areal 1994 – ab 1996 „Königpassage“. Foto: M. Finke

Ob aber BM Knüppel in seiner Amtszeit immer das leuchtende Vorbild auf dem Felde Denkmalpflege/Welterbe war, sei dahingestellt: Unter ihm ging der Investoren-Deal für die LN-Passage (das ist die heute öde dahin siechende „Königpassage“) ohne vorherige Beteiligung der Denkmalpflege über die Bühne und reihenweise wurden in St. Jürgen und St. Gertrud bedeutende Villen abgebrochen, man denke nur an die Cruse-Villa in der Eschenburgstraße. Korrekturbedürftig ist auch die Angabe, Lübeck (also BM Knüppel) habe schon 1980 „bei der UNESCO angeklopft“ – richtig ist, dass ICOMOS zunächst Stralsund vorgeschlagen hat, woraufhin von westdeutscher Seite Lübeck ins Gespräch gebracht wurde – als eifersüchtelnde Antwort im Sinne des „Gleichheits“-Prinzips. Dass dann Lübeck das Rennen machte (wegen allzu dürftiger Antragstexte erst 1987) liegt allein daran, dass die DDR-Staatsführung ihre Zustimmung für Stralsund versagte, nicht nur aus finanziellen Gründen, sondern aus begründeter Angst vor den kritischen Blicken einer internationalen Öffentlichkeit. 

… eine Herzens-Angelegenheit?

Kahlschlag in der oberen FleischhauerstraßeKahlschlag in der oberen FleischhauerstraßeUnerfindlich auch, was Bausenator Boden in den Lobeshymnen für Welterbe-Förderer zu suchen hat – und dann soll er auch noch gesagt haben: „Die Altstadtsanierung war immer eine Herzensangelegenheit in Lübeck.“ Da lachen ja die Hühner, zumindest ist das Wort „immer“ so falsch, dass es richtig weh tut. Typisch auch, dass Boden den Welterbe-Status als „Auszeichnung“ sieht, als ob es um einen 1. Preis für die besten Welterbe-Fischbrötchen ginge. Scharfe Kritik verdient auch seine von ihm „politisch beförderte Förderwürdigkeit“ von städtischen Bauvorhaben: Gemeint ist das Hereinholen von „Sondermitteln des Bundes für Welterbestätten“, die per se mit Denkmal-Erhaltung nichts zu tun hatten, wohl aber die Möglichkeit eröffneten, auf normalem Wege nicht finanzierbare städtische Bau-Wünsche zu realisieren, beispielsweise Durchbau des überaus bedeutenden Architektur-Denkmals Crane-Konvent von 1284 zu einem Annex der Ernestinenschule oder Neubau des sich privatwirtschaftlich darstellenden, tatsächlich aber von der Stadt „gepuschten“ Hansemuseums (hier wurde Gott sei Dank die Förderung verweigert, aber die Possehl-Stiftung stand bereit). Ebenso eigentümlich Bodens Einlassungen über ein Welterbe-Zentrum: Da geht es nicht um „eine Idee“ (womöglich sogar wieder „seine“?), sondern um eine mit dem Welterbe-Status 1987 übernommene Verpflichtung.

Die Frage, weshalb die viel jüngere Doppelpack-Welterbestätte Stralsund-Wismar (Welterbe seit 2002) die geforderten Welterbe-Zentren längst hat, Lübeck aber nicht, ist einfach zu beantworten: Politik und Bauverwaltung haben die Verbindlichkeit der Auflagen jahrzehntelang selbstherrlich ignoriert. – Dass auch BM Saxe über „Lübeck als Welterbe“ nichts Substantielles sagen konnte, ist vielleicht ganz gut. Es ist nicht sein Ding. Ihm wie auch Senator Boden wurden vom LN-Vertreter keine weiterführenden Fragen vorgelegt. Eine Frage hätte man sich beispielsweise zum nachdrücklich belobigten „Grabungsschutzgebiet“ als Teil der Welterbe-Nomination „Altstadt von Lübeck“ gewünscht: Was sagt man, wenn die Archäologen im Gründerviertel den allergrößten Teil der erhaltbaren (und womöglich in Neubauten integrierbaren) mittelalterlichen Kellermauern abräumen lassen und damit das steinerne Gedächtnis endgültig zerstören?

