„Mit Gelassenheit die ‚Strategie 2039‘ weiter diskutieren“
Gedankenaustausch über die Zukunft der Gemeinnützigen

Rund 200 der 1850 Mitglieder der „ältesten Bürgerinitiative“ Lübecks trafen sich am Dienstag, 24. Mai, zu einer Diskussion über Visionen und Handlungsfelder für eine gedeihliche Entwicklung bis zum 250. Geburtstag am 27. Januar 2039.

Während im Jahresverlauf regelmäßig wiederkehrende Treffen wie die „Beratungsversammlung“ oder das „Stiftungsfest“ derzeit nur von wenigen Mitgliedern besucht werden, war das Interesse an einer inhaltlich-strategischen Diskussion deutlich größer. Direktor Titus Jochen Heldt zeigte sich am Ende der 2 ½ stündige Versammlung erfreut und überrascht: „Die große Teilnehmerzahl und der ergebnisreiche Gedankenaustausch sagen mir, dass wir etwas Neues und Gutes begonnen haben, das wir gemeinsam fortsetzen sollten.“

Vision

Wiederholt wurde im Dialog der Mitglieder mit der Vorsteherschaft zum Ausdruck gebracht, dass es viel leichter fällt, operativ zu reflektieren als strategisch. Sich dieses oder jenes zukunftssichernde Projekt konkret auszumalen, liegt näher, als abstrahierend darüber nachzudenken, wo die Gemeinnützige in Lübeck heute steht und welche Ideen sie beflügeln und anspornen sollten.

Am Ende eines Diskussionsprozesses, dem die Vorsteher von Herbst 2014 an für ein Jahr sich verschrieben, stand eine konsensuale Formulierung, ein Satz, den jetzt alle Vorsteher mittragen: „Die aktive Bürgerschaft übernimmt Verantwortung für unsere lebendige Stadtgemeinschaft.“

In der Diskussion mit den Mitgliedern über diese als „Vision“ gekennzeichnete Formulierung wurden Fragen und Kommentare geäußert, die Entstehung, Reichweite und Bedeutung des ganzen Satzes und seiner Elemente betrafen. Ist es ein Satz, mit dem diese Institution, eine „diverse Institution“, sich intern ausrichten, orientieren will, oder handelt es sich um ein Programm der Gemeinnützigen für Lübeck, um eine nach außen gerichtete Handlungsanleitung? Ist der Begriff „Bürgergesellschaft“ nicht „exklusiv“, ausschließend, und müsste ersetzt werden durch das Wort „Stadtgesellschaft“? Spricht aus der Vision der Vorsteher nicht ein „paternalistisches“ Verhältnis der Gemeinnützigen zur Stadt, das eher ins 19. Jahrhundert gehört und dem heutigen Statuts des „Bürgervereins“ unangemessen ist?

In einer wertenden Schlussbemerkung wünschte sich ein Mitglied von einer so alten und erfahrenen Institution mehr „Gelassenheit“ in Bezug auf die eigene Zukunft. Die „Vision“, das Motto, betone eine ernste Selbstverpflichtung, die die Gemeinnützige nicht nötig habe. Dasselbe Mitglied wünschte sich diese Gesellschaft als einen „Ort“, an dem „Unruhe“ zugelassen wird, an dem Experimente erwünscht sind.

Ein Mitglied sprach von der „Unruh“ in einer Uhr, ein anderes entwickelte die Vision der Gemeinnützigen als „Ermöglichungsgesellschaft“. Auch fiel die Vokabel „Aktionsraum“. Bürgervereine hätten keine „Markterwartung“ zu berücksichtigen, sie dürften etwas ausprobieren.

Handlungsfeld I

Die 15 Einrichtungen der Gemeinnützigen sollen nach dem Wunsch der Vorsteher „gestärkt“ werden, und man will die 37 Tochtergesellschaften „unterstützen“. Die Vorsteherschaft hob in Bezug auf die Einrichtungen hervor, man strebe an, diese untereinander zu vernetzen. Auch müsse es gelingen, die in den eigenen Schulen und Weiterbildungseinrichtungen tätigen Dozenten zu Botschaftern der Gemeinnützigen zu machen. Sie stünden im täglichen Kontakt mit einer Kundschaft, die als potenzielle Zielgruppe für eine Mitgliedschaft zu bewerten ist.

Was die Tochtergesellschaften, wie etwa die gemeinnützigen Ortsvereine betrifft, so wurde von Mitgliedern unter anderem der Wunsch geäußert, die Lübeckischen Blätter als „Transmissionsriemen“ zu nutzen und eine Art „Aktionsbörse“ einzurichten, um den Bedarf an ehrenamtlicher oder ideeller Unterstützung innerhalb der Gemeinnützigen öffentlich zu machen.

