Philip Catherine, Foto: (c) Peng!

TrioPLUS mit Jazzlegende Philip Catherine
Musik mit Schirm, Charme und Melone

Es war ein regnerischer Tag, der Freitag vergangener Woche, Freitag, der ... nein, nicht der 13., schlicht und einfach nur Freitag, der 10. Aber November, deswegen Regen fast obligatorisch. Eigentlich sollte ich arbeiten.

Ich hatte mein wöchentliches Vergnügungskontingent an Kultur schon zwei Tage zuvor in Hamburg eingelöst. Übrigens eine recht abenteuerliche Angelegenheit. Falls es Sie interessiert. Aber heute möchte ich nicht davon erzählen. Höchstens, Sie bitten mich darum.

Nein, am Freitag wollte ich mich trotz Arbeitsdruck betrinken. Nun, nicht wie Sie jetzt vielleicht vermuten mit Bier oder Wein, nein, oder zumindest nicht nur, mir stand der Sinn nach härteren Drogen.

Kennen Sie das Gefühl, dass Sie eigentlich zu Hause bleiben müssten, weil noch so viel zu tun ist, Sie aber dennoch schon lange vorher wissen, dass Sie sich davonschleichen werden, um Ihren Süchten zu frönen? So ging es mir letzten Freitag. Denn ... ich bin süchtig. Ja, ich gebe es zu. Nach vielen Dingen. Süchtig nach Leben, nach Eindrücken, nach Klängen, nach Worten, nach Buchstaben, nach Farben, nach Formen, nach Musik. Das ist eine der schwersten Formen der Sucht. Und ich kann und will ihr nicht entfliehen.

Fast mitleidig schaute ich also auf meinen PC. Gleich würde ich ihn ausschalten. Lichter weg, Bilder weg, Worte weg. Gnadenlos. Denn mich erwartete MUSIK! Und dazu ganz besondere Musik. Und dazu wieder in St. Petri. So, jetzt wissen Sie wahrscheinlich, worauf Sie und ich zusteuern.

Peter Ortmann, Philip Catherine, Florian Galow und Oliver Sonntag, Foto: (c) Peng!Peter Ortmann, Philip Catherine, Florian Galow und Oliver Sonntag, Foto: (c) Peng!

Ja, das trioPLUS mit Peter Ortmann (Klavier), Florian Galow (Kontrabass) und Oliver Sonntag (Schlagzeug) hatte wieder für ein üppiges Mahl zu Tisch gebeten. Und wie schon in den vorherigen Konzerten der Veranstaltungsreihe „trioPLUS trifft europäische Jazzlegenden“ durfte man sich auf einen illustren Gast, eine wahre Legende freuen. Für dieses Mal, das letzte Konzert der diesjährigen Edition, war Philip Catherine angekündigt. Der international bekannte Gitarrist, der – selbst eine Jazzgröße – mit praktisch allen Großen des Jazz wie Elvin Jones oder Chet Baker aufgetreten war, hatte also seinen Hut aufgesetzt und sich auf den Weg zu uns nach Lübeck gemacht. Das Fest konnte beginnen.

Nach einer kurzen Einführung in die Geschichte der E-Gitarre durch den Hausherren Bernd Schwarze standen die Musiker vor uns. Kaum hatte die Wolke aus Charme und Sympathie, die Philip Catherine wohl stets umgibt, sich zusammen mit ihm gesetzt – der Abdruck des längst abgenommenen Huts auf Catherines Haaren begann zu verblassen –, bereitete Philip Catherine uns mit einigen erklärenden Worten auf das dem blinden Musiker George Shearing gewidmete erste Stück des Abends „Hello George“ vor.

Sanft schaukelnd und wippend wurden wir in die Musik geführt und durften gleich zu Beginn die tiefe Harmonie zwischen den Musikern verspüren. Während die Gitarre mit Philip Catherine ihre Weisen sang und Florian Galow seinen Kontrabass mit einem zarten Echo antworten ließ, schien Oliver Sonntag hinter den sanften Tönen seines Schlagzeugs mächtige Kräfte bändigen zu müssen.