Abbruch der Brauhäuser Engelswisch 17-21Abbruch der Brauhäuser Engelswisch 17-21Bedauerlicherweise fand jenseits der Floskeln der Politiker und Verwaltungschefs keiner der um Lübecks Altstadterhaltung verdienten Köpfe Erwähnung. Das ist zutiefst ungerecht: Der geistige Vater der Altstadt-Rehabilitierung, der Amtsleiter und spätere Bausenator Hans Dieter Schmidt (1985) hätte an erster Stelle stehen müssen: Er glaubte an die Wieder-Erstehung der Altstadt und an ihre zukünftige zentrale Rolle in Lübecks Stadtentwicklung. Ungerecht das Ausklinken der Initiativen, die ja weiterhin existieren (mich, M. F., als einzigen Kritiker einzuschieben, der als quasi autistischer Solist „alles anders sieht“, ist eine weitere Ungerechtigkeit gegenüber vielen anderen „anders Sehenden“). Geradezu unentschuldbar auch, wie oben erwähnt, dass die Bauforscher und Historiker vom so folgenreichen „Forschungsprojekt Innenstadt“ schlicht vergessen wurden. Und auch die Museumsleute haben sich in den 1970er/80er Jahren nicht gescheut, das Altstadt-Revival zu begleiten und zu fördern, besonders intensiv tat dies Björn R. Kommer. Ohne dieses Zutun vieler, ohne dieses Engagement, das aus tiefem Unbehagen über den banausenhaften Umgang mit der Altstadt resultierte, wäre die „UNESCO-Welterbestätte Altstadt von Lübeck“ nicht zustande gekommen.

Einige Dinge wurden gelernt …

Die Nominierung 1987 hat schließlich in den befassten Ämtern und Dienststellen doch ein wenig Neu-Orientierung bewirkt. Nicht überall, wie man weiß – die Verkehrslage Innenstadt leidet bis heute weiter unter der amtlich breitgesessenen „Das-geht-nicht-anders“-Mentalität. Es gab dann gute Sanierungsfachleute, weil man mehr Zeit zum Abwägen hatte, denn nach der Wende 1989/90 wurde das Geld im Osten gebraucht. Weniger Geld hilft manchmal mehr. Es gab sogar Denkmalpfleger, die ihre Arbeit offensiv auch als Teil wohlverstandener Stadtbildpflege betrieben. Und es gab erstmals einen Stadtbildpfleger im Bauamt, nämlich Achim Körber, der nicht gegen, sondern im besten Sinne auch für und mit der Denkmalpflege zusammen arbeitete.

Von Privatleuten sanierte Diele, um 1976Von Privatleuten sanierte Diele, um 1976Es gab auch den ersten „Welterbe-Beauftragten“ Antonius Jeiler, der den über Jahrzehnte verschlampten, seit 2005 dann obligatorischen „Management-Plan“ fürs Welterbe 2011 fertig stellen konnte. Gern sei zugestanden, dass dies zu Zeiten geschah, als Senator Boden bereits amtierte und er Jeiler zu ebendieser Aufgabe abstellte. Es musste offenbar etwas passieren. Die Welterbe-Kommission kann auch deutlich werden. Kurz: Für ein gründliches „Memorial“ im Rahmen eines Welterbe-Geburtstags bedarf es mehr als nur wohlwollender Statements der von Amts wegen zuständigen Persönlichkeiten, die schon bei oberflächlicher Betrachtung wenig mit der Wertschätzung und mit der auf langfristige Erhaltung angelegten Pflege des Denkmalbestands zu tun haben – noch weniger mit der Einschätzung der Angemessenheit der auch von der UNESCO befürworteten Vermarktung des Welterbe-Status***.

Damit endet dieser Beitrag. Aber nicht ohne Trost: Das Jubeljahr währet noch lang und von berufener Seite werden noch viele schöne Lobeslieder angestimmt werden. Man muss auch dies ertragen können.

*vgl. www.ploetzlich30.de

** ICOMOS = international council of monuments and sites: = die Denkmalpfleger-Vereinigung, die die UNESCO-Welterbe-Kommission fachlich berät.

***siehe UNESCO-Konvention „Article 15 (Fundraising zugunsten des Welterbes), Satz 2 d: „… funds raised by collections and receipts from events organized for the benefit of the Fund”. Gemeint  ist ein Hilfsfonds unter der Ägide der UNESCO – aber setzt der Artikel denn nicht Lübeck in die Lage, Abgaben pro Denkmalpflege von jenen Wirtschaftszweigen zu erheben, die nachweislich vom Welterbe-Status profitieren?

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