Ins Grundsätzliche zielte der Hinweis eines Mitgliedes bezüglich des Verhältnisses der „Einrichtungen“ und „Tochtergesellschaften“ zur „Mutter“: In einer strategischen Diskussion müsse auch die Frage gestellt werden, was Einrichtungen und Töchter für die Gemeinnützige leisten. Ebenfalls ins Grundsätzliche zielte die Frage, ob eine ehrenamtlich tätige Vorsteherschaft überhaupt über die „Manpower“ verfüge, ihre ehrgeizigen Ziele des „Stärkens“ und „Unterstützens“ umzusetzen. Sei es nicht vielleicht sinnvoller, einen hauptamtlichen Geschäftsführer einzustellen?

Handlungsfeld II

Nach 1945 hat die Gemeinnützige begonnen, das Stiftungswesen als Handlungsfeld zu entwickeln. Derzeit betreut sie 35 unselbständige Stiftungen.

In der Bundesrepublik werden bis 2024 ca. 2 Billionen Euro vererbt werden, das entspricht 20 Prozent aller privaten Vermögenswerte. Institutionen wie die Gemeinnützige seien, so die Vorsteherschaft, ein guter Ort, um ein Stiftungsmanagement zu entwickeln, das potenziellen Stiftern nicht nur bei formalen Fragen beratend zur Seite steht, sondern auch zukunftsweisende, für die Stadtgemeinschaft sinnvolle Stiftungsziele aufzeigt. Ein zentrales Anliegen soll es zukünftig sein, Projekte zu entwickeln, für die dann Stifter gesucht werden.

Aus dem Kreis der Mitglieder kam der Vorschlag, eine informelle Einrichtung wie „Die junge Gemeinnützige“ anzuregen. In diesem Kreis könnten Zukunftsprojekte diskutiert und entwickelt werden.

Handlungsfeld III

Dass die Gemeinnützige Dialoge fördert und Initiativen anstößt, ist mit Sicherheit dasjenige Handlungsfeld, das außerhalb der Gesellschaft am stärksten wahrgenommen wird und als eigentlicher Markenkern gilt. Dienstagsvorträge wöchentlich im Winterhalbjahr, Mittwochsbildung und Litterärische Gespräche monatlich, sind regelmäßig wiederkehrende Dialogformate, Stadtdiskurs und Salons sind temporäre Veranstaltungen, nicht zu vergessen der ideelle und materielle Einsatz der Gemeinnützigen bei Aktionen, die mit anderen Akteuren gemeinsam konzipiert und realisiert werden, wie KlopfKlopf oder der Interkulturelle Sommer.

Einleitend mit der Bemerkung „Das Image der Gemeinnützigen muss sich ändern“, kam es zu einer lebhaften Debatte der Mitglieder über das Erscheinungsbild des medialen Flaggschiffes, die Lübeckischen Blätter. Diese seien „in die Jahre gekommen“, „alt geworden“, müssten ein „junges Aussehen“ erhalten. Mehrere Mitglieder bekannten, sie seien Mitglieder der Gemeinnützigen geworden, weil sie die vierzehntägliche Zeitschrift wegen der inhaltlichen Beiträge schätzen gelernt hätten. Und diese Wertschätzung halte an.

Ein Mitglied machte den Vorschlag, eine gestalterisch runderneuerte Zeitschrift kostenfrei für jeweils drei Monate an ausgewählte Zielgruppen zu verteilen, man solle in diesem Bereich investieren, es lohne sich. Ein anderes Mitglied gab zu bedenken, dass junge Menschen mit einem Printmedium allein nicht mehr zu erreichen seien, man solle in Internetformate investieren.

Zusammenfassung

Ein erstes Ergebnis des Veranstaltungsabends: Der begonnene Dialog wird fortgesetzt werden.

Die durch den Abend mäandernde Frage, ob die Gemeinnützige „junge“ Menschen erreichen und motivieren könne zu gemeinnütziger Tätigkeit, blieb kontrovers. Erfahrende Mitglieder betonten, eine aktive Mitgliedschaft käme in der Regel erst ab einem Alter von 50 aufwärts in Frage.

Es fehlte aus dem Kreis der Mitglieder aber auch nicht an Ermutigungen, erfolgreich durchgeführte Veranstaltungsformate als Hinweis darauf zu nehmen, dass es sehr wohl gelingen kann, auch ganz junge Menschen, Schüler zum Beispiel, an die altehrwürdige Institution heranzuführen.

Es fielen eine Reihe von Stichwörtern, die zukünftig diskutiert werden sollten: Bildungsgerechtigkeit, Chancengleichheit, Ausländerbeteiligung, Integration. „Bildung“ sei in der Gemeinnützigen verengt auf kulturelle Bildung, es fehle an Ansätzen zu naturwissenschaftlicher Bildung. Ohne Antwort aus der Versammlung blieb schließlich der Satz: „Wenn mich Interessierte fragen: ‚Lohnt es sich für mich, in die Gemeinnützige einzutreten?‘, was soll ich dann kurz und knapp sagen?“ 

Titelbild: Louise Wolf - Originalvorlage für die Denkmünze der Gesellschaft zur Beförderung gemeinnütziger Tätigkeit zu Lübeck

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