Oliver Sonntag, Foto: (c) Peng!Oliver Sonntag, Foto: (c) Peng!In „Letter From My Mother“ tänzelte die Musik leichten Schrittes vor uns her, das Schlagzeug schob Vorhänge auf und wieder zu, und alles wisperte: Hör mir zu, lass dir erzählen, genieß die Töne, freu dich, schweb mit, komm mit ..., während die weichen, dunklen Klänge des Kontrabasses uns an der Hand hielten, bis Philip Catherine wieder die Führung übernahm, die Töne sich drängten, höher stiegen und die Schritte befreiten und Peter Ortmann mit einem wilden Tanz auf dem Klavier das Tempo schneller und schneller werden ließ, alle antrieb, nur um uns danach wieder sicher in ruhigere Welten zu geleiten.

Es folgte Peter Ortmanns zungenbrecherischer Song „Wipperrivershack“, in dem das Klavier beschwingt über die Flussnebel tanzte, mit grünen Tönen über nasse Auen sprang und immer wieder sicher auf dem festen und trockenen Boden des Uferwegs landete.

Mit geschlossenen Augen, noch immer in der Musik verfangen, erzählte Philip Catherine zwischen den Stücken kleine Anekdoten und Witze und leitete mit einem Buchstabenspiel auf das nächste Stück von Cole Porter über (P. C. plays C. P.). Die ersten Töne von „So in Love“ hingen schon in der Luft und sprachen mit einer zarten, aber eindringlichen Grundstimmung von der Reise der Liebe, die zwischendurch von den kurzen, aber heftigen Gewittern Oliver Sonntags auf dem Schlagzeug aus ihrer Träumerei gerissen wurde, als sich mein Blick in dem großen, über dem Eingang von St. Petri hängenden Banner (Teil der Ausstellung von Anne-Julie Raccoursier) verfing: „Make Love not Love“ ... Ich setzte mich etwas gerader hin, und schon war das „Make“ aus meinem Blickfeld verschwunden, „Love not Love“ stand jetzt dort, und als sich der Song dem Ende näherte, sang die Gitarre nur noch Love ...

Foto: (c) Peng!Foto: (c) Peng!

Es würde den Rahmen des Artikels sprengen, wollte ich von allen Stücken erzählen, denn über jedes einzelne ließe sich ein ganzer Artikel schreiben. Noch kurz hervorheben möchte ich jedoch das wundervolle Duett zwischen Gitarre und Kontrabass, bei dem die tiefe Harmonie und das schweigende Einverständnis zwischen den Musikern und den Tönen fast mit Händen zu greifen war, und „Pendulum“ mit dem dunklen Einschwingen des Kontrabasses, während die Gitarre das Pendel umkreiste, die schweren Metallglieder der Kette hinaufkletterte und mitschwang, weiter, tiefer, höher, in alle Bereiche des Lebens. Oliver Sonntag hielt am Schlagzeug die Schnur der Töne fest in der Hand und bot uns im Schwung einen Halt, als Peter Ortmann neben der Kette die Sonnenleiter hinaufspielte. Treuer Begleiter der Gitarre blieb Florian Galow am Kontrabass, der sie keine Sekunde aus den Augen und aus den Tönen ließ.

Ich könnte Ihnen noch von den sommerlichen Noten auf dem Boulevard des Lebens in „Let’s Do It“ erzählen, von den vielen Gitarrentönen, die sich unermüdlich an den blau beleuchteten Säulen emporhangelten, sich am riffeligen Mauerwerk festhielten und von oben auf uns herabsahen, bevor sie sich wieder in die Tiefe stürzten und uns um die Ohren flatterten. Von der wunderbaren Zugabe, von unserem etwas schwächelnden Zuschauerchor als Hommage auf Toots Thielemans, davon, wie Philip Catherine immer wieder ein leises Duett mit seiner Gitarre sang und wie im Laufe des Abends das „Make Love Not Love“ immer wieder verblasste, verschwamm, sich verwandelte und am Ende des Konzerts mit einem überlauten „Love Pure Love“ unter dem Gewölbe wehte.

Aber ich kann Ihnen ja nicht alles verraten, ein bisschen müssen Sie sich schon ärgern und auch schämen, dass Sie nicht gekommen sind, um diese hervorragenden Lübecker Musiker mit ihrem wundervollen Gast zu sehen, zu hören, zu schmecken und als Klangerinnerung in sich aufzunehmen!

Wissen wir Lübecker eigentlich, was uns hier in unserer Stadt an allerfeinster Kost geboten wird? Uns allen bleibt jetzt nur zu hoffen, dass diese begeisternde Veranstaltungsreihe im nächsten Jahr fortgesetzt wird! Ich für meinen Teil habe noch großen Appetit!


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