Herbert Blomstedt, Foto: (c) Olaf Malzahn

Fünftes Saisonkonzert der Elbphilharmoniker
Ein sinfonisches Fest mit einem 90-jährigen Dirigenten

Es geht nicht anders, Biografisches gehört in diesen Konzertbericht hinein. Denn der anrührende Erfolg beim fünften Saisonkonzert der Elbphilharmoniker in Lübeck (12. Januar 2018) beruht nicht allein auf der hohen musikalischen Leistung des Orchesters. Der Respekt des Publikums, das minutenlang im Stehen applaudierte, galt vor allem dem Dirigenten Herbert Blomstedt, der 1954, also vor 63 Jahren, in Stockholm debütierte.

Außergewöhnlich ist sein Lebensweg. Er wurde Chef einiger skandinavischer Orchester, leitete die Staatskapelle Dresden noch zu DDR-Zeiten, ging nach Amerika zur San Francisco Symphony. Von 1996 bis 1998 war er Chef beim NDR Sinfonieorchester, mit dem er bis heute regelmäßig als Gastdirigent arbeitet. Jetzt war er eingeladen, das einjährige Jubiläum der Elbphilharmonie mit dem Orchester zu feiern, das dem neuen Hamburger Wahrzeichen den Namen verdankt. Ganz unaufwändig, und das passt so ganz zum Wesen dieses Mannes, waren für den Anlass keine teuren Musikstars eingeladen. Stattdessen begnügte man sich mit zwei Sinfonien, wodurch das Orchester selbst in den Vordergrund gestellt wurde. Es waren Wolfgang Amadeus Mozarts Es-Dur-Sinfonie KV 543, die erste aus dem sinfonischen Triptychon des Jahres 1788, und Anton Bruckners d-Moll-Sinfonie in ihrer selten gespielten Urfassung, seine Dritte, Richard Wagner gewidmet. Dieses Programm nun wurde in Lübecks guter Konzertstube am Tag nach dem Hamburger Ereignis wiederholt.

Herbert Blomstedt, Foto: (c) Olaf MalzahnHerbert Blomstedt, Foto: (c) Olaf Malzahn

Allerdings ist Herbert Blomstedt nicht irgendein Dirigent, nicht nur dadurch herausstechend, dass er noch bis ins hohe Alter dirigiert. Das taten andere auch, Günter Wand zum Beispiel, vor Blomstedt Chef des Orchesters, das damals noch schlicht „NDR Sinfonieorchester“ hieß. Ihn zeichnet vielmehr aus, dass er sich den Hamburger Musikern in einem hohen Maße verbunden fühlte und als Gastdirigent immer wieder zurückkehrte, und das, obwohl er in Hamburg nur eine kurze Zeit war, bevor er als Nachfolger von Kurt Masur zum Gewandhausorchester nach Leipzig wechselte. Christiane Irrgang, Redakteurin und Autorin bei NDR Kultur, zitiert den Schweden in einem NDR-Beitrag (23.6.2015) so: „Das ist irgendwie wie ein Nachhausekommen zur Familie. Ich kenne ja fast alle, die im Orchester sitzen. Auch wenn ich nicht täglich an diese Musiker denke, ich brauche sie nur zu sehen, dann fällt mir gleich der Name ein. Es ist, als ob keine Zeit vergangen wäre."

Diese Verbundenheit war zu spüren, dazu die Freude des Dirigenten, in seinem einundneunzigsten Lebensjahr noch das wohlvertraute Orchester und das Publikum begeistern zu können, und die Achtung, die dieser dirigierende Star ohne Allüren jedem einzelnen Musiker und seinem Können entgegenbrachte. Er sei noch einmal zitiert. Er weiß, dass jeder Dirigent „auf das bauen“ muss, „was im Orchester ist. Denn wir wollen uns ja alle ausdrücken, wir wollen nicht nur ein Rad im Getriebe sein, sondern mit der Seele, mit unserer Seele, mit meiner Seele mitreden.“

Herbert Blomstedt, Foto: (c) Olaf MalzahnHerbert Blomstedt, Foto: (c) Olaf MalzahnDieses Mitreden war in beiden Beiträgen bemerkenswert zu erleben. Stand Blomstedt noch im ersten Teil bei der kleineren, der klassischen Besetzung auf dem Podiumsboden inmitten des Orchesters, stellte er sich erst bei Bruckner auf ein Podest, um bei der in der Romantik gewachsenen Besetzung jeden zu sehen, aber auch von jedem gesehen zu werden. Denn seine Art, ohne Stab zu leiten, verlangt vom Musiker, jede kleine Geste der Arme, Hände oder Finger, jeden Wink mit den Schultern oder dem Kopf umzusetzen. Kaum ein Dirigent beobachtet so genau, was in den Orchestergruppen geschieht und nimmt Einfluss darauf. So entstand ein sehr dichtes Musizieren, zumal er beide Werke auswendig beherrschte. Bei Mozart war es ein inneres Fließen, eine Ausgewogenheit in der Wiedergabe, die die Klassizität des Spätwerks erfahrbar machte. Bei Bruckner war dann die verdichtete Geistes- und Gefühlswelt des Romantikers zu erleben, die sich in den weiteren oder engeren Episoden entwickelt. Gerade dies ist eine Welt, zu der Herbert Blomstedt einen intensiven Zugang hat und die er suggestiv ein Orchester nachzeichnen und ein Auditorium miterleben lässt.

Das Konzert wurde mit diesen beiden Werken zum unvergesslichen Ereignis, auch durch die erstaunliche Frische des Dirigenten, dessen Freude an der Musik ansteckend wirkte.

Arndt Voß
Aufgewachsen in Neumünster, in Lübeck seit 1959. Studium in Kiel und Hamburg (Musik- und Literaturwissenschaft). Ständige Mitarbeit an den Lübeckischen Blättern von 1974 bis 2014, Berichte und Kritiken darüber hinaus in einigen anderen Organen. Schwerpunktthemen: Musiktheater, Schauspiel, Konzerte.

Sie haben keine Berechtigung hier einen Kommentar zu schreiben.